Noch acht Jahre sind es bis zur Fussballweltmeisterschaft 2022 in Katar. Doch schon jetzt offenbaren sich eklatante Missstände bei den Vorbereitungen für das Spektakel. Von Zwangsarbeit und Ausbeutung der Gastarbeiter beim Bau der Stadien ist die Rede. Ein ehemaliger Arbeiter erzählt, was dran ist an den Vorwürfen.
Sklaven habe er in Katar keine gesehen, liess sich
Über Verbindungen der Menschenrechtsorganisation AI konnte Kontakt zu einem ehemaligen indischen Gastarbeiter hergestellt werden. Offen sprechen wolle er, aber ohne seinen richtigen Namen zu nennen – aus Angst vor möglichen Konsequenzen. Ravi, so sein Deckname, ist 53 Jahre alt und Vater von drei Söhnen. Im März 2013 konnte er nach sechs Jahren in Katar endlich in seine Heimat zurückkehren.
Warum haben Sie Katar verlassen, wo doch der Bauboom für die WM jetzt erst richtig losgeht?
Ravi: Ich bin 2007 nach Katar gekommen, um hier zu arbeiten und Geld zu verdienen, um meine Familie daheim zu unterstützen. Ich habe auf Baustellen gearbeitet, zuletzt an einem Umspannwerk. Allerdings haben meine Kollegen und ich nach März 2012 keinen Lohn mehr erhalten. Warum, wissen wir nicht genau. Die Firma, bei der wir unter Vertrag standen, behauptete, dass ihr Auftraggeber seinen Zahlungen nicht hinterherkomme.
Haben Sie sich in Katar anschliessend einen neuen Job gesucht?
Das ging nicht. Um im Emirat arbeiten zu können, braucht man einen Sponsor. In den meisten Fällen ist das der Arbeitgeber. Der ist dann für einen verantwortlich. Den Arbeitsplatz zu wechseln, das geht nur mit Zustimmung dieses Arbeitgebers oder mithilfe offizieller Stellen, was aber kaum gelingt. Wer ohne Erlaubnis geht, macht sich strafbar und verliert den Anspruch auf noch ausstehende Gehaltszahlungen.
Kam das denn vor, dass Ihr Lohn nicht ausbezahlt wurde?
Ja, manchmal mussten wir monatelang auf unsere Gehälter warten, konnten unseren Familien kein Geld schicken, unsere Schulden nicht bezahlen und uns selbst nicht ausreichend versorgen.
Wie sah Ihr Arbeitstag aus?
Wir mussten um sechs Uhr morgens mit der Arbeit beginnen und oft bis zu elf Stunden schuften. Mittags gab es eine Stunde Pause. Erholen konnte man sich in der kurzen Zeit nicht, auch weil es etwa im Sommer bei 40 Grad einfach zu heiss war. Wenn in unserer Unterkunft die Klimaanlage ausfiel, haben viele die Nacht auf dem Dach verbracht. Dort war es wenigstens nicht so stickig und eng. Ich war mit fünf anderen in einem drei mal drei Meter kleinen Zimmer, wir haben in Stockbetten geschlafen. In anderen Räumen waren mehr als doppelt so viele Männer.
Wussten Sie, welche Zustände Sie vor Ort erwarten würden?
In meinem Vertrag stand, dass für Verpflegung und Unterkunft gesorgt sei. Auch mit dem Gehalt war ich zufrieden. Der Vertrag sah nicht schlecht aus. Ich hatte eine offizielle Aufenthaltsgenehmigung, konnte mich frei bewegen. Andere blieben lange ohne Papiere und trauten sich nicht, das Gelände zu verlassen. Dass jedoch immer wieder unser Lohn gekürzt wurde für irgendwelche Nachzahlungen oder die Ausstattung unserer Unterbringung, hat uns alle mürbe gemacht. Beklagen konnten sich viele nicht, weil sie weder Arabisch noch Englisch sprachen. Oder wie ich einfach zu abhängig von ihren Jobs waren.
Warum haben Sie Katar erst 2013 verlassen?
Es hiess, wir müssten uns gedulden, das Geld komme noch. Als wir dann nicht mehr verpflegt wurden, wollten eigentlich alle nur noch weg. Doch unser Arbeitgeber wollte uns unsere Pässe nur gegen eine weitere Gebühr wiedergeben. Aber womit hätten wir bezahlen sollen? Erst dann haben wir uns bei den Behörden beschwert. Letztlich bin ich wohl mit einem Trick herausgekommen: Ich habe erzählt, dass meine Mutter schwer krank ist und ich sie deshalb sehen muss.
Wollen Sie es irgendwann wieder in Katar versuchen?
Nein, was soll ich da? Ich will nicht noch einmal ein solches Jahr erleben. Wer weiss, ob sich die Situation dort wirklich verbessern wird.
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