Die EU hat am Montag dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Brüssel einen Vorschlag unterbreitet. Endlich ein Durchbruch in der Flüchtlingskrise? Die zentralen Punkte im Überblick:

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Kooperation in der Flüchtlingsfrage - das wünscht sich die EU von der Türkei. Am Montagabend legten deshalb Parlamentspräsident Martin Schulz, Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan einen Plan zur Bewältigung der Flüchtlingskrise vor.

Die EU sieht die Lösung der Flüchtlingsproblematik kurzfristig in der Begrenzung der Asylbewerberzahlen. Um das zu erreichen, sollen Flüchtlinge an den Aussengrenzen abgewiesen werden - die Türkei soll hierbei als Schlüsselland auftreten. Der Plan soll die Frage beantworten, wie die Flüchtlingszahlen verringert werden können, ohne dass am deutschen Asylrecht gerüttelt wird.

Wie funktioniert der Plan?

Die wichtigsten Punkte:

  • Die EU und die Türkei schliessen ein Rücknahmeabkommen. Das bedeutet, dass alle Flüchtlinge, die über die Türkei illegal nach Europa einreisen, wieder in die Türkei zurückkehren müssen.
  • Um illegale Einwanderer besser aufgreifen zu können, soll die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei besser überwacht werden. Frontex-Einheiten beider Länder sollen dort patrouillieren.
  • In der Türkei werden sechs neue Lager errichtet, in denen bis zu zwei Millionen Menschen untergebracht werden können. Die EU soll dafür eine Milliarde Euro in türkische Aufnahmelager investieren.
  • Deutschland soll innerhalb von einem Jahr eine halbe Million syrische Flüchtlinge aus türkischen Aufnahmelagern ausfliegen und aufnehmen.
  • Türkische Staatsbürger dürfen ab Anfang nächsten Jahres ohne ein Visum nach Deutschland reisen.

Fazit: Die Balkanroute soll bereits am Anfang gekappt und Europa somit abgeschottet werden. Die Türkei übernimmt hierbei eine Art "Torhüterrolle" und sorgt dafür, dass syrische Flüchtlinge das Land nicht unkontrolliert in Richtung EU verlassen können. Die EU will im Gegenzug in Aufnahmelager investieren und der Türkei einen Bruchteil der Flüchtlinge abnehmen. Zudem wird für türkische Staatsbürger die Visumpflicht aufgehoben.

Wer profitiert davon?

Syrische Flüchtlinge würden weniger oder kaum mehr den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer wählen, da erstens ein anderer Weg für sie offen stünde und sie zweitens befürchten müssten, wieder zurückgeschickt zu werden. Die EU-Staaten müssten ihren Grenzschutz in der Region nicht mehr aufrechthalten, da die Balkanroute schon am Anfang versperrt wäre. Die Türkei würde zum Teil bei der Flüchtlingsversorgung entlastet werden. Das Land steht aber vor der Mammutaufgabe, die Flüchtlingsmassen vor Europas politischen Grenzen zu stoppen. Ein Anreiz für die Türkei, dem Abkommen zuzustimmen, ist die Visafreiheit, die seit langem von der Türkei gefordert wird und Deutschland kurzfristig keine finanziellen Belastungen bescheren würde. Ausserdem müsste Deutschland lediglich mit der festgelegten Anzahl von 500.000 Flüchtlingen rechnen. Das deutsche Asylrecht bliebe unangetastet.

Die "European Stability Initiative" (ESI), die das Konzept entwickelt hat, erhofft sich, dass andere reiche Staaten wie die USA, Kanada und Australien dem Weg der EU folgen und beispielsweise Flüchtlinge aufnehmen, die derzeitig im Libanon Zuflucht gefunden haben.

Wie stehen die Chancen für die Durchsetzung des Plans?

Erdoğan hat sich am Montag in Brüssel mit Parlamentspräsident Martin Schulz, Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker getroffen. Wenn sich beide Seiten auf das Abkommen einigen, soll eine Ausarbeitung bis zum nächsten EU-Gipfeltreffen Mitte Oktober stehen und dann zeitnah umgesetzt werden.

Erdoğan befindet sich derzeitig im Wahlkampf. Anfang November wird das Parlament neu gewählt, der türkische Staatspräsident erhofft sich eine Mehrheit. Eine neu errungene Visafreiheit nach Deutschland spielt ihm dabei in die Karten. Die EU stellt ausserdem in Aussicht, die Türkei als sicheres Herkunftsland einzustufen - als Land, in dem keine systematischen Verfolgungen stattfinden.

Löst der Plan das Problem?

Der Plan dürfte die Flüchtlingsströme nach Europa kurzfristig unterbinden. Ein mittel- und langfristiger Effekt ist aber fraglich. Denn die Bedingungen in den Aufnahmelagern der Türkei sind nach wie vor schlecht. Kaum ein Flüchtling will länger als nötig in einer der 25 Unterkünfte bleiben. Syrische Flüchtlinge haben keine Arbeitserlaubnis und leben grossteils auf der Strasse. Solange sich an diesem Zustand nichts ändert und die Türkei den Flüchtlingen keine Perspektive bieten kann, werden diese weiter versuchen, sich nach Europa durchzuschlagen. Denn die existenziellen Probleme der Flüchtlinge, die teilweise unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, löst der Plan nicht.

Die Balkanroute ist die wichtigste Fluchtstrecke nach Österreich, Deutschland und Schweden. Allein im September wählten diese Route 100.000 Menschen - vor allem Syrer, Afghanen und Pakistaner. Auf kleinen Booten gelangen sie auf die Inseln Lesbos, Kos, Samos und Chios. Von dort bringen sie Schleuser aufs griechische Festland. Dann wandern sie über Mazedonien nach Europa.

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