Robert Jesselsons jüdisch gläubige Grosseltern flohen einst vor den Nazis in die USA. Knapp 80 Jahre später plant der Musikprofessor aus South Carolina seine eigene Auswanderung. Er will weg aus den USA - wegen Donald Trump. Er sagt: "Für mich fühlt es sich jetzt wie Deutschland 1932 an."
Vor der Wahl
Tatsächlich bleib eine Auswanderungswelle bislang aus. Doch Robert Jesselson und seine Frau machen ernst. Sie wollen die USA verlassen und nach Kanada ziehen. Im Interview erklärt der Musikprofessor aus South Carolina, warum ihm Donald Trumps Amerika derart Angst macht, dass er seiner Heimat den Rücken kehren will.
Herr Jesselson, Sie wollen die USA in Richtung Kanada verlassen. Warum?
Robert Jesselson: "Mit Trump wird es jeden Tag schlimmer. Ehrlich gesagt, ich halte ihn für einen Idioten. Ich benutze das Wort sonst nicht, aber er ist nun mal einer. Wir sind praktisch unter Belagerung. Die Dinge, die Trump sagt, die Leute, die er um sich schart, Rechtsextreme wie Steve Bannon."
Hat Trumps Wahlsieg ihr Leben persönlich beeinflusst?
"Ja. Meine Frau und ich leben seit fast 40 Jahren in Columbia und wir hatten nie Probleme. Wir sind keine besonders religiösen Juden. Aber zuletzt gab es zwei Vorfälle. Erst habe ich ein antisemitisches Poster an einem Laternenmast in unserer direkten Nachbarschaft entdeckt. Ich weiss nicht, ob es gegen uns gerichtet war. Und nachdem ein Artikel (über die Ausreisepläne Anm. d. Red.) erschien, bekam ich einen anonymen Anruf."
Wurden Sie bedroht?
"Es war keine direkte Bedrohung, aber mir und meiner Frau wurde nahe gelegt, die USA sofort zu verlassen. Das kam aus dem Nichts, sehr beunruhigend. Ich habe so etwas noch nie erlebt."
Wann werden Sie umziehen?
"Ich lehre an der Universität von South Carolina in Columbia. Wir bleiben noch eineinhalb Jahre hier, bis ich in Rente gehe. Dann werden wir wahrscheinlich in Toronto eine Wohnung beziehen.
Wir wollen unsere Habseligkeiten in aller Ruhe nach Kanada bringen, aber auch etwas hier lassen, um zurückkommen zu können. Vor allem im Winter, denn die Winter sind hart da oben. Wir entscheiden von Jahr zu Jahr, ob wir permanent im Norden leben wollen."
Warum eigentlich Kanada? Warum nicht Deutschland, wo ihre Vorfahren herkommen?
"Deutschland wäre auch eine gute Wahl. Aber meine Tochter lebt in Toronto und wir haben noch Familie in den Staaten. Ausserdem ist Kanada – wie Deutschland – eine Führungsmacht der freien Welt, jetzt mehr denn je. Die Menschen schauen zu Kanada auf. Und Kanada braucht Menschen, weil es so ein riesiges Land ist."
Hätten Sie je gedacht, dass Sie ihrer Heimat einmal aus politischen Gründen den Rücken kehren würden?
"Nein, niemals. Im Gegensatz zu meinen Eltern und Grosseltern, die sich noch sehr deutsch fühlten, weil die Familie hunderte Jahre in Deutschland gelebt hat, fühlte ich mich immer völlig als Amerikaner.
Obwohl ich gegen den Vietnamkrieg protestiert habe und angesichts der konservativen politischen Szene oft verärgert war, hätte ich nie gedacht, dass ich mein Land einmal verlassen möchte. Wir hielten Amerika immer für einen sicheren Hafen für verfolgte Menschen. Die Dinge haben sich geändert: Für mich fühlt es sich jetzt wie Deutschland 1932 an."
Wie meinen Sie das?
"Bevor Hitler an die Macht kam, hat auch erst niemand gedacht, dass er so ein brutaler Diktator werden würde, auch nicht mein Grossvater. Dann wurde er, der im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz für Deutschland verliehen bekam, nach der Reichskristallnacht 1938 ins KZ Dachau verschleppt.
Meine Grossmutter besuchte ihn dort und zeigte den Leuten seinen Orden. Nach ein paar Monaten wurde er frei gelassen. Gleich danach haben beide Deutschland verlassen, gerade noch rechtzeitig."
Haben Sie Sorgen, dass auch Trump etwas gegen Juden hat?
"Trump ist nicht unbedingt antisemitisch, aber es gibt einen Anstieg antisemitischer Vorfälle im ganzen Land. Seit Januar wurden rund 140 Bombendrohungen gegen 110 verschiedene jüdische Schulen und Gemeinden registriert, auch in Columbia. Da ist der Vandalismus gegen jüdische Friedhöfe noch nicht einmal mitgezählt.
Ich fühle mich als Jude nicht verfolgt, aber ich mache mir Sorgen um Muslime, Frauen, Homosexuelle, andere Minderheiten und den Umweltschutz. Einige meiner Freunde sagen: Das wird sich schon legen. Aber ich muss immer an die Erfahrungen meines Grossvaters denken. Es ist einfach schrecklich."
Hitler war ein Massenmörder. Geht ein Vergleich zwischen ihm und Trump nicht zu weit?
"Ich hoffe, dass es hier nicht so wird wie in Nazi-Deutschland. Aber eine Sache macht mir wirklich Angst."
Welche denn?
"Es wird in den nächsten vier Jahren sicher irgendeine Krise geben. Vielleicht ein Terroranschlag in den USA, vielleicht sogar eine künstlich erzeugte Krise. Anführer mit einer autoritären Geisteshaltung wie Trump sie hat, nutzen so etwas, um die Grundrechte und die Pressefreiheit einzuschränken.
Um Hitler haben sich die Leute nach dem Reichstagsbrand 1933 auch geschart: Er konnte dann die nächsten Stufen zur Diktatur einleiten. Natürlich gehört Trump nicht in die gleiche Kategorie wie Hitler, aber die Umstände zwischen damals und heute sind doch vergleichbar."
Sie reisen als Cellist zu Konzerten auch ins Ausland. Sind Musikerkollegen oder Freunde von Ihnen vom umstrittenen Einreiseverbot der US-Regierung gegen muslimische Länder betroffen?
"Nein, aber ich weiss von ausländischen Studenten, die gerne in die USA gekommen wären und sich das nun gründlich überlegen, und von anderen, die nun nicht mehr einreisen können."
Musik besitzt die Gabe, Menschen zusammenzubringen. Gibt es ein klassisches Lied, das Sie für Präsident Trump spielen würden?
"Ich stelle mir vor, dass Trump gute Musik nicht sehr schätzt. Wenn ich einen Titel herauspicken müsste, der ihn irgendwie beeinflussen könnte, dann wäre es der letzte Satz von Beethovens 9. Sinfonie. Dort heisst es unter anderen: Alle Menschen werden Brüder/Wo dein sanfter Flügel weilt/Seid umschlungen, Millionen!/ Diesen Kuss der ganzen Welt!"
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