Die Empörung der Politik ist jedes Mal gross, wenn deutsche Geheimdienste wieder einmal negative Schlagzeilen produzieren. Dabei ist seit Jahren klar: BND und MAD geniessen weitreichende Freiheiten – es fehlt vor allem an einer Kontrolle der Agenten. Experten halten eine Reform deshalb für zwingend notwendig.
Egal ob Bundesnachrichtendienst (BND) oder Militärischer Abschirmdienst (MAD) – die Aktivitäten deutscher Geheimdienste sind dieser Tage alles andere als geheim. Während der BND mit Vorwürfen rund um mögliche Wirtschaftsspionage und Kooperationen mit der amerikanischen NSA ringt, rückt nun auch der MAD in den Fokus: Medienberichte legen nahe, dass der Waffenhersteller Heckler & Koch offenbar den MAD einschalten wollte, um kritische Berichte über das mangelhafte Sturmgewehr G36 zu verhindern.
Zwar habe der MAD die "Bearbeitungszuständigkeit" von sich gewiesen, wie die "Süddeutsche Zeitung" anhand vertraulicher Dokumente enthüllt. Zudem weist der Waffenhersteller die Berichte zurück. Dennoch kommen die Gerüchte zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, steht doch schon der BND im Kreuzfeuer der Kritik. Auch wenn man von den aktuellen Beispielen einmal absieht, stellen sich noch viel weitreichendere Fragen: Was dürfen Deutschlands Geheimdienste eigentlich? Und wer kontrolliert sie?
Was dürfen die Geheimdienste?
Was erlaubt und verboten ist, regelt einerseits das G-10 Gesetz. Dieses "Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses" legt die Grenzen für Grundrechtseingriffe fest. Allein: Es stammt aus dem Jahr 1968, als niemand auch nur im Traum an so etwas wie ein Internet gedacht haben dürfte. Ausserdem ist da noch das "Gesetz über den Bundesnachrichtendienst" (BNDG), das Organisation und Befugnisse des BND bestimmt. Ähnlich verhält es sich auch mit dem MAD, über den ein eigenes "Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst" (MADG) verfügt.
Die Gesetze definieren auch die Aufgaben der Geheimdienste. Für den BND heisst das: Im Ausland aufklären, Informationen sammeln, bewerten und an die relevanten Institutionen weiterleiten. Der MAD hingegen arbeitet als Nachrichtendienst der Bundeswehr primär für das Verteidigungsministerium. Als eine Art Verfassungsschutz innerhalb der Bundeswehr kümmert er sich um die Sicherheit von Soldaten und Einrichtungen.
Wie unabhängig und eigenständig sind BND und MAD?
Der BND ist eine eigene Behörde, untersteht jedoch dem Bundeskanzleramt. Im BND-Gesetz heisst es dazu zum Beispiel: "Der Bundesnachrichtendienst unterrichtet das Bundeskanzleramt über seine Tätigkeit." (Paragraf 12) Doch Sätze wie dieser sind für Geheimdienst-Experten eine masslose Untertreibung. "Der BND ist nur eigenständig bei kleinen Dingen wie etwa einer einzelnen Operation in Ägypten oder Pakistan. Darüber hinaus gibt es eine Menge Weisungen, die grossen Zusammenhänge werden alle mit dem Kanzleramt abgestimmt", erklärt Wilhelm Dietl im Gespräch mit unserem Portal. Dietl hat zahlreiche Bücher über Geheimdienste geschrieben und wurde selbst schon vom BND überwacht.
Im Kanzleramt ist die Abteilung 6 für die Nachrichtendienste zuständig – an der Spitze steht der sogenannte Geheimdienstkoordinator, seit 2010 ist das Günter Heiss. Laut Dietl laufen hier die Fäden zusammen. Vorhaben werden der Abteilung vorgelegt, Weisungen wiederum kommen von dort zurück. Die einzelnen Stellen sind eng verzahnt – zu eng, sagen manche. Der Chef des Bundeskanzleramts - derzeit Peter Altmaier - oder gar Angela Merkel würden aber nur über einzelne Aktivitäten informiert, wenn Probleme auftreten, erklärt Dietl. Im Normalfall würden die Behörden die Kanzlerin jeden Dienstag bei einer Sicherheitskonferenz über aktuelle Entwicklungen in Deutschland und der Welt unterrichten.
Deutlich weniger ist über den MAD bekannt, der als der geheimste aller Geheimdienste gilt. So gab etwa der ehemalige Präsident Karl-Heinz Brüsselbach während seiner Amtszeit kein einziges Interview. Innerhalb der Bundeswehr ist der Inspekteur der Streitkräftebasis (derzeit Vizeadmiral Manfred Nielson) für den MAD zuständig. Da alle Verantwortlichen aber zum Verteidigungsministerium gehören und der MAD in den eigenen Reihen Aufklärung betreibt, kann er entsprechend eigenständig arbeiten.
Wer kontrolliert die Arbeit der Geheimdienste?
Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) ist dafür zuständig, alle Nachrichtendienste zu kontrollieren – also BND, MAD und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Soweit die Theorie. Doch das Gremium besteht nur aus neun Mitgliedern des Bundestages. Kaum möglich, damit die Arbeit von Tausenden Geheimdienstlern zu überwachen. Und Dietl sieht noch ein viel grösseres Manko: "Der BND legt dem Kontrollgremium keine Vorhaben vorab auf den Tisch. Das Gremium wird erst aktiv, wenn etwas schon passiert ist." Eine laufende Kontrolle fehlt somit – Kanzleramt und BND können nach Gutdünken koordinieren und handeln.
Genau deshalb fordern Wissenschaftler wie Thorsten Wetzling auch einen "Nachrichtendienstbeauftragten". Der Forscher hat über Geheimdienstkontrolle in Europa promoviert, in einem Gastbeitrag für die "FAZ" schrieb er zuletzt: "Ähnlich dem Wehrdienstbeauftragten sollte es eine unabhängige, im Bundestag angesiedelte Persönlichkeit sein, die eigenständig Untersuchung führen und Hinweisen aus den Reihen der Nachrichtendienste nachgehen können muss." Wilhelm Dietl hingegen ist skeptisch, ob sich Geheimdienste überhaupt jemals effektiv kontrollieren lassen. Er hält es für sinnvoller, Whistleblower wie Edward Snowden per Gesetz zu schützen – "dann würden Unregelmässigkeiten eher ans Licht kommen oder intern nicht unter den Tisch fallen".
Was muss der BND in einem Untersuchungsausschuss preisgeben?
Kommt es zu Unstimmigkeiten wie jetzt in der BND-NSA-Affäre kann der Bundestag einen Untersuchungsausschuss einsetzen, der aufklären soll. Ein Viertel der Mitglieder des Parlaments müssen dafür zustimmen. Was bedeutet das für den BND? "Grundsätzlich muss vor dem Untersuchungsausschuss alles offen gelegt werden", sagt Dietl. "In der Praxis werden aber Informationen zurückgehalten, etwa um eigene Mitarbeiter nicht zu enttarnen."
Das Problem dabei: Die Grenze verwischt schnell. Wann ist es noch gerechtfertigt, Details unter Verschluss zu halten? Und wann ist es nur noch ein Vorwand, den Agenten und Vorgesetzte bemühen, um sich zu decken? "Im Zweifel schützen sich die BND-Mitarbeiter oft gegenseitig, indem Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss miteinander abgestimmt werden", sagt Dietl. Im Extremfall entsteht damit Spielraum für Vertuschungen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.