Wenn Flüchtlinge in Deutschland eine Unterkunft in einem Flüchtlingsheim beziehen, müssen Sie auf den Wachschutz vertrauen, der die staatlichen Einrichtungen schützen soll. Bereits mehrfach ist es jedoch vorgekommen, dass Rechtsradikale als Wachschutzleute ausgerechnet in Flüchtlingsheimen eingesetzt worden sind.

Mehr aktuelle News

So bewachte ein Mitglied der rechtsextremen Kameradschaft "Sturm 18" ein Asylbewerberheim in Heidelberg. Das Investigativ-Magazin "Frontal 21" des ZDF deckte mehrere Fälle von Übergriffen rechter Sicherheitsleute in Flüchtlingsheimen auf. In Brandenburg ist nach Schätzungen des Verfassungsschutzes jeder zehnte registrierte Neonazi als Wachmann tätig. Stephan Leukert ist Sicherheitsberater und gilt als Experte, wenn es um die Struktur der deutschen Sicherheitsbranche geht.

Wir haben ihn gefragt, welche Kontrollmechanismen versagen, wenn Neonazis zu Beschützern von Flüchtlingen werden sollen - und warum der Staat eine Mitschuld an schlecht qualifiziertem Personal in den Unterkünften trägt.

Herr Leukert, wie kann es sein, dass rechtsradikale Wachleute in Flüchtlingsheimen arbeiten?

Stephan Leukert: Die öffentliche Hand muss die Bewachung von Flüchtlingsheimen nach der so genannten Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) offen ausschreiben. Das heisst, jeder, der sich berufen fühlt, eine derartige Leistung zu erbringen, kann daran teilnehmen. Leider ist es so, dass die öffentliche Hand in den allermeisten Fällen das Angebot nimmt, das den billigsten Preis bietet. In der Ausschreibung wird sehr selten Wert auf die Qualität des Dienstleisters gelegt. Und dann kann es sein, dass auch sehr kleine Firmen mit einem fragwürdigen Hintergrund zum Zuge kommen.

Kann man denn trotz rechtsradikalem Hintergrund ein Sicherheitsunternehmen gründen?

Grundsätzlich ja. Ein Bürger, der ein Sicherheitsunternehmen gründen möchte, braucht dafür relativ wenige Voraussetzungen. Er muss lediglich nachweisen, dass er an einem achtzigstündigen Kurs der IHK teilgenommen und eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen hat. Eine spezielle Prüfung für die Bewachung von Flüchtlingsheimen existiert nicht, genauso wenig natürlich eine Gesinnungsprüfung bei der Gewerbeanmeldung. Die Ausübung würde nur dann untersagt bzw. widerrufen, wenn es eindeutige Hinweise auf eine rechtsradikale Betätigung gäbe, z.B. durch eine entsprechende Verurteilung. Es ist also zunächst einmal genauso einfach, mit einem radikalen Hintergrund ein Sicherheitsunternehmen zu gründen oder sich dort anstellen zu lassen, wie in anderen zivilen Berufen auch.

Welche Schutzmechanismen gibt es, um das zu verhindern? Ist das Problem die Fixierung der öffentlichen Hand aufs Geld?

Ja, natürlich. Denn die Art und Weise, wie die öffentliche Hand Aufträge vergibt, verhält sich konträr auch zur Vergabeordnung. Die VOL sagt nämlich eindeutig, dass zwar der Zuschlag an das wirtschaftlichste Angebot zu vergeben ist, aber der Preis alleine nicht entscheidend ist. Es gibt durchaus Möglichkeiten für die Kommunen, Städte und Länder, im Rahmen der Vergabeordnung bestimmte Bedingungen aufzustellen, die der Dienstleister zwingend erbringen muss.

Wie könnten die aussehen?

Für sensible Bereiche könnte zum Beispiel gelten, dass die Mitarbeiter, die den Auftrag durchführen, sicherheitsüberprüft werden. Oder dass der Dienstleister eine Erklärung abgibt, dass er und seine Mitarbeiter nicht Mitglied einer verfassungsfeindlichen Organisation sind. Das wäre durchaus im Rahmen der Vergabeordnung möglich - ohne jede Gesetzesänderung. Es wird aber nicht gemacht, in keinem Bundesland in Deutschland.

Woran liegt das?

Es sitzen ganz selten in den Vergabestellen Experten, die überhaupt qualitative Aspekte aufstellen und bewerten können. Wenn Sie nicht in das Thema Sicherheitsdienstleistungen eingearbeitet sind, dann fällt es Ihnen natürlich schwer, Kriterien aufzustellen, anhand derer sie die Spreu vom Weizen trennen.

Sind private Sicherheitsdienst für eine so sensible Aufgabe überhaupt sinnvoll?

Grundsätzlich brauchen sie natürlich einen Sicherheitsdienst in einem Flüchtlingsheim, das ist unbestritten. Aber es macht natürlich einen Unterschied, ob ich ein Flüchtlingsheim bewache oder ein städtisches Parkhaus. Das sind völlig unterschiedliche Aufgabenfelder. Es gibt aber keine spezialisierte Fachkraft für Sicherheit in Flüchtlingsheimen. Gerade weil es die nicht gibt, muss der Auftraggeber die Qualifikationen festlegen, von denen er denkt, dass sie ein Sicherheitsmitarbeiter in einem solchen Projekt mitbringen muss.

Welche Kriterien könnten das neben der Sicherheitsüberprüfung noch sein?

Dazu gehört mindestens eine Zweisprachlichkeit. Der Mitarbeiter sollte wenigstens Grundkenntnisse in Englisch nachweisen können, am besten nach dem so genannten "Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen". Dazu sollte auch eine Ausbildung als Ersthelfer und Brandschutzhelfer gehören. Es bedarf interkultureller Kompetenzen. Und es bedarf aus meiner Sicht zwingend einer Schulung in den Besonderheiten solcher Aufträge. Die Verbände für die Sicherheit in der Wirtschaft (VSW) bieten solche Seminare mittlerweile auch an.

Man könnte sich darüber hinaus auch vorstellen, dass der Dienstleister verpflichtet wird, pro Schicht mindestens einen Mitarbeiter einzusetzen, der einen ähnlichen kulturellen Hintergrund wie die Flüchtlinge hat. Oder, dass er mindestens eine Frau einsetzt, denn auch diese Massnahme kann zur Konfliktvermeidung beitragen. All das kann die öffentliche Hand schon heute problemlos von ihren Auftragnehmern verlangen, wenn sie es denn in der Ausschreibung formuliert.

Passiert das schon irgendwo in Deutschland?

Sehr, sehr selten. Ich kenne ein sehr negatives Beispiel von einem Flüchtlingsheim in Norddeutschland, wo von den Mitarbeitern erwartet wird, dass sie ausserhalb der Anwesenheit des ärztlichen Dienstes beurteilen, ob ein Flüchtling einen Rettungswagen braucht - oder ob er am nächsten Tag zum Arzt kann. Wohlgemerkt, ohne dass der Auftraggeber die hierfür eigentlich notwendigen Fachkenntnisse vorschreibt. Das heisst, dem Sicherheitsdienst werden hier plötzlich Aufgaben übertragen, für die es meiner Ansicht nach einer erheblichen medizinischen Ausbildung bedarf. Man kann nicht von jemandem, der für 8.50 Euro ein Flüchtlingsheim bewacht, erwarten, dass er beurteilt, ob jemand einen Blinddarmdurchbruch oder einfach nur etwas falsches gegessen hat. Es spricht allerdings auch nicht gerade für das beauftragte Sicherheitsunternehmen, dass es hier dem Auftraggeber nicht klarmacht, dass seine Mitarbeiter für solche Aufgaben nicht ansatzweise qualifiziert sind.

Also ist das Problem auch ein finanzielles. Denn besser ausgebildetes Personal ist natürlich teurer.

Ja, sicher. Das ergibt sich schon aus der Situation: Ich habe ein Flüchtlingsheim, ich habe traumatisierte Menschen, ich habe Menschen, die aus einem anderen Kulturkreis kommen. Und dann den Gedanken zu haben, dass ich das mit einer 0815-Ausschreibung bewältigen kann, so wie ich letztes Jahr die Bewachung meines Schützenfestes ausgeschrieben habe, das ist absurd. Es müsste jedem nach dreissig Sekunden durch den Kopf schiessen, dass in dieser Situation andere Anforderungen gestellt werden, für die die Sicherheitsmitarbeiter besser geschult und bezahlt werden müssen. Wer hier spart, hat zwar vordergründig weniger Kosten, holt sich aber dafür andere Probleme ins Haus, z.B. eine hohe Fluktuation und frustrierte Mitarbeiter.

Stephan Leukert ist Sicherheitsberater bei der VON ZUR MÜHLEN‘SCHE GmbH in Bonn. Der Dipl.-Staatswiss. (Univ.) und Sicherheitsfachwirt (FH) berät in dieser Funktion die öffentliche Hand und private Unternehmen bei der Konzeption und Ausschreibung von personellen Sicherheitsdienstleistungen. Zuvor war Herr Leukert Offizier der Bundeswehr, langjährige Führungskraft in einem grossen Sicherheitsunternehmen sowie Leiter des Werkschutzes am Hauptstandort eines international tätigen Konzerns.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.