In der Union sind gleich mehrere Fässer übergelaufen: Keine Führung, keine Richtung und ungeklärte Fragen destabilisieren die grösste deutsche Volkspartei. Zumindest die Führungsfrage soll mit den Kandidaturen von Norbert Röttgen, Friedrich Merz und Armin Laschet auf einem Sonderparteitag im April geklärt werden, doch schafft es die Partei mit dieser Kampfabstimmung aus der Krise? Eine Analyse über den Gesamtzustand der CDU nach Thüringen und Hamburg.

Eine Analyse

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Die CDU hat kein Problem. Sie hat gleich mehrere: Der Sündenfall in Thüringen, die Wahl-Schlappe in Hamburg, die ungeklärte Führungsfrage – ein Debakel nach dem nächsten hat die noch grösste Volkspartei Deutschlands in eine schwere Krise gestürzt. Zuletzt waren die Zeiten für die Union wohl während der Spendenaffäre Ende der 90er so düster.

"Die Lage der CDU ist ernst", gab Ex-Umweltminister Norbert Röttgen in einem Interview mit dem ZDF zu. Bundesweite Umfrageergebnisse deutlich unter 30 Prozent seien mehr als ein Alarm. Auch Jens Spahn sieht - bei der Vorstellung von Armin Laschet als Kandidat für die CDU-Führung - die Partei "in der grössten Krise ihrer Geschichte".

Sonderparteitag der CDU soll Klärung bringen

Welcher Weg - und welches Personal - soll die Union also aus der Krise führen? Ein von AKK einberufener Sonderparteitag am 25. April soll zumindest die Führungsfrage klären. Ursprünglich war der Parteitag für Dezember angesetzt, schon dieses Datum empfanden viele Unionspolitiker allerdings als zu weit in der Ferne.

Nach Norbert Röttgen haben sich mittlerweile auch Friedrich Merz und Armin Laschet aus der Deckung gewagt und ihre Kandidatur öffentlich verkündet, Spahn verzichtet. Mehr Klarheit über die Kandidaten und den Zeitplan wäre aber auch hier schon früher angebracht gewesen.

Neue Hürden in der Zukunft

Ein Sonderparteitag ist zwar das richtige Mittel der Wahl, um eine Entscheidung zu beschleunigen. Doch ein Garant für mehr Stabilität ist auch er nicht: Neue Hürden und Gefahren zeichnen sich in der Zukunft bereits ab.

Da ist zum einen das Verfahren, mittels dessen der neue Parteichef gekürt werden soll. Eine Teamlösung ist vom Tisch, das haben alle Kandidaten in ihren Statements deutlich gemacht.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fliessen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäss dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Die nun bevorstehende Kampfabstimmung könnte die Spaltung in der Union weiter vertiefen. Dabei sind die Rollen bereits klar verteilt: "Versöhner" Laschet trifft auf die beiden "Richtungsentscheider" Merz und Rötgen. Es bleibt die Frage: Können sich auch die nach einer Wahl unterlegenen Christdemokraten hinter einem neuen Parteichef des anderen Lagers versammeln?

Weil Annegret Kramp-Karrenbauers Nachfolger auch gleichzeitig aussichtsreichster Anwärter auf die Kanzlerkandidatur ist, besteht zudem die Gefahr, er könnte bis zur Bundestagswahl 2021 verschlissen sein.

Domino-Effekt stoppen

Wer auch immer das Ruder übernimmt, findet einen richtungslosen Laden vor. Prioritäten setzen dürfte angesichts der langen Aufgabenliste von Grundsatzfragen, die ausdiskutiert werden wollen, schwer fallen.

Und das darf nicht unterschätzt werden: Lange galt die CDU als Anker politischer Stabilität. Die SPD befindet sich schon seit langem im freien Fall, ein Schwächeln der CDU hat somit umso deutlichere Auswirkungen auf Gesamtdeutschland – und auch auf Europa. Um die Union aus der Krise zu führen, muss der neue Parteichef vor allem den Domino-Effekt stoppen, der in Thüringen seinen Anfang nahm.

Denn erstmals brachte die Wahl von FDP-Mann Thomas Kemmerich in Erfurt mit Stimmen der AfD und der CDU das Fass zum Überlaufen. Von einem Sündenfall und einer Zäsur war fortan die Rede.

Die Bundes-CDU schien den abtrünnigen thüringischen Landesverband nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Kanzlerin Angela Merkel nannte die Vorgänge "unverzeihlich", forderte sie rückgängig zu machen.

Kurz darauf kündigte Annegret-Kramp Karrenbauer den Rückzug von der Parteispitze an. Auch wenn sie damit das mittelfristige Ziel von mehr Stabilität in der Union verfolgt – zunächst ging ein Beben durch die CDU. Die Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz habe die CDU durch die ungeklärte Führungsfrage geschwächt, sagte AKK vor der Presse.

Chaostage in Thüringen

Die Chaostage in Thüringen nahmen weiter ihren Lauf: In zähen Verhandlungen über eine Übergangsregierung brach in der Union ein Streit über ideologische Grundsätze sowie die Abgrenzung nach Links und Rechts aus.

Während Politiker wie Daniel Günther sich eine Unterstützung von Ramelows Linkspartei in Thüringen durchaus vorstellen können, meint beispielsweise der Berliner CDU-Chef Kai Wegner "Dieser Schritt würde die Grundsätze der CDU Deutschlands verraten. Das wäre ein Stich ins Herz unserer Partei."

Angesichts der blockierten Regierungsbildung bezeichnete Robert Habeck (Grüne) die CDU in der Talkshow "Anne Will" jüngst als "bockig" und einen "Totalausfall".

Quittung: Hamburg-Wahl

Die Quittung für Thüringen gab es dann bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft. Mit dem historisch schlechtesten Landtagswahlergebnis seit 70 Jahren haben die Wähler in Hamburg mit der Union abgerechnet: Schlappe 11,2 Prozent der Stimmen erhielt die CDU und hat damit ihr Ergebnis von 2001 (26,2 Prozent) mehr als halbiert.

"Für uns als Union gibt es überhaupt nichts zu beschönigen, das ist ein historisch schlechtes Ergebnis", sagte Daniel Günther im ZDF. "Die Vorgänge in Thüringen haben nicht geholfen", kommentierte Generalsekretär Paul Ziemiak.

Gräben vertiefen sich

Die Schlappe nur mit dem Thüringen-Debakel zu erklären, greift aber zu kurz. Nicht nur hat die CDU seit langem ein Problem in Grossstädten: Die Trennlinien, die innerhalb der Union verlaufen, - beispielsweise Ost-West oder CSU-CDU, sind in letzter Zeit immer deutlicher geworden.

Der thüringische Landesverband wirkte bei der Kemmerich-Wahl abtrünnig, auch der Streit um die ultra-konservative Werte-Union steht einem einheitlichen Auftreten nach Aussen immer wieder entgegen.

CDU-Vorstandsmitglied Elmar Brok sagte in einem Interview mit der "Welt" über die Werte-Union: "Das ist wie ein Krebsgeschwür. Das muss man von vornherein mit aller Rücksichtslosigkeit bekämpfen."

Für mangelnden Zusammenhalt strafen die Wähler die Union ab. Die Trennlinien im Wählerklientel verstärken sich zunehmend: Bei den unter 30-jährigen konnte die CDU in Hamburg mit sieben Prozent so gut wie gar nicht punkten, YouTuber Rezo hat im vergangenen Jahr die Gründe erklärt.

Gelingt es der Union nun nicht, die Richtungs-, Führungs- und Perspektivlosigkeit schnell zu überwinden, drohen die nächsten Abstrafungen - und dann ist die Angst vor der politischen Versenkung durchaus berechtigt.

Verwendete Quellen:

  • ZDF heute journal: Röttgen: "Lage der CDU ist ernst"
  • Welt.de: Werte-Union "wie ein Krebsgeschwür"
  • Welt.de: Für die Kanzlerin ist Kemmerichs Wahl "unverzeihlich"
  • Morgenpost.de: Wegner: Wahl Ramelows wäre "Stich ins Herz unserer Partei"
  • Gabor Steingart: Podcast-Interview mit Michael Heym
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