Frankreich hat wieder eine Regierung. Allerdings zeigt die Liste der Regierungsmitglieder: Die schlimmste französische Regierungskrise der jüngeren Zeit ist noch längst nicht überwunden.

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Frankreich hat links gewählt - aber nun eine konservativ ausgerichtete Regierung bekommen. Seit den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juli wurde zweieinhalb Monate lang um die Zusammensetzung des neuen Kabinetts gerungen.

Die nun am Ende der zähen Verhandlungen am Samstagabend vom Elysée-Palast präsentierte Liste der Regierungsmitglieder zeigt allerdings, dass die schlimmste französische Regierungskrise der jüngeren Zeit längst nicht überwunden ist. Dem einst so erfolgreichen Präsidenten Emmanuel Macron stehen schwierige Zeiten bevor.

Denn das linke Lager, das bei der Wahl die relative Mehrheit gewonnen hatte, sieht sich durch den Rechtsruck in der Regierungsbildung seines Sieges beraubt. So sprach der sozialistische Parteichef Olivier Faure von einer "reaktionären Regierung, die der Demokratie den Stinkefinger zeigt". Sowohl der sozialistische Ex-Präsident François Hollande als auch der Vizechef des rechtspopulistischen Rassemblement National, Sébastien Chenu, brachten umgehend Misstrauensvoten gegen die neue Regierung ins Spiel.

Emmanuel Macrons Experiment, das viele faszinierte

Macron war einst angetreten mit dem Leitspruch "Sowohl als auch". Er wollte in einem politischen Experiment, das viele faszinierte, die Grenzen zwischen rechtem und linkem Lager sprengen. Seine Weggefährten holte er sich von allen Seiten. Eine Weile ging das gut, die Französinnen und Franzosen waren von ihrem unkonventionellen Präsidenten begeistert.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis innerhalb der Macron-Bewegung die alten Gräben wieder aufrissen. Vor allem aber bekamen radikale, populistische Parteien immer mehr Aufwind - am linken Rand das Unbeugsame Frankreich (La France Insoumise, LFI), am rechten Rand der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen.

Die beunruhigende Weltlage, die von den Kriegen in der Ukraine und in Nahost sowie dem Klimawandel bestimmt ist, treibt auch in Frankreich den Parteien mit einfachen Antworten und Sündenbock-Schablonen scharenweise Wählerinnen und Wähler in die Arme.

Eine Nationalversammlung, in drei Blöcke gespalten

Der RN war schliesslich so stark, dass er bei der Europawahl im Juni haushoch gewann. Das können die Wähler nicht wirklich so gemeint haben, schien Macron gedacht zu haben - und rief überraschend vorgezogene Parlamentswahlen aus. Doch die Wähler hatten es offensichtlich doch so gemeint, in der ersten Runde der Parlamentswahl stimmte jeder Dritte für den RN.

Vor der zweiten Runde zogen sich dann viele Kandidatinnen und Kandidaten des Linksbündnisses und des Macron-Lagers zugunsten des jeweils Anderen zurück, um einen Durchmarsch der Rechtspopulisten zur Macht zu verhindern. Das gelang: Obwohl der RN sein bislang bestes Ergebnis erzielte, landete er nur auf dem dritten Platz.

Aus der Wahl ging eine in drei Blöcke gespaltene Nationalversammlung hervor: das linke Lager, das bisherige liberale Regierungslager und Le Pens Rechtspopulisten. Diese Spaltung erschwerte die Bildung der neuen Regierung massiv, schon die Ernennung des Premierministers war schwierig. Dass Macron mit Michel Barnier ausgerechnet einem Konservativen das Amt übertrug, brachte ihm viel Unwillen ein, auch in den eigenen Reihen.

Themen, die die Rechtspopulisten bewegen: Einwanderung und innere Sicherheit

Bis zur letzten Minute wurde am Samstag noch darüber verhandelt, wer sich an der Regierung beteiligt - und wie diese aufgestellt sein muss, um nicht sofort über ein Misstrauensvotum zu stürzen. Die linke Opposition kündigte gleichwohl umgehend an, die neue Regierung schnellstmöglich absetzen zu wollen.

Allein hat sie dafür allerdings nicht genügend Stimmen. Doch wenn der RN mitstimmt, ist die neue Regierung Geschichte. Um dies zu verhindern, dürfte Barnier sich verstärkt den Themen zuwenden, die die Rechtspopulisten bewegen: Einwanderung und innere Sicherheit.

Macrons Handlungsfreiheit ist damit erheblich eingeschränkt. Der Präsident dürfte Schwierigkeiten haben, in seiner verbleibenden Amtszeit noch grössere Reformen durchzusetzen. Die nächste Präsidentschaftswahl findet 2027 statt, er selbst kann dann nicht mehr antreten. Le Pen hingegen will es zum vierten Mal versuchen - und hat derzeit bessere Aussichten als je zuvor. (afp/bearbeitet von ff)

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