Migranten sorgen für steigende Mieten und belasten das Sozialsystem. Sagt die Schweizerische Volkspartei. Der Erfolg der Schweiz wäre ohne Zuwanderung gar nicht möglich. Sagen Wirtschaftsexperten. Was bringt uns die Zuwanderung tatsächlich?

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Vor einem Jahr sagten die Schweizer "Ja" zur Initiative "Gegen Masseneinwanderung" der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Sie wollen, dass die Einwanderung beschränkt wird und dass Einheimische auf dem Arbeitsmarkt bevorzugt werden.

Während die Regierung nun erste Gesetzesentwürfe vorlegt, um diesen Verfassungsauftrag umzusetzen, verlangt die Europäische Union (EU) eine neue Volksabstimmung zum Thema. Als "unvermeidlich" bezeichnete dies der EU-Diplomat Maciej Popowski kürzlich in einem Interview mit der Westschweizer Zeitung "La Liberté". Denn ein solches Gesetz verstosse gegen die Personenfreizügigkeit. Und eine Neuverhandlung des Abkommens mit der Schweiz, so der Verhandlungsführer der EU, komme nicht infrage.

23,8 Prozent haben Migrationshintergrund

Seitdem das Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit der EU 2002 in Kraft getreten ist, haben sich jährlich rund 80.000 EU-Bürger in der Schweiz niedergelassen. Die Regierung in Bern hatte gerade einmal mit einem Zehntel davon gerechnet. Ende 2013 hatten laut Bundesamt für Statistik 23,8 Prozent der Bevölkerung Migrationshintergrund. Im Nachbarland Deutschland, aus dem neben Italien die meisten Zuwanderer kommen, sind es gerade einmal neun Prozent.

Eine neue Entwicklung sieht Philipp Lutz, Leiter des Programms Migration beim Thinktank "Forum Aussenpolitik", darin nicht. "Die Schweiz ist schon seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Einwanderungsland. Die moderne Schweiz wäre ohne Zuwanderung nicht vorstellbar." Dass die Schweiz die Wachstumsschwäche der 1990er Jahre überwunden hat, führen viele Wirtschafts- und Politikexperten auf die bilateralen Verträge mit der EU zurück: auf den freien Zugang zu einem zollfreien Markt und die Zuwanderung von Fachkräften.

Überfüllte Züge, steigende Mieten

Doch für die SVP sind die Migranten in erster Linie für aktuelle Missstände in der Schweiz verantwortlich. Sie sorgten für überfüllte Züge, steigende Mieten und höhere Kriminalität, belasteten das Sozialsystem und verdrängten Einheimische vom Arbeitsmarkt. "Der Schweiz ging es wirtschaftlich äusserst gut in den vergangenen Jahren. Der SVP ist es gelungen, diese empfundenen 'Wachstumsschmerzen', wie steigende Mieten oder volle Züge, auf die Zuwanderung zu schieben", sagt Migrationsexperte Lutz.

Für eine Verdrängung Einheimischer auf dem Arbeitsmarkt oder steigende Kriminalität gebe es keinen empirischen Beleg. Dafür spricht auch, dass gerade in den Schweizer Grossstädten – wo die angeprangerten Missstände eigentlich am deutlichsten zu spüren sein sollten – die Bewohner die Initiative gegen Masseneinwanderung mehrheitlich ablehnten.

Schweiz profitiert stärker als andere

Nach einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von 2014 profitiert der Schweizer Staat sogar stärker als jedes andere OECD-Land von der Zuwanderung – unter anderem über höhere Steuereinnahmen. "Die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte sorgt dafür, dass der Fachkräftemangel abgeschwächt werden kann, dass Sozialwerke finanziert werden können und führt zu einer weiteren Bereicherung der multikulturellen Schweiz", fasst Lutz zusammen.

Viele Wirtschaftszweige sind auf Arbeitsmigranten angewiesen: "Dazu gehören insbesondere das Gesundheitswesen, Tourismus, Gastronomie, aber auch Industriezweige wie die Uhren- oder die pharmazeutische Industrie." Für den Migrationsexperten ist klar: "Der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz wäre ohne Zuwanderung nicht möglich." Mit einer Begrenzung, befürchtet Lutz, würde sich die Schweiz in Europa isolieren und dafür wirtschaftlich und politisch einen hohen Preis zahlen müssen.

Den Grund für das "Ja" der Schweizer bei der Volksabstimmung sieht er vor allem in Überfremdungsängsten. Und die SVP sei sehr erfolgreich damit, diese politisch zu nutzen. Kein typisch schweizerisches Phänomen, wie Lutz findet: "Überfremdungsängste sind überall in Europa in den vergangenen Jahren verstärkt in die Öffentlichkeit geraten." Doch in anderen Ländern gebe es über solche Themen eben keine direkten Volksabstimmungen.

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