In der Fragestunde "Direkter Draht" spart Russlands Präsident Wladimir Putin nicht mit plakativen Aussagen zur Ukraine-Krise. Die Regierung in Kiew ziehe die Ukraine in den Abgrund, der Westen werde sich hinsichtlich der Gasversorgung wohl kaum "ins eigene Fleisch schneiden" und die Menschen auf der Krim seien "in echter Gefahr" gewesen. Doch wie viel Wahrheitsgehalt steckt darin?

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Einmal im Jahr stellt sich Kremlchef Wladimir Putin in der Fragestunde "Direkter Draht" live im russischen Fernsehen den Fragen seiner Bürger. Dabei wies er die Verantwortung für die Situation in der Ostukraine von sich und erklärte, man müsse endlich einen "echten Dialog" miteinander führen. Gleichzeitig versprach er umfassende Investitionen auf der Krim. Rund 2,5 Millionen Fragen schickten Zuschauer und Zuhörer dieses Mal per Telefon, Internet und SMS an den russischen Präsidenten. Übertragen wurde die stundenlange Livesendung auf mehreren staatlichen Fernseh- und Radiokanälen.

Die Menschen auf der Krim waren in Gefahr

"Wir hätten nichts anders machen können", urteilt Putin über den Einsatz auf der Krim. Eine Militäraktion oder Annexion der Krim sei nie geplant gewesen - man habe "auf Basis der politischen Realität" entschieden, zu handeln.

US-Aussenminister John Kerry hatte vergangene Woche von "russischen Provokateuren und Agenten" als Strippenzieher gesprochen. Hinter der Eskalation auf der Krim stehe vor allem Russland. Ähnlich äusserte sich der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, demzufolge es "viele Anzeichen" dafür gibt, dass Russland die Unruhen in der Ukraine schürt.

Nach Ansicht des Osteuropa-Experten Stephan Meuser wurden die Bewohner der Krim oder der Ostukraine keineswegs unterdrückt oder wären in Gefahr gewesen: "Es gab keinerlei Provokation oder Aggression aus Kiew, die als Vorwand tatsächlich für einen völkerrechtlich belastbaren Grund herhalten könnte", sagte er im Gespräch mit unserem Portal.

Russland verweist hingegen immer wieder auf die rechtsnationalistischen Kräfte in der Ukraine und seine Pflicht, das Leben russischer Bürger im benachbarten Ausland zu schützen. Man befürchte Übergriffe auf die Bevölkerung.

Beim Referendum auf der Krim lief alles korrekt ab

"Wir haben dafür gesorgt, dass die Bewohner der Krim sicher sind und ihren Willen kundtun können", sagte Putin. Eine "klare, überwältigende Mehrheit" habe sich für einen Anschluss an Russland ausgesprochen - und dabei sei alles korrekt abgelaufen.

Die UNO hält dem entgegen, die Menschenrechte seien während des Referendums auf der Halbinsel missachtet worden. Es gebe "glaubwürdige Berichte über Schikanen, willkürliche Festnahmen, Folter von Aktivisten und Journalisten, die das Referendum nicht unterstützen", heisst es in einem Berichtsentwurf des Generalsekretär-Assistenten für Menschenrechte der UN, Ivan Simonovic.

Demnach wurden Aktivisten in der Zeit vor der Abstimmung im April verschleppt und später wieder freigelassen - im Fall von Krimtatar Reschat Ametow "mit offensichtlichen Folterspuren, mit Handschellen gefesselt und mit Klebeband über dem Mund". Ametow war Anfang März entführt worden. Zwei Wochen später war er tot, seine Leiche mit Verletzungen übersät.

Es findet ein Genozid an Russen in der Ukraine statt

Putin befürchtet einen "Genozid an Russen in der Ukraine". Die Vermutung ist keine neue: Schon 2009 hatte eine tatarische Splittergruppe einen Brief an den damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew geschickt mit der Bitte, sie gegen einen "ukrainischen Genozid" zu verteidigen.

Die Vereinten Nationen sehen indes keine Hinweise auf systematische Übergriffe auf die russischstämmige Bevölkerung in der Ostukraine. Anderslautende Berichte seien aufgebauscht, schreibt die UN-Menschenrechtsbehörde.

"Auch wenn es ein paar Angriffe auf die ethnisch russische Gemeinschaft gab, waren sie weder systematisch noch weit verbreitet", stellt der UN-Bericht fest. Die Vereinten Nationen forderten die Regierung der Ukraine dazu auf, auch Minderheiten an der Entscheidungsfindung zu beteiligen.

Im Osten der Ukraine sind keine russischen Einheiten stationiert

"Es gibt im Osten der Ukraine überhaupt keine russischen Einheiten", betonte Putin in der Fragestunde. "Es gibt keine Geheimdienste und keine Instrukteure." Der beste Beweis dafür sei, "dass die Leute sich - im wahrsten Sinne des Wortes - die Masken vom Gesicht gerissen haben". Vorwürfe, das russische Militär steuere die Separatisten, wies er scharf zurück.

Schon in seinem Telefongespräch mit US-Präsident Barack Obama hatte Putin eine Einmischung in der Ostukraine bestritten. Dies seien Spekulationen, die auf ungenauen Informationen beruhten, sagte er dem Kreml zufolge.

Obama hatte sich sehr besorgt darüber gezeigt, dass die Regierung in Moskau die prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine unterstütze. Auch in der EU wuchs in den vergangenen Tagen der Verdacht, Russland interveniere in der Ostukraine mit Sicherheitskräften, um - ähnlich der Krim - eine Abspaltung vorzubereiten. Die Ereignisse seien "sehr, sehr ähnlich", sagte etwa der niederländische Aussenminister Frans Timmermans. "Wenn es aussieht wie ein Pferd und wenn es geht wie ein Pferd, ist es üblicherweise ein Pferd und kein Zebra."

Die Nato bedroht Russland

"Wir werden geduldig sein und alles tun, um die Sicherheit der Russen zu garantieren", erwiderte Putin. Russland beobachte die Erweiterung der Nato genau. Amerikanische Abwehrraketen, die in Europa stationiert sind, zielten auf Russland - auch wenn dies niemand zugeben wolle, kritisierte der Kremlchef. Wenn militärische Einheiten der Nato bei einer Erweiterung an russische Grenzen heranrückten, müsse Moskau reagieren.

Putin bezog sich in seiner Kritik unter anderem auf ein Dokument, das die USA angeblich nicht unterzeichnen wollten. Darin sei es darum gegangen, Russland zuzusichern, dass Raketenabwehrsysteme in Polen und Tschechien nicht gegen sie eingesetzt werden würden. "Nicht einmal das wollten sie tun", schimpfte der Kremlchef.

Wegen der Eskalation in der Ukraine hatte die Nato am Mittwoch ihre Truppen in Osteuropa verstärkt - zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Schiffe werden nach Angaben von Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen "in die Ostsee, in das östliche Mittelmeer und nötigenfalls anderswohin" verlegt. Zudem überarbeite man die Verteidigungspläne.

Von einer Drohung ist jedoch keine Rede: Das Militärbündnis reagierte mit dem Schritt auf Bitten der baltischen Mitglieder Litauen, Lettland und Estland - einstige Sowjetrepubliken - sowie Polens und Rumäniens. Russland hatte an der Grenze zur Ukraine zuvor nach Angaben der Nato zehntausende Soldaten zusammengezogen.

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