Hilfe anbieten, Korane verteilen und Geschenke bringen – auf diese Weise versuchen Salafisten derzeit in Deutschland, Flüchtlinge für sich zu gewinnen. Verfassungsschützer beobachten diese Aktivitäten genau. Sie versuchen, die Anwerbeversuche durch bessere Aufklärung von Flüchtlingshelfern zu unterbinden. Welche Gefahr geht von der radikalen Islam-Propaganda aus?
Wer gerade als Flüchtling nach Deutschland kommt, den erwartet ein geteiltes Land: Auf der einen Seite stehen die vielen Bürger, die den Heimatlosen helfen wollen, die sie jubelnd am Bahnhof empfangen, die ihnen Kleidung, Nahrung und mehr spenden. Auf der anderen Seite steht die Minderheit derer, die rechte Parolen grölen, die gegen Ausländer hetzen und Unterkünfte anzünden. Daneben gibt es noch eine dritte, bislang kaum beachtete Gruppe: Salafisten. Sie umgarnen Flüchtlinge, werben für ihr radikales Gedankengut - und wollen dadurch neue Mitglieder rekrutieren.
Anwerbeversuche der Fundamentalisten sind bisher aus mehreren Bundesländern bekannt: In Nordrhein-Westfalen und Bayern hätten Salafisten bereits den Kontakt zu Flüchtlingen gesucht, bestätigten dort die Landesämter für Verfassungsschutz. Auch in Hamburg haben radikale Muslime bereits Korane verteilt, um so die Asylsuchenden für ihre Ideologie zu gewinnen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigt dieses Vorgehen: "Es passt ins Bild, dass Salafisten nun auch vereinzelt vor Flüchtlingsunterkünften werben", sagte eine Sprecherin zu unserem Portal.
Salafist gibt Tipps, wie man Flüchtlinge für sich gewinnt
Die Salafisten setzen dabei auf zunächst unverfängliche, vermeintlich harmlose Angebote. So verteilen sie Korane unter ankommenden Flüchtlingen, suchen ein kurzes Gespräch gleich am Bahnhof oder in der Nähe von Unterkünften. Oder sie treten getarnt als Hilfsvereine auf, um die Asylbewerber so leichter zu erreichen.
Mit Pierre Vogel hat inzwischen einer der bekanntesten Salafisten Deutschlands seine Anhänger aufgerufen, den Kontakt mit Flüchtlingen zu suchen. Auf seiner Facebook-Seite rät der Prediger dazu, Teams zu bilden, Unterkünfte ausfindig zu machen und zu besuchen. Vor allem aber gibt Vogel Tipps, wie sich seine Anhänger den Flüchtlingen nähern sollten. Etwa: "Bringt Geschenke mit", um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Und falls man sie abweisend empfangen würde, sollten sie einfach weiter freundlich bleiben. "Die beste Waffe gegen deinen Feind ist es, ihn zu deinem Freund zu machen", schreibt Vogel. Insgesamt sind in Deutschland etwa 7.500 Salafisten aktiv, allein in NRW leben rund 2.100 von ihnen.
Wahre Absichten werden verschleiert
Was auf den ersten Blick wie ernst gemeinte Hilfe aussehen mag, folgt weit weniger hehren Motiven. Burkard Freier, Leiter des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen, sagte dem Fernsehsender "N24": "Sie verschleiern ihre wahre Absicht – nämlich dass sie eigentlich rekrutieren und radikalisieren wollen." Die Hilfsangebote würden dabei allein der Kontaktaufnahme dienen. Den Verfassungsschützern sei dieses Vorgehen bekannt, etwa durch Einzelfälle in Dortmund, wo viele Flüchtlinge in NRW ankommen.
Ähnliche Aussagen kommen aus Bayern: "Es sind meist auch junge Leute, die auch unbegleitet und allein ins Land kommen. Diese sind ganz besonders auf der Suche nach Hilfe, Unterstützung und Anschluss. Genau dieses Bedürfnis missbrauchen die Salafisten und versuchen, sie zu gewinnen und auch längerfristig an die salafistische Szene zu binden", sagte ein Sprecher des bayerischen Verfassungsschutzes dem "Bayerischen Rundfunk".
Der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) geht sogar noch einen Schritt weiter. In der "Passauer Neuen Presse" kritisierte er die Bundesregierung dafür, Menschen aus Ungarn unregistriert ins Land zu lassen. Friedrich befürchtet, dass sich unter die Flüchtlinge auch Kämpfer des Islamischen Staats (IS) oder islamistische Schläfer mischen könnten. Er wüsste kein anderes Land, das "sich so naiv und blauäugig einer solchen Gefahr aussetzen würde". Aber ist die Gefahr wirklich so gross?
Einzelfälle und kein akutes Problem
Experten warnen vor voreiligen Schlüssen. Die Aussagen Friedrichs stützten sich derzeit auf Mutmassungen, betont Michael Kiefer im Gespräch mit unserem Portal. Kiefer ist Islamwissenschaftler und Autor, von ihm stammt unter anderem ein Buch über Salafismus. Zu den jüngsten Anwerbeversuchen der Salafisten sagt er: "Angesichts der vielen Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien überraschen solche Meldungen nicht. Aber ich sehe hier kein akutes Problem."
Zwar weiss auch er: "Wenn sich ein Flüchtling in einer isolierten Situation befindet, kein Deutsch spricht und dann auf Arabisch angeredet wird, kann er theoretisch für die neo-salafistische Ideologie empfänglicher sein als sonst." Aber Kiefer ist überzeugt, dass hier derzeit keine unmittelbare Gefahr bestehe. Auch Verfassungsschützer sprechen explizit von Einzelfällen und bekräftigen, dass es sich um "kein Massenphänomen" handle.
Helfer sollten genau hinsehen und Vorfälle melden
Kiefer rät dazu, die Aktivitäten der Salafisten gründlich zu beobachten: "Bei Pierre Vogel sollte man immer die Motive hinterfragen. Die Mutmassung liegt nahe, dass es hier nicht nur um humanitäre Hilfe geht, sondern auch darum, Anhänger für seine Auffassung des Islams zu gewinnen." Der Konvertit Vogel ist dem Verfassungsschutz seit Jahren als Vertreter des Salafismus bekannt. Er predigt in zahlreichen Internetvideos und inszeniert seine Auftritte wie ein Popstar, was besonders bei jungen Menschen ankommt.
Der Verfassungsschutz in NRW will nun die jüngsten Anwerbeversuche der Salafisten unterbinden. Die Behörde spricht deshalb gezielt die Leiter von Flüchtlingsheimen an, um auf das Thema Salafismus aufmerksam zu machen. Mitarbeiter und Helfer sollen aufgeklärt werden, um potenzielle Propagandisten leichter zu erkennen und entsprechende Vorfälle zu melden. Ähnlich sieht das auch Islamwissenschaftler Kiefer: "In den Flüchtlingsunterkünften arbeiten viele Sozialpädagogen und professionelle Helfer. Diese kann man leicht schulen, damit sie genau hinsehen, wer da seine Hilfe anbietet" – und zwar echte Hilfe und keine fundamentalistischen Thesen.
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