Anfang der Woche veröffentlichte die FPÖ-Parteijugend ein Video, das sich von jenen der neofaschistischen Identitären kaum unterscheidet. Das sei alles andere als ein Zufall, meint Extremismus-Experte Bernhard Weidinger.
Soll man sich darüber aufregen? Oder nutzt die öffentliche Empörung nur jenen, zu deren politischen Geschäftsmodell die Provokation gehört? Diese Frage stellte man sich vor einigen Tagen beim Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), einer von der Republik Österreich und der Stadt Wien finanzierten Informationsstelle für politischen Extremismus. Der Anlass: Die Jugendorganisation der rechtspopulistischen FPÖ hatte ein aufwendiges YouTube-Video publiziert, das in Inhalt und Aufmachung von ähnlichen Spots der neofaschistischen Identitären kaum zu unterscheiden ist.
DÖW-Rechtsextremismus-Experte Bernhard Weidinger konnte und wollte nicht schweigen. "Die Provokation mag ein erwünschter Nebeneffekt sein", sagt er. "Aber wir sind an einem Punkt angelangt, wo sich eine in Umfragen führende Partei offensiv auf Vordenker des Faschismus bezieht." Das könne man so nicht hinnehmen.
Nicht nur, dass sämtliche männliche Protagonisten des Videos den bei jungen Rechten beliebten Scheitel mit Undercut tragen und sich ausgerechnet vor jenem Balkon am Wiener Heldenplatz filmen lassen, an dem Adolf Hitler 1938 die Annexion Österreichs durch Nazi-Deutschland verkündete.
Auch die anderen Botschaften kennt man von Rechtsaussen: Die Klage über "Genderwahn" und "Bevölkerungsaustausch", verbunden mit der Forderung nach "Remigration" von Zuwanderinnen, Zuwanderern und Flüchtlingen.
FPÖ-Jugend markiert Journalisten als Feinde
Zwischendurch werden Bilder von Menschen eingeblendet, die aus Sicht der jungen FPÖ schuld an den angeblichen Missständen seien: Bundespräsident
Demgegenüber werden historische Persönlichkeiten gestellt, die aus Sicht der jungen FPÖ Vorbilder sind: etwa Diktator António de Oliveira Salazar, der 1930 in Portugal die Demokratie abschaffte und durch eine autoritäre Ein-Parteien-Herrschaft ersetzte. Oder der Schriftsteller Ernst Jünger, ein intellektueller Wegbereiter Hitlers.
Damit hat die FPÖ unter Parteichef
Seit bald vier Jahrzehnten ist die FPÖ ein fixer Teil der österreichischen Parteienlandschaft. Der 2008 verunfallte ehemalige Parteichef Jörg Haider erkannte als Erster, wie man mit rechten und ausländerfeindlichen Provokationen Stimmen sammelt. Ein Rezept, an das sich sein Nachfolger
Die FPÖ hat sich bislang an demokratische Spielregeln gehalten – im Grossen und Ganzen
Doch bei allen Provokationen blieb die FPÖ eine weitgehend berechenbare Rechtspartei, die mehrfach Juniorpartner in Mitte-Rechts-Koalitionen mit der konservativen ÖVP war und sich im Grossen und Ganzen an demokratische Spielregeln hielt. Dazu gehörte die scharfe Abgrenzung von der "Identitären Bewegung", deren österreichischer Flügel nach Ansicht der Verfassungsschützer zumindest teilweise neonazistisch ist.
Unter Strache war freiheitlichen Funktionärinnen und Funktionären eine Mitgliedschaft bei den Identitären untersagt. Doch der frühere Vizekanzler stolperte über eine Videofalle auf Ibiza, wo er einer angeblichen russischen Oligarchin grosszügig Staatsaufträge versprach. Kurz folgte ihm der gemässigte Norbert Hofer, ehe der rechte Hardliner Herbert Kickl vor zwei Jahren zum neuen Parteichef ernannt wurde. Und seitdem ist die FPÖ massiv nach rechts gewandert.
Kickl mobilisierte gegen die Corona-Massnahmen der konservativ-grünen Bundesregierung, riet von Impfungen ab und empfahl im Krankheitsfall das Pferdentwurmungsmittel Ivermectin. Dass Österreich den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verurteilt, hält er für unvereinbar mit der Neutralität; Kickl fordert die sofortige Aufhebung der Sanktionen gegen das Putin-Regime. Nicht nur in dieser Frage kooperiert die FPÖ eng mit der deutschen AfD.
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Stocker: Kickl "Sicherheitsrisiko für die innere Sicherheit in unserem Land"
Inzwischen hat die konservative ÖVP eine neuerliche Koalition mit der Rechtsaussenpartei ausgeschlossen – zumindest auf Bundesebene. "Kickl hat die Identitären in der FPÖ salonfähig gemacht. Er ist ein Sicherheitsrisiko für die innere Sicherheit in unserem Land", reagierte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker als Reaktion auf das Video.
Vor einem harten Schnitt schrecken die Konservativen aber zurück: Schon seit einigen Jahren regieren sie im Bundesland Oberösterreich mit der FPÖ, dieses Jahr haben sie die Partei auch in Niederösterreich und Salzburg in die Regierung geholt.
Ganz möchte die konservative ÖVP nicht auf die rechte FPÖ als Mehrheitsbeschafferin verzichten. Auch deshalb sei es wichtig, das Video der Parteijugend zu thematisieren, sagt DÖW-Experte Weidinger.
Denn zufällig sei darin gar nichts. Nicht die Frisuren, nicht der Hitler-Balkon, nicht das Bild des Diktators Salazar, der politische Gegner einsperren, foltern oder ermorden liess. "Man muss davon ausgehen, dass sich die Urheber des Videos jede einzelne Einstellung überlegt haben. So etwas passiert einem nicht einfach", sagt Weidinger.
Er ist überzeugt, dass sich das rechte Machwerk in erster Linie an die eigene Partei richtet – und zwar an jenen moderaten Flügel, der mit dem extremen Rechtskurs unter Kickl nicht einverstanden ist. "Das ist eine Botschaft an parteiinterne Kritiker, dass sie auf verlorenem Posten sind". Zugleich adressiere die junge FPÖ all jene, die sich rechts der Partei verorten: "Es ist eine Solidaritätsadresse an die ausserparlamentarische extreme Rechte", glaubt Weidinger. Die Ähnlichkeit der FPÖ-Protagonisten zu den Identitären sei kein Zufall.
Wie aber sollte man auf solche Provokationen reagieren? "Auf keinen Fall hysterisch", rät Weidinger. Übertriebene Aufregung nutze den Produzenten des Videos tatsächlich. Aber eben auch nicht schweigen. Denn immerhin sei – wieder einmal – eine Grenze überschritten worden. Zumindest moralisch.
Eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft sei wohl zwecklos: "Ein Naheverhältnis zu verfassungswidrigen Bestrebungen ist offenkundig. Aber ich wäre sehr überrascht, wenn hier ein Straftatbestand vorliegen würde." Denn letztlich, davon ist Weidinger überzeugt, würden die Urheber des Videos ziemlich genau wissen, wie weit sie gehen können.
Verwendete Quellen:
- Telefonat mit Bernhard Weidinger
- Werbevideo der FPÖ-Jugend
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