Diese Frauenpower ist in der Diplomatie ungewöhnlich. Christine Schraner Burgener ist nicht nur die erste Frau an der Spitze der Schweizer Botschaft in Berlin. Heute werden alle Abteilungen in der Botschaft von Frauen geleitet. Das Diplomatinnen-Team im Interview.

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Ein kurzer Blick zurück: Bis in die achtziger Jahre hinein waren Frauen in Spitzenpositionen des diplomatischen Dienstes der Schweiz so rar wie in der Wirtschaft. Bern forderte von Diplomatinnen sogar, ledig zu bleiben – oder auszuscheiden. Das klingt heute wie eine Sage aus der fernen Vergangenheit.

Doch für die Generation von Christine Schraner war sie greifbar nah. Die Juristin begann 1991 ihre Ausbildung in Bern. Ihr Jahrgang setzte sich damals aus 3 Frauen und 11 Männern zusammen. Bei der Erinnerung an das damals noch herrschende traditionelle Frauenbild und so manchen herablassenden Spruch der Kollegen schüttelt sie heute fast ungläubig den Kopf: "Was waren das nur für Zeiten."

Nun sitzt die Botschafterin mit ihren Abteilungsleiterinnen für ein Gespräch über dieses Thema in ihrem modernen Büro mit Blick auf Reichstag und das Berliner Kanzleramt. Wie ergeht es Frauen heute im diplomatischen Dienst der Schweiz? Welche Erfahrungen haben sie gemacht? Welche Kompromisse sind sie eingegangen?

Mit dabei sind Rascha Osman, Leiterin der Abteilung Kultur, Fabienne Aemisegger, Leiterin der Abteilung Wirtschaft, Finanzen und Wissenschaft sowie Esther Neuhaus, stellvertretende und derzeit auch Interim-Leiterin der Abteilung Politik & Medien. Es ist eine entspannte Runde mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen, Karrieren und Biographien (siehe Kästen). Ledig, verheiratet, mit und ohne Kinder. Christine Schraner Burgener wurde 1963 geboren, Fabienne Aemisegger ist mit 35 Jahren die Jüngste in dieser Runde.

Von Parität noch weit entfernt

Dass heute mehr Frauen führende Positionen in der Diplomatie bekleiden, ist auch Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zu verdanken. Sie rekrutierte ab 2006 jeweils gleich viele Frauen wie Männer für den diplomatischen Dienst. Heute stellen Frauen meistens die Hälfte der Ausbildungsjahrgänge.

Auch wenn das EDA seit Anfang Dezember 2016 nun eine Staatssekretärin hat, ist man an der Spitze von einer Parität noch weit entfernt. Nur zwei der wichtigsten Schweizer Botschaften werden derzeit von Frauen geleitet. Und auch das gesellschaftliche Bewusstsein wandelt sich nur langsam.

Erstaunt stellte die Botschafterin Ende 2015 nach ihrem Wechsel von Bangkok nach Berlin fest, dass hier Frauen in hohen Positionen immer noch Aufmerksamkeit erregen. "Sechs Jahre lang bin ich in Thailand nicht ein einziges Mal darauf angesprochen worden", sagt Christine Schraner. Nun höre sie immer wieder: "Wow, das sind ja alles Frauen hier."

Schraner: "Traurig, dass das immer noch ein Thema ist"

"Na und?", entgegnet sie dann. Früher habe doch auch niemand angemerkt, dass nur Männer die Botschaft und ihre Abteilungen leiten. "Es ist doch traurig, dass das immer noch ein Thema ist", findet die in Tokio aufgewachsene Diplomatin. Sie wünscht sich in dieser Frage einfach mehr Selbstverständlichkeit.

Seit 25 Jahren nutzt sie viele Stellschrauben, um mehr Chancengleichheit in der einst sehr männerdominierten Diplomatie zu erreichen – ohne viel Lärm, aber mit Nachdruck. In Bern drängte Christine Schraner bereits Anfang der 90er-Jahre auf die Einsetzung einer Gleichstellungsbeauftragten. Sie kämpfte für die Möglichkeit der Teilzeitarbeit und des Job-Sharings und praktizierte dieses selbst mit ihrem Mann in Bern, Dublin und Thailand.

Als junge Diplomatin gründete sie ein Frauen-Netzwerk, aus dem ein Verein wurde, und unterstützt und ermutigt nun als Mentorin jüngere Kolleginnen. Sie liebt es, Rollenklischees gegen den Strich zu bürsten. 2002, da war sie Leiterin der Sektion Menschenrechtspolitik, entschied sie sich bewusst für einen männlichen Sekretär. "Weil ich die Stereotype aufweichen wollte." In Thailand stellte sie als Botschafterin dann gegen viele Einwände eine weibliche Hausmeisterin ein. "Die war fabelhaft", erinnert sie sich lachend an ihren Coup.

Nicht dogmatisch

Und nun fördert sie in der Schweizer Botschaft in Berlin weibliche Karrieren. Oder, so würde sie es formulieren, die Chancengleichheit. Die Diplomatin wählt ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bewusst aus "Ich nehme immer die Besten für die Position", sagt sie, egal ob Mann oder Frau.

Christine Schraner stehen heute durch die Ausbildungs-Quote mehr qualifizierte Bewerberinnen zur Verfügung. Wenn diese gleich gut sind wie ein Mann, entscheidet sie sich für die Frau. Das sei kein politisches Statement, sondern schlicht eine "Selbstverständlichkeit". Schliesslich hätten es Männer lange Zeit ebenso gemacht. Und anders als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Schraner keine Bedenken, sich als Feministin zu bezeichnen. "Natürlich bin ich Feministin, na sicher", sagt sie mit Nachdruck.

Doch sie ist nicht dogmatisch. Ihre bisherige Stellvertreterin Marion Weichelt Krupski, welche die Botschaft in Dakar übernimmt, wird im Sommer durch einen Mann ersetzt, weil der für diese Stelle am besten qualifiziert war. "Ich denke schon, dass eine Mischung auch gut ist", sagt die Botschafterin.

Die alten Vorbehalte bekam auch Rascha Osman zu spüren. Die Chefin der Berliner Kulturabteilung begann ihre Ausbildung 2007, ein Jahr nachdem die frühere Departementschefin Calmy-Rey in der Anwerbung von diplomatischem Nachwuchs gezielt für eine Erhöhung des Frauenanteils eingetreten war. "Und gleich bekamen wir zu hören, dass wir es als Frauen ja eh ganz leicht gehabt hatten, aufgenommen zu werden", erinnert sie sich.

Osman hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre internationale und Bundesverwaltungs-Erfahrung und war bestens qualifiziert. Für sie, die zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Biographie und ihrer Karriere die Entscheidung für den diplomatischen Dienst fällte, waren Geschlechterstereotype also durchaus noch ein Thema.

Auch, was sie selber betrifft. Es sei ihr anfangs nicht leichtgefallen, klar zu äussern, dass sie eine Führungsaufgabe anstrebe und ein Team leiten wolle, räumt sie ein. Vielmehr habe sie sich nach einem positiven Assessment und dem anschliessenden Personalgespräch ermutigt gefühlt, sich gezielt für Führungsaufgaben zu bewerben.

Rollenbilder wandeln sich

Anders Fabienne Aemisegger: "Ich habe früh deutlich gespürt, dass ich eine Führungsaufgabe möchte", sagt die Politologin, die 2009 gleich nach ihrem Studium ihre Ausbildung begann. Sie ist die jüngste in der Runde und überzeugt, dass Rollenzuweisungen auch in der Diplomatie langsam aufweichen. Ehrgeizige Frauen gebe es genauso wie familienorientierte Männer, "das ist wohl eher eine Typ- als Geschlechterfrage", sagt sie.

Esther Neuhaus hatte bereits zwei Kinder, als sie sich mit Unterstützung ihres Mannes für den diplomatischen Dienst entschied. "Ich habe die diplomatische Karriere nicht trotz, sondern auch wegen meiner Kinder gewählt", sagt sie. Sie lebte zuvor in Brasilien, wo sie sich während zehn Jahren auf politischer Ebene und in internationalen Verhandlungen für nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz einsetzte und auch bereits Führungspositionen wahrnahm.

Mit bereits 35 Jahren entschloss sie sich dann zu einer Bewerbung für den diplomatischen Dienst. Diplomatin, das sei ihr Traumberuf, der ihrer Familie zugleich einen Alltag jenseits der Routine biete, sagt ist. Klar, es sei eine Herausforderung, für mittlerweile drei Kinder Schule, Sportvereine und Arztbesuche in einem fremden Land zu organisieren. Da ist sie dankbar für die Unterstützung ihres Mannes und das Verständnis ihrer Chefin, die das Jonglieren zwischen Karriere und Mutterschaft aus eigener Erfahrung kennt. Und: "Kinder sind beim Einleben an einem neuen Ort durchaus von Vorteil. Sie erden einen im Hier und Jetzt", sagt sie.

Esther Neuhaus bildet in diesem Punkt eine Ausnahme: Die meisten Frauen sind zum Zeitpunkt der diplomatischen Ausbildung noch kinderlos. Später eine Familie zu gründen oder erst einmal einen Partner zu finden, der bereit ist, alle vier Jahre in ein neues Land zu ziehen, "das schränkt das Spektrum schon sehr ein", sagt Fabienne Aemisegger lachend. Aber, so ergänzt sie, "das geht auch den Männern so". Immer weniger Frauen seien bereit, ihre Karriere hinten anzustellen und dem Ehemann auf seinen Posten zu folgen. Zumal die Mehrheit der Einsatzorte dem Partner egal welchen Geschlechts keine Erwerbstätigkeit erlauben.

Das Privatleben leidet

"Das Privatleben leidet", bestätigt Kulturchefin Rascha Osman, deren Karriere sie neben Bern nach New York, Ljubljana, Brüssel, und jetzt nach Berlin führte. "Man muss sich immer wieder fragen, ob das für einen passt."

Auch Christine Schraner bekräftigt, dass sie Kinder und Spitzenjobs ohne die Unterstützung ihres Mannes, der ebenfalls im diplomatischen Dienst tätig ist, nur schwer unter einen Hut bekommen hätte. "Ich sage zu den jungen Frauen immer: 'Das Wichtigste wird sein, welchen Partner ihr euch auswählt'", sagt die Botschafterin. Denn was nützt die Frauenförderung im EDA, wenn die Traumstelle in Sicht ist und der Partner sich quer stellt.

"Am Anfang des Auswahlverfahrens stellt man sich diese mit dem Privatleben verknüpften Fragen gar nicht", sagt Fabienne Aemisegger. Das komme erst später, und nicht immer seien diese Fragen dann leicht zu lösen. Doch sie liebt die Internationalität ihres Berufs und die intellektuellen Herausforderungen. Keine der Frauen möchten ihren Job gegen einen routinierten Berufsalltag in der Heimat tauschen. Dafür ist die Diplomatie einfach viel zu spannend. "Wir haben alle das Fieber", sagt Christine Schraner Burgener lachend. "Nach drei Jahren an einem Ort fängt es an zu kribbeln."


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