Milorad Dodik von den bosnischen Serben sorgt in Bosnien-Herzegowina für Unruhe. Ein Balkan-Experte erklärt im Interview mit unserer Redaktion, wie der Nationalist tickt. Und was ihm vorgeworfen wird.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Patrick Mayer sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die politische Situation in Bosnien-Herzegowina ist heikel. Das hat sich seit dem Abkommen von Dayton im November 1995 nicht geändert. Seither leben Bosniaken, bosnische Kroaten und bosnische Serben in einem kleinen Land mit geschätzt 3,3 Millionen Menschen zusammen, die zuvor einen blutigen Krieg gegeneinander geführt hatten.

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Milorad Dodik sorgt auf Balkan für Ärger

Für Ärger in diesem brisanten Spannungsverhältnis sorgt Milorad Dodik. Der Mann, den die USA und die Europäische Union (EU) offenbar loshaben wollen. "Damit das Land nach den Werten der EU transparenter und rechtsstaatlicher werden kann, muss Dodik verschwinden. Das muss von innen kommen", erklärt Politikwissenschaftler Vedran Dzihic im Gespräch mit unserer Redaktion. "Der Westen versucht, dieses Ziel durch die Ablehnung weiterer Kredite zu beeinflussen."

Doch: Dodik wehrt sich, indem er alte Rivalitäten schürt und staatliche Autoritäten in der parlamentarischen Republik untergräbt, die sich zu einer dreiköpfigen Präsidentschaft aufgerafft hat, mit Vertretern aller drei Bevölkerungsgruppen. Dodik vertritt die Republika Srpska (RS), neben der Föderation Bosnien und Herzegowina eine von zwei regionalen Entitäten. Der 59-jährige Nationalist tut dies in einer Aggressivität, sodass die US-Botschaft sein Handeln in einem offiziellen Tweet unlängst als "dumm" bezeichnet hatte.

USA ermahnen Republika Srpska

Die Vertretung Washingtons mahnte, die Umsetzung des Friedensvertrags von Dayton einzuhalten. Dodik hatte zuvor im Juni erklärt, dass die Republika Srpska Entscheidungen des Verfassungsgerichts in der Hauptstadt Sarajevo nicht mehr anerkennen werde.

"Er hatte die Eskalation auf den Höhepunkt getrieben, als er damit de facto die Verfassungsgerichtsbarkeit ausser Kraft gesetzt hat", erklärt Dzihic. "Es gab heftige Reaktionen aus der Föderation. Viele Bosniaken haben erklärt, dass sie sich das nicht mehr gefallen lassen. Dass sie sich auch mit Waffen wehren werden, wenn Dodik weiter eskaliert", erzählt Dzihic zur politischen Breitseite gegen das Verfassungsgericht, was Dodik inzwischen zurückgenommen hat. "In der Regierungskoalition hat er wörtlich gesagt, dass wieder abgerüstet werden müsse", schildert der Politologe. "Am Ende versucht er immer, seine politische Haut zu retten."

Bosnische Serben mit engen Kontakten zu Russland

Dodik tut dies, indem er sich die Unterstützung aus Moskau und Belgrad sichert. Am 8. Januar hatte er zum Beispiel Kreml-Machthaber Wladimir Putin den Orden der RS verliehen. Am Tag darauf liess er zum sogenannten Tag der RS in Ost-Sarajevo 2.000 Paramilitärs und Polizisten bei einer Parade aufmarschieren, womit er die USA sowie die EU gegen sich aufbrachte.

Der kleinere Ostteil der Hauptstadt mit ihren knapp 300.000 Einwohnern gehört zu Republika Srpska, die ihrerseits rund 1,6 Millionen Einwohner zählt – und damit der kleinere Landesteil ist. Während die bosnischen Serben in der RS mehr als 80 Prozent der Bevölkerung stellen, sind sie in der Föderation mit knapp drei Prozent deutlich in der Minderheit.

Laut Dzihic will Dodik durch Provokationen ablenken. "Seine Regierungsbilanz ist enorm schlecht. Die Republika Srpska ist verschuldet und kann teilweise nicht mal mehr ihre Kredite bedienen. Dabei geht es um Kredite der internationalen Währungsunion und solche, die Banja Luka von Russland oder China bekommen hat", sagt der Politikwissenschaftler. "Der Haushalt wird seit zehn bis 15 Jahren aus Krediten finanziert."

Schliesslich gebe es dort weder Tourismus noch nennenswert Industrie. Dodik wäre es nach Ansicht des Experten "am liebsten, wenn den verschiedenen Entitäten das staatliche Eigentum Bosnien-Herzegowinas überschrieben würde, damit dieses als Hypothek für neue Kredite dienen könnte".

Milorad Dodik: Vom Lieblingspolitiker der USA zum Putin-Freund

Dzihic verweist ferner auf einen akuten Mangel an Arbeitskräften. "Die jungen Menschen verlassen Bosnien-Herzegowina massenhaft und gehen in die Schweiz, nach Deutschland und Österreich", sagt er. "Dazukommt die sehr verbreitete Korruption. Viele Gelder wandern in die Taschen von Dodik." Lücken im Haushalt versuche dieser, statt durch innovative Vorschläge, mit neuen Schulden zu kompensieren, zum Beispiel aus Russland.

Dafür traf er sich in den vergangenen Jahren mehrmals mit Putin. Was Moskau ausnutzt, damit Dodik vor den Toren der Verteidigungsallianz Nato politisch zündelt? Laut Kreml verteidigte Dodik zuletzt sogar den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, als er laut Pressemitteilung erklärte, dass Russland "gezwungen war, diese spezielle Operation zu starten. Wir verstehen, dass dies kein Krieg zwischen der Ukraine und Russland ist – dies ist ein Konflikt zwischen Russland und dem Westen, der versucht, Russland zu benutzen, um diesen Krieg weiter anzuheizen".

Eine drastische politische Kehrtwende. "Er war früher der Lieblingspolitiker der Amerikaner. Während des Krieges hat er sich im Vergleich zu anderen bosnischen Serben wohl nichts zuschulden kommen lassen", sagt Dzihic. "Nach und nach hat er sich aber zu einem pragmatischen Nationalisten entwickelt, um eigene Interessen zu befriedigen, vor allem, um sich persönlich zu bereichern. Solange er an der Macht ist, wird Instabilität ein wesentlicher Teil der bosnischen Realität bleiben."

Zur Person: Dr. Vedran Dzihic lehrt und forscht als Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik in Wien. Er wurde 1976 in Bosnien geboren, aber 1993 im Bosnienkrieg (April 1992 bis Dezember 1995) samt seiner Familie "nach Österreich vertrieben", wie er erzählt.

Verwendete Quellen:

  • Telefon-Interview mit Dr. Vedran Dzihic
  • faz.net: Bosnische Serben erkennen Verfassungsgericht nicht mehr an
  • merkur.de: Brennpunkt Bosnien: Serben-Politiker verleiht Putin Orden
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