Tausende Menschen in Georgien träumen von einer EU-Mitgliedschaft ihres Landes. Dafür nehmen sie auch Zusammenstösse mit der Polizei in Kauf.
In der Südkaukasusrepublik Georgien haben am Abend in zahlreichen Städten des Landes den fünften Abend in Folge Tausende Menschen bei proeuropäischen Kundgebungen demonstriert. Sie lehnen die Haltung der nationalkonservativen Regierungspartei Georgischer Traum ab, die den EU-Kurs des Landes vorerst auf Eis gelegt hat.
In der Hauptstadt Tiflis (Tbilissi) ging die Polizei wie in den vergangenen Tagen mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Demonstranten vor, die ihrerseits Sicherheitskräfte mit Feuerwerkskörpern beschossen. Polizisten versuchten, die Menschenmenge vom Parlamentsgebäude zurückzudrängen. Regierungschef Irakli Kobachidse blieb indessen hart und erklärte, es werde "keine Verhandlungen" mit der Opposition geben.
Regierungschef Kobachidse: Es werde "keine Revolution" geben
In Georgien werde es "keine Revolution" geben, betonte Kobachidse am Montag vor Journalisten. Er erhob den Vorwurf, die Proteste würden "vom Ausland finanziert". Kobachidse warf den westlichen Ländern vor, dass sie die "organisierte Gewalt" der Demonstranten nicht verurteilen würden - während sie die von der Polizei angewendete Gewalt kritisiert hätten.
Zugleich versicherte der Ministerpräsident, ungeachtet der angekündigten Verzögerung strebe seine Regierung weiterhin den EU-Beitritt an. "Ich möchte alle davon überzeugen, dass die europäische Integration nicht aufgeschoben wird, sondern mit maximalem Einsatz vorangetrieben wird", sagte Kobachidse.
Mehr als 200 Festnahmen seit Beginn der Proteste
Die Demonstranten schwenkten am Montag erneut die Fahnen Georgiens und der EU. Polizisten sicherten das Parlamentsgebäude ab und setzten Tränengas und Wasserwerfer ein, während einige Demonstranten Feuerwerkskörper auf die Einsatzkräfte abfeuerten. Auch in der zweitgrössten Stadt Batumi gab es Proteste.
Zuvor hatten im Tagesverlauf zahlreiche Schulen und Universitäten im Land den Lehrbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt, wie die Agentur Interpressnews berichtete. Die Bildungs- und Lehranstalten wollten sich damit mit den Demonstranten solidarisieren und deren Forderungen unterstützen.
Die massiven Proteste in dem Kaukasusstaat hatten am Donnerstagabend begonnen. Sie richten sich insbesondere gegen den von Kobachidse angekündigten Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen des Landes bis 2028. Mehr als 224 Demonstranten wurden laut dem georgischen Innenministerium seit Beginn der Proteste festgenommen.
Präsidentin Surabischwili beklagt Brutalität der Polizei
Die in Gegnerschaft zur Regierung stehende georgische Präsidentin Salome Surabischwili erklärte am Montag im Onlinedienst X, es gebe "keinerlei Anzeichen", dass die Protestbewegung im Land nachlasse. Der Polizei warf sie vor, festgenommene Demonstranten "systematisch" zu schlagen. Die "Mehrheit" der Festgenommenen habe Verletzungen am Kopf und im Gesicht sowie Knochenbrüche im Gesicht und offene Wunden.
Auch UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk verurteilte "unverhältnismässige" Gewalt gegen Demonstranten: "Der Einsatz von unnötiger oder unverhältnismässiger Gewalt gegen Demonstranten und Medienschaffende ist äusserst besorgniserregend", erklärte er.
Auf das Vorgehen der georgischen Behörden gegen die Proteste reagierten auch mehrere europäische Staaten mit scharfer Kritik. Die baltischen EU- und Nato-Mitgliedstaaten Estland und Litauen verhängten Sanktionen gegen elf georgische Regierungsmitarbeiter, denen sie Menschenrechtsverletzungen vorwerfen.
Deutschland zeigt sich solidarisch
In Berlin sagte Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner, die Bundesregierung stehe "an der Seite der Menschen in Georgien, die sich für die europäischen Werte, Demokratie, Meinungsfreiheit, Menschenrechte engagieren und von ihrer Regierung eine entsprechende Korrektur erwarten".
Die Lage in der ehemaligen Sowjetrepublik ist seit der Parlamentswahl vom 26. Oktober angespannt. Die Moskau-freundliche Regierungspartei Georgischer Traum hatte laut offiziellem Wahlergebnis eine deutliche Mehrheit errungen. Die Opposition wirft ihr jedoch Wahlbetrug vor und boykottiert das neue Parlament. Sie wirft der Regierung der Ex-Sowjetrepublik vor, Georgien wieder an Russland heranrücken zu wollen.
In Moskau bezeichnete Kreml-Sprecher Dmitri Peskow das Vorgehen der georgischen Behörden als "Massnahmen zur Stabilisierung und Beruhigung der Lage". Die Proteste seien ein "Versuch, die Lage anzuheizen", Peskow verglich sie mit den Protesten in der Ukraine zwischen 2013 und 2014 und der dortigen "orangenen Revolution" im Jahr 2004. Beide pro-westliche Protestbewegungen stellt die russische Regierung bis heute als vom Westen gesteuert dar. (afp/dpa/bearbeitet von cgo)
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