Zwei Jahre lang lebte Frankreich im Dauer-Ausnahmezustand. Wegen der Terrorgefahr galten Einschränkungen der Bürgerrechte, deren Befristung mehrmals verlänger wurde. Nun wird der Ausnahmezustand zum 1. November beendet – doch einige seiner Bestimmungen sind gleichzeitig Gesetz geworden.

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Aus welchem Anlass wurde der Ausnahmezustand verhängt?

Auslöser waren die Anschläge vom 13. November 2015. Der "Islamische Staat" bekannte sich zu brutalen Angriffen auf Bars, Restaurants, den Konzertsaal Bataclan und ein Fussball-Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland mit 130 Toten und 350 Verletzten.

Schon im vorangegangen Januar hatten Attentäter die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo gestürmt. Sie töteten dort und auf der Flucht insgesamt zwölf Menschen.

Ziel des Ausnahmezustandes war es, Polizei und Militär schnellere und flexiblere Reaktionen zu gestatten.

So hat es in den vergangenen Jahren Tausende von Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit Terrorismusverdacht gegeben – allerdings kam es nur in fünf Fällen zu Ermittlungen

Weshalb wurde der Ausnahmezustand immer wieder verlängert?

Weniger als ein Jahr nach dem Bataclan-Anschlag wurden am 14. Juli 2016 in Nizza mehr als 80 Menschen getötet und mehr als 400 verletzt, als ein islamistischer Attentäter mit einem Lastwagen durch eine Menschenmenge fuhr.

Zwischen diesen beiden grossen Anschlägen ereigneten sich mehrere weitere – in diesen Fällen gab es Tote nur auf Seiten der Attentäter. Und auch nach Nizza kehrte keine Ruhe ein - am 1. Oktober 2017 tötete ein Mann in Marseille zwei Menschen.

Welche Massnahmen greifen nach Beendigung des Ausnahmezustandes?

Der französische Präsident Macron hat am Montag ein neues Antiterror-Gesetz unterschrieben.

Einige Regelungen des Ausnahmezustandes wurden in die Gesetzgebung übernommen.

Die Behörden können nun zwar nicht mehr, wie unter dem Ausnahmezustand, Hausarreste gegen mutmassliche Gefährder verhängen – sie können diese aber daran hindern, ihre Gemeinde zu verlassen.

Auch Hausdurchsuchungen sind bei Terrorverdacht weiterhin möglich, wenn ein Richter sie genehmigt hat.

Die Behörden können religiöse Einrichtungen für bis zu sechs Monate schliessen, wenn dort zu Hass aufgerufen wird.

Umfangreiche Polizeikontrollen sind beispielsweise an Bahnhöfen und Flughäfen möglich. Sogar private Sicherheitsdienste dürfen in der Umgebung potenzieller Anschlagsziele Leibesvisitationen vornehmen, Fahrzeuge durchsuchen und Verdächtigen den Zutritt verwehren.

Ist Frankreich weiterhin stark gefährdet?

Julie Hamann, Wissenschaftlerin im Frankreich-Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, bejaht im Gespräch mit unserem Portal diese Befürchtung. Frankreich sei "in Syrien und im Irak politisch sehr präsent", dort sind auch französische Soldaten im Einsatz.

Ausserdem habe Frankreich nach wie vor "ein grosses Problem mit der Radikalisierung von jugendlichen Migranten." Insofern gehöre das Land zu den europäischen Staaten, die als "Zielscheibe der Islamisten" gelten könnten. Hamann: "Die Gefahrenlage scheint mir unverändert."

Welche Kritik gibt es an diesen Massnahmen?

Kritik kommt vor allem von den Linken. Sie sprechen vom "permanenten Ausnahmezustand" und dauerhafter Einschränkung der Grundrechte. Viele Organisationen von Amnesty International bis zum französischen Anwaltsverein warnen vor willkürlichen Übergriffen der Sicherheitskräfte bei Terrorverdacht. Die Wissenschaftlerin Hamann: "Es gibt nicht wenige Fälle, wo durch grundlose Verdächtigungen Existenzen bedroht sind. Und wenn sich einzelne dann zur Wehr setzen, dauern die Verfahren unglaublich lang."

Gleichzeitig habe sich das Instrumentarium des Ausnahmezustands in den vergangenen zwei Jahren abgenutzt. Die Wissenschaftlerin meint, es werde "zu wenig darüber diskutiert, was die Anti-Terror-Gesetzgebung überhaupt genützt, verbessert oder verhindert hat." Kritik kommt aber auch von der anderen Seite: Teile der französischen Konservativen und des rechtspopulistischen Front National finden, dass die Massnahmen der Regierung nicht weit genug gehen.

Wie wird das in der Bevölkerung gesehen?

"Schwer bewachte Dorffeste, tausende Wohnungsdurchsuchungen, Verdächtige unter Hausarrest: Nirgendwo in Europa ist die Antwort auf den Terror so radikal wie in Frankreich", schreibt die "Zeit".

Aktuelle Umfragen zeigen, dass die grosse Mehrheit der Franzosen die Anti-Terror-Gesetze trotzdem gutheisst – 80 Prozent sind dafür. Die Terroranschläge seien "im Bewusstsein der Franzosen sehr präsent", sagt Julie Hamann. "In jeder französischen Stadt steht Militär vor Einkaufszentren und auch vor Schulen. In Frankreich hat das eine grössere Akzeptanz." Dagegen fänden die Kritiker nur sehr wenig Gehör: "Die Grundrechts-Einschränkungen betreffen nur wenige Menschen, die übrigen tun sich leicht damit, diese Massnahmen zu akzeptieren." Die Tatsache, dass mit Berufung auf den Ausnahmezustand auch Demonstrationen gegen einen Flughafenbau oder ein neues Arbeitsgesetz verboten wurden, beunruhigt nur wenige.

Wurden oder werden in Deutschland ähnliche Massnahmen erwogen?

Schon seit den Anschlägen vom 9. September 2001 in den USA wurden auch bei uns einige Gesetze verschärft oder präzisiert, die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten ausgeweitet. Die Verkündung von Warnstufen lehnt das deutsche Innenministerium aber ab. Regelmässig kommt es nach Anschlägen oder deren Vereitelung zu Diskussionen über Vorratsdatenspeicherung und Videoüberwachung. Doch in der öffentlichen Meinung überwiegt mehrheitlich die Skepsis gegen staatliche Überwachung.

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