• In Mecklenburg-Vorpommern erschüttert ein Brand in einer Flüchtlingsunterkunft. Er soll vorsätzlich gelegt worden sein, ein rechtes und rassistisches Motiv gilt als wahrscheinlich.
  • In der Unterkunft lebten Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen sind.
  • Markiert die Tat einen Wendepunkt? Galten die Flüchtlinge aus der Ukraine wegen sozialer, kultureller und geografischer Nähe nicht als die "guten" Flüchtlinge?
  • Ein Experte sieht dunkle Zeiten kommen – wenn sich nichts in der Politik ändert.

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Ein paar Tage vor dem Brand, der sich Mitte Oktober (19.) in Gross Strömkedorf in Mecklenburg-Vorpommern ereignete, wurde das Eingangsschild der Flüchtlingsunterkunft beschmiert: mit Hakenkreuzen.

Mittwochabends stand das ehemalige Hotel, in dem Menschen lebten, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen sind, dann in Flammen. Heute ist es nicht mehr bewohnbar, die Geflüchteten sind vom Deutschen Roten Kreuz in einer anderen Unterkunft untergebracht worden. Zeitweise lebten in dem ehemaligen Hotel bis zu 170 Menschen aus der Ukraine.

Staatsschutz und Kriminalpolizei gehen von Brandstiftung aus, ein rechtsradikaler Hintergrund wird vermutet. Auch bei dem Brand im thüringischen Apolda nahe einer Unterkunft für Ukrainer stand politisch motivierte Brandstiftung im Raum. Die Hintergründe sind weiterhin unklar.

Galten die Ukrainer nicht als die "guten" Flüchtlinge?

Der Bürgermeister der Gemeinde Blowatz, zu der Gross Strömkendorf gehört, Tino Schmidt (SPD), sagte, bislang hätte nichts auf rechts motivierte Umtriebe hingedeutet. Man habe ein sehr gutes Verhältnis zu den Kriegsflüchtlingen, noch im Sommer sei ein fröhliches Sommerfest gefeiert worden.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte sich erschüttert: "Menschen, die vor Putins Krieg bei uns in Deutschland Schutz gefunden haben, mussten aus den Flammen gerettet werden", sagte sie. Dabei war die Hilfsbereitschaft für geflüchtete Ukrainer in Deutschland eigentlich besonders gross – gerade im Vergleich zu Flüchtenden aus anderen Ländern. Diesmal wurden massenhaft Privatquartiere zur Verfügung gestellt. Ehrenamtliche der Bahnhofsmission Mannheim schätzten das Engagement in puncto Sachspenden, Geldspenden und Wohnungsangebote zuletzt beispielsweise auf das Drei- bis Vierfache.

Migrationsforscher erklären das unter anderem mit geografischer, sozialer und kultureller Nähe sowie Geschlechterstereotypen: Aus der Ukraine kommen vorrangig Frauen mit Kindern, während 2015 und 2016 viele alleinreisende junge Männer unterwegs waren.

Experte: "Davor haben wir lange gewarnt"

Trotzdem ist der Vorfall in Mecklenburg-Vorpommern und die Vermutung, dass sich rassistische Gewalt entladen hat, für Franz Zobel nicht überraschend. Er ist Projektleiter bei der Opferberatungsstelle "ezra", für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen.

"Es geht um eine Feindmarkierung von Geflüchteten – egal, ob aus der Ukraine oder aus anderen Ländern", ist er sich sicher. Das sei nicht neu. "Wir haben bereits 2015 und 2016 eine massive Gewaltwelle erlebt. Dass sich die Gewalt nun wieder zuspitzt, davor haben wir als Opferberatungsstelle schon lange gewarnt", sagt er.

Mobilisierung der extremen Rechten

Die Zuspitzung der Gewalt gegenüber Geflüchteten geschehe parallel zu einer Mobilisierung der Rechtsextremen vor allem in Ostdeutschland und rassistischer und antisemitischer Hetze durch Akteure wie beispielsweise der AfD. "Selbst demokratische Politikerinnen und Politiker wirken daran mit", sagt Zobel.

Narrativ von "Roma-Grossfamilien"

Zuletzt machte ein antiziganistisches Hetz-Video eines AfD-Bundestagsabgeordneten aus dem thüringischen Sömmerda im Netz die Runde. Dabei ist unter anderem von "Roma-Grossfamilien aus der Ukraine" die Rede, die als Flüchtlinge viel Geld vom Staat erhalten würden und es wird behauptet, die Polizei habe Geschäfte in der Gegend vor Ladendiebstählen gewarnt. Mehrere Faktenchecks haben herausgestellt, dass diese Behauptungen nicht auf Tatsachen beruhen.

"Ein Politiker der Thüringer CDU hat das rechte Narrativ der vermeintlichen ‚Roma-Grossfamilien‘ aber weiterverbreitet und damit einen antiziganistischen Stereotyp bedient", sagt Zobel. So hatte der Landtagsabgeordnete Andreas Bühl (CDU) in einem Interview Ende Juli mit der Südthüringer Tageszeitung "Freies Wort" davon gesprochen, dass "Sinti- und Roma-Grossfamilien" neue Problemlagen schaffen würden.

Politiker widerspricht Anschuldigung

Bühl sagte weiter: "Menschen, die unsere Gastfreundschaft nicht würdigen und sich unangepasst verhalten, kann man nicht dulden. Deshalb finde ich es angemessen, darüber nachzudenken, auch wieder zu Sachmitteln statt Bargeldauszahlungen zurückzukommen. Wir können nicht unsere Gastfreundschaft ausnutzen lassen."

Bühl selbst streitet die Übernahme rechter Narrative ab. "Da ich ein Politiker mit Bodenhaftung und engen Draht zu meiner Region bin, habe ich mit Menschen gesprochen, die sowohl in unserem Landratsamt arbeiten als auch direkt in Umgebung der Notunterkunft gewohnt haben, in denen Roma-Familien untergekommen waren. Das unterstellte Stereotyp bestätigte sich durch Sachbeschädigungen, Diebstähle und Anfeindungen gegenüber den Anwohnern", sagt er. Dies sei ein deutlicher Unterschied zu den bisher dort wohnhaften ukrainischen Geflüchteten gewesen. "Dinge müssen klar benannt werden", so Bühl. Ob es sich um einen lokalen Einzelfall handele, könne er nicht bewerten.

Situation könnte sich verschärfen

Zobel hat noch ein weiteres Beispiel: "Auch der SPD-Landrat Matthias Jendricke aus Nordhausen hat genau das aufgegriffen, was in Desinformationskampagnen verbreitet wird – nämlich, dass die Ukrainer hierhinkommen, um Sozialleistungen abzugreifen und dann wieder nach Hause fahren", sagt er. Jendricke hatte gefordert, die Pässe von ukrainischen Menschen einzubehalten und Heimreise nur noch auf Genehmigung zu erstatten. "Solche Äusserungen führen zu Vorfällen wie in Mecklenburg-Vorpommern", meint Zobel.

Jendricke verteidigt sich: Er habe dem Vorwurf eines pauschalen Missbrauchs von Sozialleistungen immer widersprochen. "Er hat jedoch darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, dass die Behörden ihrer gesetzlichen Kontrollfunktion nachgehen müssen und dies muss der Gesetzgeber auch ermöglichen und jetzt entsprechend nachsteuern, um vorbeugend einem möglichen Missbrauch von Sozialleistungen entgegenzuwirken", lässt er über eine Sprecherin mitteilen.

Experte: "Es droht eine Eskalation wie in 2015/2016"

Der Anlass hierzu sei, dass die Nordhäuser Ausländerbehörde nun schon "zahlreiche Einzelfälle" feststellen musste, wo sich die Betroffenen bereits wieder in der Ukraine befanden und dennoch im Leistungsbezug waren. "Dies ist nun mal auch seine Aufgabe als Behördenvertreter", so die Sprecherin.

Zobel aber fürchtet, dass die Situation weiter eskalieren könnte. "Es droht eine Eskalation mindestens wie in 2015 und 2016 und wir wissen auch, zu welcher Situation sich diese Zustände vor dreissig Jahren in Rostock-Lichtenhagen entwickelt haben", erinnert er. Die Gefahr bestehe ganz konkret, denn im Umgang damit habe sich wenig geändert.

Experte beklagt "institutionellen Rassismus"

"Die Menschen, die sich solidarisch mit Geflüchteten zeigen, gibt es immer noch, aber sie sind leiser oder werden leise gemacht", sagt Zobel. Diese Menschen würden keinen Unterschied zwischen den Geflüchteten machen – ob sie aus der Ukraine, Syrien oder Afghanistan kämen. Die Behörden hingegen schon.

"Es gibt institutionellen Rassismus, der hochproblematisch ist", sagt Zobel. Die Behörden beispielsweise in Thüringen würden ukrainische Flüchtlinge, die Roma sind, anders behandeln. "Sie bleiben oft monatelang in Turnhallen", so Zobel.

Nach Schätzungen des deutschen Zentralrats der Sinti und Roma haben in der Ukraine zuletzt bis zu 400.000 Roma gelebt, Sinti hingegen nur sehr wenige. Mehrere 10.000 Roma sind nach Kriegsbeginn aus der Ukraine geflüchtet. Sie begegnen hierzulande deutlich mehr Ablehnung als andere ukrainische Flüchtlinge. "Kaum jemand möchte Roma privat bei sich aufnehmen", heisst es vom Zentralrat. In der Öffentlichkeit interessiere sich kaum jemand für die Situation der Roma in der Ukraine und unter den Geflüchteten.

Geflüchtete Roma in Notunterkünften

Geflüchtete Roma leben deshalb besonders häufig den Notunterkünften. Berichten aus München zufolge sollen 70 bis 80 Prozent der Menschen in der Notunterkunft in Riem Roma und Sinti sein. Rund 8.000 Kriegsgeflüchtete sind in den vergangenen Wochen in München privat untergekommen - aber so gut wie keine Roma.

Experten beklagen derweil insgesamt ein "Zwei-Klassen-System" an Flüchtlingen, nicht nur unter den ukrainischen Flüchtlingen: Durch die sogenannte EU-Massenzustrom-Richtlinie, die kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges zum ersten Mal aktiviert wurde, haben ukrainische Flüchtlinge einen besseren rechtlichen Status als Asylsuchende aus anderen Ländern. So haben ukrainische Flüchtlinge, die vorübergehenden Schutz erhalten, beispielsweise ein Aufenthaltsrecht bis zu drei Jahren ohne Asylverfahren, eine sofortige Arbeitserlaubnis und Anspruch auf Sozialleistungen und Krankenversicherung.

Flüchtlingszahlen steigen weiter

"Die rassistischen Narrative laufen aber insgesamt gegen Flüchtlinge", meint Zobel. Man beobachte eine massive Zunahme der Hetze und der extrem rechten Mobilisierung. Der Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Bautzen passe ins Bild: Er ereignete sich wenige Tage nach einer Demonstration der AfD vor Ort. "Wenn nichts gegen die Hetze und Mobilisierung getan wird, werden rassistische Gewalt und Anschläge weiter eskalieren", warnt er.

Werden die steigenden Flüchtlingszahlen die Situation befeuern? Die Zahlen der nach Deutschland geflohenen Menschen sind im Jahr 2022 so hoch wie seit Jahren nicht mehr, auch über die Balkanroute kommen wieder mehr Menschen. Zwischen Januar und September 2022 wurden 154.557 Asylanträge gestellt, davon waren 134.908 Erstanträge. Das sind etwa 17 Prozent mehr Anträge als im gleichen Zeitraum 2021, die Erstanträge sind sogar um 34 Prozent gestiegen. Ukrainische Geflüchtete, die seit Ende Februar 2022 eingereist sind, sind dabei nicht eingerechnet.

CDU-Politiker: Manche drehen "schon das ganz grosse Rad"

"Die Anschläge haben nichts damit zu tun, weil mehr Menschen auf Schutz angewiesen sind, sondern allein mit rechter und rassistischer Hetze und Mobilisierung", meint Zobel. Es gibt ein Recht auf Asyl und Deutschland ist dazu verpflichtet, dieses umzusetzen. "Es geht vielmehr um die Art der Debatte. Rassistische ‚Das Boot ist voll‘-Parolen sind Brandbeschleuniger und stellen zudem das unverhandelbare Recht auf Asyl infrage. Stattdessen müsste es um konkrete Massnahmen gehen, die eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten ermöglichen und wie diese besser vor rassistischer Gewalt geschützt werden können", meint Zobel.

Er wünscht sich mehr Politiker und Politikerinnen, die gegen rechte und rassistische Eskalation Stellung beziehen und das Recht auf Asyl verteidigen. Als Beispiel nennt Zobel den CDU-Landrat des Burgenlandkreises in Sachsen-Anhalt, Götz Ulrich. Gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung hatte dieser gesagt, dass er die Zuzugszahlen von Geflüchteten beherrschbar halte und nicht der Meinung sei, "dass wir den Leuten jetzt Angst machen und sie auf die nächste Katastrophe vorbereiten müssen." Der Kommunalpolitiker kritisierte zudem: "Es gibt einige Amtskollegen in Thüringen, die drehen gerade schon das ganz grosse Rad".

Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt?

Aus Sicht von Zobel spielt es aber auch eine Rolle, dass die Politik die Unterbringung der Geflüchteten teilweise katastrophal organisiert habe. "Man hätte sie von Anfang an dezentral unterbringen müssen. Denn damit schafft man erst bestimmte Bilder und Anschlagsziele", meint Zobel.

Der Grossteil der Geflüchteten sind privat untergebracht. Zuletzt sagte aber der Hauptgeschäftsführer des niedersächsischen Städtetages, Jan Arning, im Rahmen des Flüchtlingsgipfels: "Die Kommunen haben schlicht keine Kapazitäten mehr, Geflüchtete und Vertriebene angemessen und dezentral unterzubringen." Roma sind besonders häufig in Notunterkünften untergebracht. Auch, weil grosse Familien nicht getrennt werden wollen. Roma-Vertreter fordern selbst kleinere Unterkünfte, in denen Roma und Nicht-Roma zusammenwohnen.

Zobel mahnt ausserdem an, dass sich Individuen und gesellschaftliche Gruppierungen der rechten und rassistischen Hetze und Mobilisierung entschlossen entgegenstellen. "Man will die Menschen dazu bringen, Deutschland wieder zu verlassen und dass sie sich hier nicht willkommen fühlen. Die Täter dürfen damit nicht erfolgreich sein und man muss massive Anstrengungen unternehmen, sie zu finden", sagt er. Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.) fordert deshalb ein Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt. "Dann würden Täter mit Angriffen genau das Gegenteil bewirken – nämlich, dass der Mensch dauerhaft hierbleiben darf", sagt Zobel.

Über den Experten:
Franz Zobel ist Projektkoordinator von ezra – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen und hat Politikwissenschaften, Rechtswissenschaften und Neuere Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena studiert.

Verwendete Quellen:

  • In Südthüringen: CDU-Mann springt Landrätin zur Seite
  • Correctiv: Doch, die Polizei verfolgt Ladendiebstähle in Sömmerda
  • Focus.de: Viele Roma unter Münchner Ukraine-Geflüchteten: "Sie will kaum einer aufnehmen"
  • Merkur.de: Flüchtlinge aus der Ukraine: Die allermeisten sind weiterhin privat untergebracht
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