Was ist wichtiger: Ein völkerrechtlicher Vertrag oder nationales Recht? Eine Volksinitiative will für die Schweiz Klarheit schaffen – und stösst im Parlament und der Zivilgesellschaft auf grossen Widerstand. Russland hat derweil nicht lange gefackelt.
Über 5000 internationale Verträge hat die Schweiz mit anderen Staaten abgeschlossen. Dieses Völkerrecht soll zukünftig dem Schweizer Landesrecht weichen, wenn es nach dem Willen der Initianten der Volksinitiative "Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)" geht.
Die Volksinitiative der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) sieht unter anderem vor, dass die Bundesverfassung dem Völkerrecht grundsätzlich vorgeht, dass die Schweiz keine verfassungswidrigen völkerrechtlichen Verpflichtungen eingehen darf und dass bei einem bestehenden Widerspruch die völkerrechtlichen Verträge geändert oder gekündigt werden. "Denn hier bestimmen wir!", ist der Slogan der Initianten, die damit ihr Kernanliegen ausdrücken: Was das Schweizer Stimmvolk entscheidet, soll gelten – egal was mit anderen Ländern vereinbart ist oder wie ausländische Gremien und Richter eine Norm auslegen.
In der Frühlingssession debattiert das Schweizer Parlament über die Volksinitiative und einen Gegenvorschlag. Dieser sieht als Alternative zur Initiative vor, dass eine umstrittene Rechtsprechung des Bundesgerichts ("Schubert-Praxis") in der Verfassung verankert wird: Schweizer Recht soll dem Völkerrecht im Einzelfall vorgehen, wenn der Gesetz- oder Verfassungsgeber bewusst vom internationalen Recht abweichen wollte. Nicht gelten soll diese Regel bei Verstössen gegen Menschenrechte. Das Parlament wird entscheiden, ob die Volksinitiative mit oder ohne Gegenvorschlag dem Volk unterbreitet wird. Am 13. März berät als Erstes die kleine Parlamentskammer.
Heftiger Widerstand gegen Initiative und Gegenvorschlag
Die Zivilgesellschaft läuft Sturm gegen Initiative und Gegenvorschlag: Universitätsprofessoren, Caritas, Amnesty International, Economiesuisse, Operation Libero – die Liste der ausgewiesenen Gegner liesse sich fortsetzen. Die umtriebige Kampagne "Schutzfaktor M" wurde 2014 sogar eigens mit dem Zweck gegründet, die Annahme der Volksinitiative "Schweizer Recht statt fremde Richter" zu verhindern. Eine breite Gegnerschaft aus Parteien von links bis bürgerlich ist der Meinung, dass die Initianten es auf eine Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) abgesehen hätten. Es drohe ein Imageschaden für die Schweiz.
Auch der Bundesrat empfiehlt dem Parlament in dringlichem Ton, die Initiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen. Der Bundesrat könne die Initiative weder im Ansatz noch in ihren Lösungsvorschlägen unterstützen, schreibt die Regierung in der Begründung, warum es keinen Gegenvorschlag braucht.
Die Rechtskommission der kleinen Parlamentskammer folgte dieser Argumentation. Eine Kollisionsklausel in der Schweizer Verfassung entbinde die Schweiz nicht von ihren internationalen Verpflichtungen, schreibt sie in ihrer Begründung. Daher brauche es keinen solchen Gegenvorschlag.
Die Schweiz ist (noch) eine Musterschülerin
Während in der Schweiz noch leidenschaftlich gestritten wird, hat Russland kurzen Prozess gemacht: Das russische Verfassungsgericht entschied 2015, dass Völkerrecht keinen Vorrang vor dem nationalen Recht hat.
Dazu muss man wissen: Russland verliert regelmässig vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR), was das Land wegen den Wiedergutmachungszahlungen teuer zu stehen kommt. Eine Kündigung der EMRK strebt Russland zurzeit nicht an, die Behörden ignorieren einfach die Urteile des EGMR.
Eine solche Strategie ist der braven Schweiz fremd. Bisher setzt sie die Entscheide des EGMR immer pflichtgetreu um. Egal für wie viel Kopfschütteln manche Urteile gesorgt haben mögen. © swissinfo.ch
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