Ob anonym im Internet oder direkt vor den Flüchtlingsheimen: Es scheint, als ob sich immer mehr Menschen im Hass auf Fremde zusammen tun. Aber woher kommt die Abneigung gegen Asylwerber und Flüchtlinge? Ein Konfliktforscher versucht, Antworten zu geben.
Dampf ablassen, sich Luft verschaffen: Ressentiments auszuleben, ist wieder gesellschaftsfähig geworden. Anstatt sich für den Mangel an Selbstbeherrschung zu schämen, verteidigen so genannte Patrioten ein vermeintliches Recht auf Feindseligkeit. Verständnis für Schutzsuchende gibt es vielerorts keines. Egal, welche unvorstellbaren Strapazen diese auf sich genommen haben, um nach Europa zu kommen.
"Besorgte Bürger", die diese Bezeichnung verdienen, gibt es auch. Solche, die verunsicherte Flüchtlinge willkommen heissen mit Plakaten, Spenden, einem Lächeln und ganz konkreter Hilfe. Ihnen ist zu verdanken, dass der schlechte Eindruck, der durch einige Randgruppen entsteht, nicht ganz so negativ ausfällt. Dass aus einer Flüchtlingskrise nicht eine Krise der Mitmenschlichkeit wird. Doch warum reagieren die einen mit Hass, die anderen mit Hilfsbereitschaft?
Angst vor den Ärmsten der Armen
Besonders in Deutschland ist die Diskrepanz gross: Fast jeden Tag gibt es neue Meldungen über brennende Asylunterkünfte. 2014 zählte die Polizei in ganz Deutschland 150 Attacken auf Flüchtlingsheime. Das sind dreimal so viele Brand- und Sprengstoffanschläge auf Gebäude und Angriffe auf Bewohner als 2013.
Der Bielefelder Psychologe und Konfliktforscher Andreas Zick sagte kürzlich dem Westdeutschen Rundfunk (WDR): "2014 war das Jahr der Radikalisierung unserer Gesellschaft". Sowohl am rechten wie auch am linken Rand seien die Einstellungen extremer geworden. Aber auch die Mitte der Gesellschaft verabschiede sich zunehmend von ihren gemässigten Positionen, sagt Zick.
Erklären lässt sich diese "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit", wie Soziologen das Phänomen nennen, durch viele Faktoren. Einer davon ist die "Notwendigkeit einer Spannungsentladung". "Unechte Konflikte" dienen als Ventil, um den Dauerfrust über Stress in Job und Familie loszuwerden. Positiver Nebeneffekt: In der Frustration vereint, erfahren viele ein nicht mehr gekanntes Gemeinschaftsgefühl.
Bei fehlender Solidarität gegenüber Flüchtlingen spielen ebenso Verteilungskämpfe eine Rolle. Wirkt es, als sei der Zugang zu Gütern, die Aufrechterhaltung eigener Werte und damit Statusansprüche durch die Anwesenheit von Flüchtlingen gefährdet, reagieren viele aus Angst mit Abneigung. Einige fühlen sich von als "Schmarotzer" verschrienen Flüchtlingen bedroht, die ohne Arbeit Sozialleistungen beziehen. Oder von jemandem, der nicht säkular, sondern gläubig durchs Leben geht.
Soziale Folgen der westlichen Leistungsgesellschaft
Eine unbestimmte Angst vor den neuen Nachbarn, die sich in Hetze niederschlägt, gibt es genauso in anderen Ländern. In Dänemark ist sie so gross, dass die rechtspopulistische Dansk Folkeparti bei der diesjährigen Wahl mit 21 Prozent ins Parlament einziehen konnte. Sogar in Schweden, das bekannt für seine liberale Haltung ist, nehmen Angriffe durch rechtsextreme Gruppierungen zu.
Ob sich daraus ein Trend ablesen lässt, ist schwer zu sagen. Konfliktforscher Zick vermutet eine Ursache im Selbstverständnis westlicher Demokratien. In einer Leistungsgesellschaft, in der viele sich in jahrzehntelanger Arbeit einen bescheidenen Wohlstand aufgebaut haben, sind Neuankömmlinge, die "fürs Nichtstun bezahlt werden", nicht gern gesehen. "Viele hier verstehen sich als Verlierer", fasst der Wissenschaftler zusammen. "Doch selbst wenn Gewalt gegen 'unnütze Leute' legitim scheint", ergänzt er, "widerspricht das dem, was wir eigentlich auch sind: eine Wissensgesellschaft".
Mehr Kontakt, weniger Vorurteile
Um Diskriminierung und Gewalt zu verhindern, müssen Vorurteile abgebaut werden. Und das geht am besten durch direkte Kontakte zwischen Einheimischen und Einwanderern. Dort, wo eine Mischung beider Gruppen gegeben ist, funktioniere das Zusammenleben besser, sagte der Kölner Stadtsoziologe Jürgen Friedrichs kürzlich dem Evangelischen Pressedienst und rät, Flüchtlinge in der Nähe der Mittelschicht unterzubringen. "In der gut ausgebildeten Bevölkerung gibt es tendenziell weniger Vorurteile."
Um aber Gemeinsamkeiten zu entdecken, braucht es Neugier - und Bereitschaft, sich auf Fremdes einzulassen. Doch die scheint, in Anlehnung an Zick, nicht einmal mehr unter den gebildeten Bessergestellten selbstverständlich. "Spiegel"-Redakteur Jan Fleischhauer schreibt über die "Willkommenskultur," die in jedem Asylbewerber einen Neubürger sehe. Es liege jedoch auf der Hand, dass neben dem einen oder anderen nützlichen "Herzchirurgen" einige nur kämen, um "die Gegebenheiten auszunutzen".
Dabei ahnt Fleischhauer selbst: "In Wahrheit wissen wir sehr wenig über die Menschen, die Asyl beantragen." Offen bleibt die Frage: Wie viel wir über das Schicksal dieser Menschen überhaupt wissen wollen.
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