Katalonien will die Unabhängigkeit von Spanien. Dafür plant die Regionalregierung ein umstrittenes Referendum. Madrid will das verhindern und geht hart dagegen vor. Nun formt sich Protest. Wird die Lage eskalieren? Wir haben mit Politik-Experte Günther Maihold gesprochen.

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Festgenommene Politiker, Razzien, massenhafter Protest. Herr Professor Maihold, droht die Lage in Katalonien zu eskalieren?

Professor Günther Maihold: Die Lage wird immer emotionaler. Es wird zunehmend schwerer, Übergriffe zu verhindern. Madrid hat begonnen, hart gegen das geplante Referendum vorzugehen.

Es wurden Büros der Regionalregierung durchsucht, Stimmzettel beschlagnahmt, führende Politiker festgenommen und versucht, der katalanischen Regierung die Haushaltshoheit zu entziehen.

Das trägt dazu bei, dass die bestehende Gefühlskonstellation bei den Katalanen noch weiter angeheizt wird.

Wie sich das auswirkt, haben wir am Mittwochabend an den Protesten gegen die Guardia Civil, die spanische Polizei, gesehen.

Das ist ein Weg, der nur die Extreme stärkt und letztendlich nicht zu einer Lösung des Konfliktes beiträgt.

Carles Puigdemont, der Präsident Kataloniens, meinte, Madrid hätte rote Linien überschritten, die sie von einem totalitären Regime bisher trennte. Der Ton wird rauer. Wie könnte man den Konflikt jetzt noch deeskalieren?

Madrid könnte mit der Regionalregierung in Verhandlungen über das Autonomiestatut Kataloniens gehen.

Gegenwärtig aber versucht Ministerpräsident Mariano Rajoy, sich als Retter des Vaterlands zu inszenieren. Viele seiner Anhänger würden ein solches Angebot auch als Niederlage werten. Das Gleiche gilt für die katalanische Regierung.

In ihr haben sich sehr heterogene Kräfte unter dem Banner des katalanischen Nationalismus zusammengefunden. Da sind durchaus auch anarchistische Kräfte dabei, die ein Interesse haben, den Konflikt um des Konflikts Willen zu führen. Diese Dynamiken haben gegenwärtig die Oberhand.

Was könnte passieren, wenn Madrid das Referendum verhindert?

Ich gehe davon aus, dass immer grössere Teile der Bevölkerung mobilisiert werden. Ausserdem würde die Regionalregierung sicher in kürzester Zeit erneut versuchen, ein Referendum durchzuführen.

Wieso streben die autonomen Katalanen nach Unabhängigkeit?

Das Hauptinteresse Kataloniens ist, von der Zentralregierung unabhängiger zu werden. Traditionell hat sich die Region schon immer gegen den Zentralismus gestellt. Seit der Zeit unter Franco. Durch die Regierung Rajoy, die eine harte Position gegenüber Katalonien eingenommen hat, hat sich der Widerstand verstärkt.

Die Katalanen wollen einen neuen Autonomiestatus., ähnlich wie die Basken. Rajoy hatte aus wahltaktischen Gründen den Basken Zugeständnisse gemacht, die er den Katalanen nicht machen will. Das ärgert die Katalanen.

2014 wurden die Katalanen schon einmal befragt, ob sie die Unabhängigkeit wollen. Die Beteiligung war niedrig. Wieso versucht es die Regionalregierung jetzt schon wieder?

2014 gab es nur eine Art Volksbefragung, da Madrid ein Referendum abgelehnt hatte. Heute ist die Situation anders.

Es gibt einen Parlamentsbeschluss und sogar eine Erklärung, wie es weitergeht, wenn das Votum am 4. Oktober erfolgreich ist.

Damit ist es ein institutioneller Akt. Das Verfassungsgericht hat im Anschluss daran das Referendum verboten und Madrid hat jetzt angefangen, durchzugreifen.

Was befürchtet die spanische Regierung?

Die entscheidende Frage ist: Wird sich die katalanische Regierung an rechtliche Regeln halten? Sie hat ja schon erklärt, dass sie sich nicht an das Urteil des Verfassungsgerichts gebunden fühlt.

Gleiches gilt für weitere juristische Verfahren und Prozesse. Madrid befürchtet, dass Tatsachen geschaffen werden, die nicht mehr zurückzuholen sind.

Was wäre das "Worst-Case"-Szenario?

Dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt.

Käme es zu einem Ja zur Unabhängigkeit, welche Folgen hätte das in Bezug auf die EU?

Keine, weil niemand eine Unabhängigkeit Kataloniens anerkennen wird. Die EU hat klargestellt, dass Katalonien kein selbstständiges Mitglied werden kann. Katalonien würde sich in eine Andorrarolle hineinbewegen.

Für ein Land, das wirtschaftlich enge Beziehungen zum Rest Spaniens pflegt, wäre das eine recht schwierige Option.

Katalonien scheint keinen Masterplan für das Danach zu haben …

Das ist ja gut. Weil es zeigt, dass hier eigentlich eine Einladung für Verhandlungen auf dem Tisch liegt. Und ich denke, darum geht es auch.

Man muss nur sehen, dass man das ohne Gesichtsverlust hinbekommt und ohne juristische Prozesse und Verurteilungen.

Insoweit inszeniert die katalonische Regierung das Referendum quasi als Druckmittel.

Professor Günther Maihold ist stellvertretender Direktor von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er ist Politik-Experte in den Forschungsgebieten Spanien, Lateinamerika und Organisierte Kriminalität.
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