Europa diskutiert über die Verteilung von Flüchtlingen und immer wieder gerät Ungarn in die Kritik. Bei "Anne Will" nahm der ungarische Minister Zoltán Balog zum Einsatzes von Wasserwerfern und Tränengas gegen Asylsuchende Stellung – wenig überzeugend. Der deutsche Innenminister wiederum verteidigt den Entschluss, vorübergehend wieder Grenzkontrollen durchzuführen.

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Kritische Blicke, bohrende Nachfragen, ablehnendes Kopfschütteln: Zoltán Balog, der ungarische Minister für gesellschaftliche Ressourcen, hätte wahrscheinlich selbst gerne die Flucht ergriffen, als in der Talkshow von Anne Will das geballte Unverständnis auf ihn einprasselte. Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziére warf ihm in der Behandlung von Flüchtlingen fehlendes "Mass" vor.

Der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn nannte den Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern an der serbisch-ungarischen Grenze "nicht angemessen" und erklärte, dass die Flüchtlinge nirgendwo in Europa "so schlecht behandelt werden wie in Ungarn." Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, bezeichnete jene Bilder als "nicht besonders menschenwürdig". Und Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung hält die Situation in Ungarn gar für "abschreckend, misslich und empörend."

Schnell hatte sich die Runde auf ihren Schurken geeinigt – und der ungarische Minister war mangels nachvollziehbarer Argumente kaum in der Lage, seine Rolle abzustreifen. Er sagte, seine Regierung fühle sich von der Europäischen Union im Stich gelassen und betonte, dass sich Polizisten verteidigen müssten, "wenn sie angegriffen werden." Jean Asselborn blieb dabei: "Die Ungarn schicken Bilder in die Welt, die Europa sehr weh tun. Es wäre auch anders gegangen."


Minister: Ungarn wird Quote akzeptieren

Neben den Verfehlungen Ungarns geriet auch das grosse Ganze nicht aus dem Blick. Die mangelnde Bereitschaft aller osteuropäischen Staaten, sich zu einer geregelten Aufnahmequote für Flüchtlinge und zu einem festen Verteilungsschlüssel zu bekennen, hatte innerhalb der EU zuletzt für Zoff gesorgt. Bei Anne Will verteidigte Balog diese Position. Wenn Deutschland bereit sei, seine Gesellschaft durch die Flüchtlinge zu ändern, sei das Deutschlands gutes Recht, aber "wir wollen nicht, dass sich unser Land verändert. Das ist unser gutes Recht", betonte der Minister.

Er machte dann doch noch ein überraschendes Zugeständnis: Ungarn werde eine Quote akzeptieren, sollte sie verpflichtend eingeführt werden, weil die Quote dann "europäisches Recht" sei. Mögliche Sanktionen gegen Verweigerer, wie die Kürzung von Förderprogrammen, brachte nur Göring-Eckardt ins Spiel – diesen Ball nahm niemand auf.


Auf einem Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs in der kommenden Woche und auf der Konferenz der EU-Innenminister Anfang Oktober steht die Quote auf der Tagesordnung. Innerhalb Europas sei in der Frage der Solidarität noch "Luft nach oben", betonte Jean Asselborn und äusserte sich zugleich zuversichtlich. "Nächsten Dienstag wird ein Beschluss gefasst. Es ist nicht alles morsch und faul in Europa. Wir werden die Länder, die sich noch weigern, mit viel Geduld überzeugen."

De Maizière: "Können nicht jeden willkommen heissen"

Der deutsche Innenminister verteidigte unterdessen noch einmal die Entscheidung Deutschlands, vorübergehend wieder Grenzkontrollen durchzuführen. "Wir können nicht jeden willkommen heissen. Wir brauchen weder eine Abschottung, noch eine vollständige Einladung an alle in der Welt nach Deutschland zu kommen. Das geht nicht", sagte de Maizière.

Ziel der Grenzkontrollen sei es gewesen, wieder ein geordnetes Verfahren bei der Aufnahme von Flüchtlingen herzustellen. Sein ungarischer Ministerkollege stimmte zu: "Das ist genau das, was wir haben wollen: ein geordnetes Verfahren." Heribert Prantl warf der Orban-Regierung dagegen vor, die UN-Menschenrechtscharta und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu verletzten, weil sie keine Muslime aufnehmen wolle. Selbst CDU-Mann de Maizière räumte ein, die Angst vor einer Überfremdung durch den Islam sei "Unsinn." Die Gefahr gehe nicht von den Muslimen aus, sondern eher davon, "dass wir weniger christlich geworden sind."

Angesichts der Flüchtlingskrise kündigte er schliesslich eine bedeutende Gesetzesänderung an. "Wir werden ein grosses Gesetzespaket beschliessen", sagte der Chef des Innenressorts mit Verweis auf die angespannte Unterbringungssituation in den Kommunen. Es wird erwartet, dass durch eine Entbürokratisierung und Lockerung von Regelungen geeigneter Wohnraum für Asylbewerber dann schneller bereitgestellt werden kann. Dafür erntete er kein Kopfschütteln und auch keine kritischen Blicke.


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