Schuldzuweisungen, Populismus und Grabenkämpfe: Die Flüchtlingskrise droht Europa zu zerreissen. Während die einen gemeinsame Werte und die Menschenrechte beschwören, machen andere Stimmung gegen Asylbewerber und schotten sich ab. Die Positionen der EU-Länder in der Flüchtlingskrise im Überblick.

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Am Freitag beraten die Regierungschefs von Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei über ihre Flüchtlingspolitik. Die osteuropäischen Lände haben eines gemeinsam: Sie wehren sich gegen eine Flüchtlingsquote und könnten durch ihre Beratungen ein Zeichen gegen die EU setzen, welche solch eine Quote anstrebt.

Ungarn

Ministerpräsident Viktor Orban hat eine besonders harte Haltung gegen Flüchtlinge. "Er tritt die Menschenrechte mit Füssen", sagt Günter Burkhardt von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Die Aufnahmelager für Asylbewerber in Ungarn seien menschenunwürdig. Der Staat gewähre ihnen kaum Schutz, es komme zu Übergriffen von Rechtsradikalen. Die Einwanderung von Muslimen lehnt der Rechtspopulist ganz ab, lehnt Orban ganz ab. Durch den Kollaps des griechischen Asylsystems und die vermehrte Nutzung der Balkanroute ist Ungarn besonders stark von Flüchtlingen betroffen.

Auch deswegen will Orban eine rigide Abschottungspolitik seines Landes durchsetzen. Die Grenze zu Serbien wird ab dem 15. September schärfer kontrolliert. Ein entsprechendes Gesetz wurde am Freitag im ungarischen Parlament beschlossen. Zudem gilt ein illegaler Grenzübertritt ab Monatsmitte nicht mehr nur als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat. Das insgesamt zehnteilige Gesetzespaket zur Verhinderung der illegalen Einwanderung beinhaltet auch die Einrichtung von Transitzonen für Flüchtlinge direkt an der Grenze, die seit kurzem durch einen Zaun vollständig abgeriegelt ist. Die Transitzonen sollen zur serbischen Seite hin offen sein und auf der ungarischen Seite geschlossen. In ihnen sollen Flüchtlinge bis zum Ende ihres Asylverfahrens aufhalten.

Von EU-Vertretern wird Ungarns Premier für seinen Kurs heftig kritisiert. Die Flüchtlingskrise sei ein europäisches Problem und kein nationales, sagte EU-Aussenminister Jean Asselborn am Donnerstag im "Heute Journal". Damit widersprach er Orban, der am Donnerstag gesagt hatte, dass die Flüchtlingskrise vor allem ein "deutsches Problem" sei, weil die Migranten eigentlich nur dorthin wollten. Für Orbans Ablehnung von Muslimen aus vermeintlich christlichen Motiven fand Asselborn noch deutlichere Worte: "Wenn Orban ein Christ ist, dann ist Kim Il Sung auch ein Christ."

Osteuropa

Nicht nur Ungarn, auch andere osteuropäische Länder wie Tschechien, die Slowakei oder Polen wehren sich gegen die Aufnahme von mehr Flüchtlingen und stellen sich gegen eine Quote. "Die Länder Osteuropas sind es nicht gewohnt, mit Einwanderung umzugehen", erklärt Burkhardt von "Pro Asyl". Ähnlich wie in Ostdeutschland leben auch in diesen Ländern verhältnismässig wenige Menschen mit Migrationshintergrund. Vorbehalte gegenüber Ausländern und insbesondere Muslimen bis hin zu Rassismus und offenem Hass sind weit verbreitet und treffen auch Flüchtlinge.

Die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner schlug zuletzt vor, widerstrebende Länder zu mehr Solidarität zu zwingen, indem ihnen Gelder aus dem EU-Haushalt verweigert werden. Asselborn lehnt eine solche Politik ab. "Es wäre verheerend, wenn wir Sanktionen einsetzen müssten, damit Länder Menschlichkeit zeigen", betonte er im "Heute Journal".

Nach dem Treffen am Freitag haben Tschechien und die Slowakei vorgeschlagen, einen Korridor für syrische Flüchtlinge zwischen Ungarn und Deutschland einzurichten. Das hiesse aber wohl zugleich, dass Deutschland die Mehrheit der Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen muss.

Deutschland und Frankreich

Jahrelang sperrte sich Deutschland gegen eine Änderung des Dublin-Abkommens, nach dem Asylsuchende in Europa in dem Land registriert werden sollen, in das sie zuerst einreisen. Aus diesem Grund waren Staaten mit einer EU-Aussengrenze bisher deutlich stärker belastet. Nach dem Anstieg der Flüchtlingszahlen auch in Deutschland schwenkte die Bundesregierung nun um, es müsse eine grundlegende Reform der europäischen Flüchtlingspolitik durchgesetzt werden. "Das gesamte System muss neu gestaltet werden", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Asylsuchende müssten vor allem fair über die EU-Länder verteilt werden, fordert sie.

Innerhalb der Bundesrepublik werden ankommende Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt. Die Aufnahmequoten für die Bundesländer werden jedes Jahr nach der Bevölkerungszahl und Höhe der Steuereinnahmen neu festgesetzt. So nimmt zum Beispiel Nordrhein-Westfalen derzeit 21 Prozent der Asylbewerber auf, Thüringen dagegen nur 2,7 Prozent.

Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande sind sich einig: Gemeinsam fordern sie eine verbindliche Flüchtlingsquote für die EU. Nach welchen Kriterien die Asylbewerber verteilt werden sollen, steht noch nicht fest. Es ist aber davon auszugehen, dass wirtschaftliche Faktoren ebenso eine Rolle spielen sollen wie Grösse und Bevölkerungszahl eines Landes. Der Vorschlag soll am 14. September vorgelegt werden.

Grossbritannien

Auch in Westeuropa weisen viele Regierungen den Vorschlag einer Quote zurück und setzen auf Abschreckung. Dänemark halbierte kürzlich die Sozialhilfe für Asylbewerber. In Grossbritannien soll im Herbst ein Einwanderungsgesetz verabschiedet werden, das verschärfte Bedingungen für Migranten vorsieht. Dabei gehört die Insel zu den EU-Ländern mit den wenigsten Asylbewerbern.

Nach Druck von Opposition und Hilfsorganisationen, der durch die Veröffentlichung des Bildes eines ertrunkenen Kindes weiter erhöht wurde, kündigte Premierminister David Cameron nun jedoch an, tausende Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen.

Italien und Griechenland

Aufgrund seiner geografischen Lage kommen besonders viele Flüchtlinge nach Italien. Schon seit Jahren fühlt sich Italien davon überfordert und fordert daher mehr Solidarität von den EU-Partnern. Viele Asylsuchende nutzen Italien als Durchgangsstation, um zu Angehörigen in Nordeuropa weiterzureisen. Die Behörden lassen sie - auch weil sie mit dem Ansturm mancherorts überfordert sind - zum Teil passieren. Eine Quote soll das Problem lösen.

Auch Griechenland ist der steigenden Anzahl der Flüchtlinge nicht mehr gewachsen. "Die Situation auf den griechischen Inseln ist weiterhin katastrophal", berichtet Wiebke Judith, Asyl-Referentin bei Amnesty International. Bei einer Untersuchung der Organisation auf der Insel Kos habe sich gezeigt, dass die Flüchtlinge dort nicht mal Unterkunftsmöglichkeiten haben und eine Grundversorgung kaum gewährleistet werden könne. Judith fordert deswegen Soforthilfen für Griechenland. Auch griechische Politiker wollen mehr Unterstützung von der EU und sprechen sich für die Quote aus.

Quote = Lösung für die Flüchtlingskrise?

Aber bringt eine Flüchtlingsquote überhaupt etwas? Sowohl Pro Asyl als auch Amnesty International sehen den Vorschlag skeptisch. "Die Bedürfnisse der Asylbewerber werden dabei nicht berücksichtigt", sagt Amnesty-Referentin Judith. "Flüchtlinge gehen dorthin, wo sie Anknüpfungspunkte haben, also Verwandte oder Freunde", meint auch Burkhardt von Pro Asyl. Es nütze nichts, sie "kreuz und quer zu verschieben".

Reformen sind dennoch nötig. "Die aktuellen Brennpunkte sind nur Symptome eines nicht funktionierenden Asylsystems", betont Judith. "Es ist eine Schande für eine so reiche Staatengemeinschaft wie die EU." Mit dieser Sicht ist sie nicht allein. Auch EU-Minister Asselborn warnte vor einer Spaltung der Europäischen Union: "Es darf nicht zu einem Riss kommen. Das Bild Europas hat schon genug gelitten."

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