Anfangs Mai 2018 machte in internationalen Medien eine breit angelegte Studie zum Wahlverhalten nach Geschlecht die Runde. Demnach wählen Frauen linker als Männer.
Das sei namentlich in Schweden, Norwegen und den Niederlanden seit Längerem der Fall. Der Trend zeigte sich auch bei den letzten Schweizer Parlamentswahlen 2015.
Das Fazit dieser Studie (hier in einer erweiterten Fassung): Frauen wählen heute mehr links, weil sie sozial-, umwelt- und geschlechterpolitisch progressiver denken als Männer.
Das ist aber kein Gesetz, denn in Irland, Italien und Belgien lässt sich davon nichts finden.
Den ""gender gap"" im Wahlverhalten kennt hingegen auch die Schweiz. Gemäss Wahlforschungsstudie "Selects" zu den Nationalratswahlen 2015 wählten mehr Frauen als Männer die Grünen, resp. die Sozialdemokraten.
Bei Grünliberalen und Christlichdemokraten herrschte Gleichstand, während Schweizerische Volkspartei, Freisinn und die Bürgerlich-Demokratische Partei mehr von Männern gewählt wurden (siehe Parteien-Box).
Neueste Forschungsergebnisse zur Schweiz
Anfang Woche haben die Studentinnen und Studenten der Politikwissenschaften an der Universität Zürich ihrerseits neueste Forschungsergebnisse präsentiert. Es sind dies die Früchte einer Veranstaltung zu den Schweizer Parlamentswahlen 2015, die von Silja Häusermann, Professorin für Schweizer Politik, und Assistent Thomas Kurer durchgeführt wurde.
Dazu zählte auch die Arbeit von Mia Eichmüller. Sie ging den Ursachen des geschlechtsspezifischen Wahlverhaltens in der Schweiz auf den Grund.
In ihrer bemerkenswerten Untersuchung kommt die junge Autorin zu folgenden Schlüssen: Entscheidend sind Einstellungen in Fragen zur Sozialpolitik, Umweltpolitik und Geschlechterpolitik. Wer beispielsweise für mehr Elternurlaub, für den Ausstieg aus der Atomenergie oder mehr Lohngleichheit ist, wählt linker. Das ist sowohl bei Schweizer Frauen wie auch bei Männern so.
Bei Frauen ist jedoch die Zahl der Personen mit solchen Meinungen häufiger als bei Männern, so die Autorin weiter. Die Unterschiede im Wahlverhalten gehen also auf die ungleiche Verteilung der Meinungen zurück.
Andere mögliche Erklärungen spielen dagegen keine Rolle. Das gilt namentlich für den Zivilstand oder die Integration im Arbeitsmarkt. Sie begründen keine Unterschiede.
Allgemeine Erkenntnisse zu Westeuropa
Eingebettet in die allgemeine Forschungslandschaft, kann man eine noch tiefergreifende Erklärung vermuten. Es ist die Rede vom "modern gender gap". Gemeint ist damit, dass sich junge Frauen von heute vor allem von jungen Frauen von früher unterscheiden. Das führt namentlich bei den jungen Frauen zu einem wachsenden Anteil an Linkswählerinnen. Ausgeprägt findet sich das in Schweden und Island, neuerdings auch in Österreich.
Sozialwissenschafterinnen wie Rosalind Sharrocks von der University of Manchester begründen dies mit dem Nachlassen von Religiosität. Mit anderen Worten: In nachrückenden Generationen entwickelten sich in Europa sozialkonservative Werte rückläufig.
Dagegen gewinne eine sozialliberale Grundhaltung an Resonanz. Auf die Geschlechter bezogen bedeutet das: Eine höhere Zustimmung zu Umverteilungsforderungen bei Frauen,während Männer häufiger darauf pochten, dass Eigenverantwortung die Politik leiten sollte.
Schweizer Besonderheiten im Vergleich
In der Schweiz greift das europäische Schema nicht eindeutig. Das hat mit den Positionen von CVP und FDP in den drei sensiblen Themenbereich zu tun. Die FDP ist wirtschaftsnaher aufgestellt als ihre Schwesterparteien in Europa. Dafür hat hierzulande die CVP gerade in Fragen der Geschlechter-, Umwelt- und Sozialpolitik einen bemerkenswerten Wandel hinter sich.
Jüngst brachte die CVP-Bundesrätin Doris Leuthard den Stand der Diskussionen schön zum Ausdruck. In einem Interview meinte sie, der Bundesrat (Schweizer Regierung) habe mutiger politisiert, als 2010 und 2011 erstmals vier Frauen drei Männern gegenübersassen. "Beim Atomausstieg etwa war das Frauenmehr entscheidend", diktierte sie der NZZ am Sonntag ins Notizbuch.
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