Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und die deutschen Wirtschaftsbosse hoffen auf milliardenschwere Geschäfte mit dem Iran. Obwohl die Menschenrechtslage im Land zu wünschen übrig lässt und Hinrichtungen wieder zunehmen. Ein Widerspruch?

Mehr aktuelle News

Wenn es um knallharte Wirtschaftsinteressen geht, werden Themen wie Menschenrechte und die Unterdrückung von Oppositionellen gern im stillen Kämmerlein verhandelt. So auch beim aktuellen Iran-Besuch von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Mehrfach habe es die Gelegenheit gegeben, heikle Punkte unter vier Augen anzusprechen, sagte der SPD-Chef.

Der Hauptgrund seiner Reise ist ein anderer: Der Vizekanzler will mit der grossen Wirtschaftsdelegation im Schlepptau die Handelsbeziehungen zu dem 78-Millionen-Einwohner-Land weiter ausbauen. In fünf bis sieben Jahren könnten die deutschen Exporte laut Schätzungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages zehn Milliarden Euro erreichen. Im Vorjahr lagen die Ausfuhren noch bei etwa zwei Milliarden Euro.

"Der Iran muss seine veralteten Industrieanlagen modernisieren und seine Arbeitsprozesse effektiver gestalten", erklärt Iran-Experte Adnan Tabatabai, Geschäftsführer des "Center for Applied Research in Partnership with the Orient" (CARPO) im Gespräch mit unserer Redaktion. "Und Deutschland besitzt die Technologie und ein enormes Fachwissen bei Arbeitsprozessen in der Industrie."

Zudem verfüge der Iran über eine junge, gut ausgebildete Bevölkerung, reiche Rohstoffvorkommen (Öl und Gas) sowie eine günstige geopolitische Lage. Deswegen sei das Interesse auf beiden Seiten enorm.

Wandel durch offene Kanäle und Austausch

Die angespannte Menschenrechtslage - allein im August soll es 100 Hinrichtungen gegeben haben - wird der Wiederbelebung der wirtschaftlichen Beziehungen nicht im Wege stehen. "Diese Fragen spielen in jedwedem wirtschaftlichen Kontext leider eine geringe Rolle", sagt Experte Tabatabai, der unter anderem Bundestagsabgeordnete, das Auswärtige Amt und politische Stiftungen berät.

Deutschland macht mit Russland, Ägypten und China Geschäfte, es liefert Waffen an Saudi-Arabien. Da wird die Regierung auch bei einem Staat, der den syrischen Diktator Baschar al-Assad unterstützt und die Tilgung Israels von der Landkarte befürwortet, keine Skrupel bekommen.

Wofür kann eine Annährung gut sein? "Die wirtschaftlichen Beziehungen werden von Menschen auf beiden Seiten geführt und sorgen so für offene Kanäle und Austausch", betont Tabatabai. So sei eher ein Wandel zu erreichen als durch Isolation und Sanktionen.

Man solle die wirtschaftliche Annährung von den politischen Problemen im Land trennen. Für Tabatabei ist entscheidend, dass sich die sozio-ökonomischen Verhältnisse der Menschen verbessern. "Dann werden sie auch eher in der Lage sein, sich mit politischen Fragen zu beschäftigen und Bürgerrechte einzufordern."

Wem nutzen verbesserte Wirtschaftsbeziehungen?

Weniger optimistisch ist Otto Bernhardt (CDU), Vorsitzender des Deutschen Solidaritätskomitees für einen freien Iran (DSFI). Das iranische Volk werde von verbesserten Wirtschaftsbeziehungen "am wenigsten profitieren", schrieb er im "Freitag".

Stattdessen würden die frei werdenden Mittel in die Taschen der herrschenden Eliten wandern und "dazu benutzt werden, das Volk weiter zu unterdrücken, das System der Vetternwirtschaft und Korruption im iranischen Regime zu stärken und den internationalen Terrorismus weiterhin zu fördern", so Bernhardt.

Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hingegen möchte den Handel mit dem Iran stärken - weil daran "die deutsche Wirtschaft sehr interessiert" sei, wie er vor Ort erklärte. Ob das zu mehr politischer und gesellschaftlicher Freiheit führt, so Iran-Experte Adnan Tabatabai, sei "kein kausaler Zusammenhang". Möglich ist es jedoch allemal.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.