Bei der FDP bleibt kein Stein auf dem anderen: Nach Parteichef Christian Lindner kündigt auch der designierte Generalsekretär Marco Buschmann seinen Rückzug an. Hinter den Kulissen droht ein Machtkampf. Die Liberalen steuern in eine ungewisse Zukunft.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Spuren des Vorabends sind verschwunden. Das Atrium des Hans-Dietrich-Genscher-Hauses, der FDP-Parteizentrale in Berlin, ist am Montagnachmittag längst wieder herausgeputzt.

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Am Sonntag verfolgten die Liberalen von hier einen dramatischen Wahlabend, an dessen Ende feststand: Es ist vorbei für die FDP. Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte nach 2013 fliegt die Partei aus dem Bundestag. Die geplante Wahlparty endete als liberaler Albtraum.

Am Montag stehen Noch-Parteichef Christian Lindner und sein Generalsekretär Marco Buschmann am gleichen Ort vor der Presse. Auch er ist jetzt ein "Noch"-Politiker. Buschmann verkündet den Reportern, dass er sich ebenfalls aus der Politik zurückzieht. "Dieses Wahlergebnis blieb weit hinter unseren Ansprüchen zurück. Und deshalb habe auch ich mich entschieden, dass jetzt Platz sein muss und Zeit sein muss für neue frische Köpfe", sagt Buschmann.

Damit tut der Ex-Justizminister es Lindner gleich, der schon am Vorabend sein politisches Ende mitgeteilt hat. Buschmann und Lindner sind eng verbunden, sie kommen beide aus Nordrhein-Westfalen, haben in verschiedenen Funktionen gedient. Hier der begnadete Rhetoriker Lindner, da der nüchterne Stratege Buschmann. Für die FDP war diese Kombination lange Zeit ein Segen.

Doch jetzt gehen beide. "Ich bleibe meiner Partei eng verbunden. Da, wo ich um Rat gefragt werde, bin ich – nach etwas Distanz – zur Stelle", sagt Lindner am Montag. Damit tritt nun etwas ein, was für viele in der FDP lange Zeit unvorstellbar war. Der grosse Vorsitzende macht Platz. Über elf Jahre stand Lindner an der Spitze. Er ist ein politisches Kraftwerk. Quasi im Alleingang hat er die Partei nach dem Bundestags-Aus 2013 erst zurück ins Parlament, dann in die letztlich geplatzten Jamaika-Verhandlungen und schliesslich in die Ampelkoalition geführt. Als Finanzminister stand er auf dem Höhepunkt seiner Macht.

Das Problem: Lindner überstrahlte in der FDP alles. Die Partei hat zwar talentierte Fachpolitiker, doch in der zweiten und dritten Reihe gibt und gab es niemanden, der bereit war, den Parteichef herauszufordern. Selbst nach dem provozierten Ampel-Aus inklusive D-Day-Papier scharte sich die FDP um den angeschlagenen Lindner. Alles wie immer.

Der Glaube an Lindner war nahezu grenzenlos

Viele Liberale glaubten im Wahlkampf bis zum Schluss, dass der Parteichef es schon wieder irgendwie richten wird. Sie setzten auf Lindners Pointen, seine Geistesgegenwart, sein politisches Talent. Am Einsatz jedenfalls lag es nicht. Lindner spulte ein beachtliches Programm ab, er war im ganzen Land unterwegs, gab Interviews, war in Podcasts, bei YouTubern. Alles für die fünf Prozent.

Und jetzt? Hinterlässt er eine ratlose Partei. Wer soll, wer kann die FDP führen? Partei-Schlachtross Wolfgang Kubicki hat am Wahlabend noch seinen Ausstieg angekündigt, am nächsten Tag scheint er es sich schon wieder überlegt zu haben und kokettiert mit dem Vorsitz. Kubicki hat Unterhaltungswert, er repräsentiert die Partei aber nicht in ihrer Breite. Das Gleiche gilt für die Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die für einen ganzheitlichen Liberalismus steht, der über "Mehr Netto vom Brutto" hinausgeht. In der FDP gilt man damit schnell als sozialliberal.

Am Montag im Genscher-Haus wollen sich weder Lindner noch Buschmann zu personellen Fragen äussern. Der Übergangsprozess werde von den Landesvorsitzenden gesteuert, sagen sie. Klar ist: Die FDP wählt im Mai einen neuen Bundesvorstand. So lange bleibt auch Lindner im Amt. Er ist jetzt offiziell eine "Lame Duck", eine lahme Ente.

Die FDP braucht einen Konsens-Kandidaten

Hinter den Kulissen dürften die Machtspiele bereits beginnen. Auch wenn FDPler immer betonen, dass es in ihrer Partei keine Flügel gebe, ringen doch sehr unterschiedliche Denkschulen um Macht und Deutungshoheit. Ein geeigneter Kandidat muss sowohl die wirtschaftsliberalen wie auch die progressiven Teile der Partei hinter sich versammeln. Das ruft eigentlich nach einer Doppelspitze.

Nur: Das ist gar nicht so einfach. Dafür, sagt Lindner am Montag, müsste erst die Satzung der Partei geändert werden. Die sieht das nämlich nicht vor. Wer kann also Konsens und hat das Zeug, die FDP durch die harten Jahre der ausserparlamentarischen Opposition zu führen?

Christian Lindner wird seine Partei dann von aussen beobachten. Zu seiner persönlichen Zukunft will er sich am Montag nicht äussern. Er habe keinen Plan B. "Ich schliesse nichts aus", sagt er. Warum auch? Christian Lindner ist 46 Jahre. Seine Karriere geht sicherlich weiter – ausserhalb der Politik.

Verwendete Quellen

  • Pressekonferenz im Hans-Dietrich-Genscher-Haus am 24.02.
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