• Ohne Schonfrist ist SPD-Politiker Karl Lauterbach vor einem Monat in das Amt des Gesundheitsministers gestartet.
  • Die Erwartungen waren hoch, kein Minister hatte zu Beginn seiner Amtszeit vergleichbar gute Umfragewerten.
  • Doch der Rollenwechsel vom Kommentierer zum Verantwortlichen und die Spannung zwischen Wissenschaft und Politik halten für Lauterbach Tücken bereit - zwei Politikwissenschaftler über eine erste Bilanz.
Eine Analyse

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Eine Schonfrist hatte die neue Regierung angesichts der pandemischen Lage nicht. Auch nicht der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Seit einem Monat ist der 58-Jährige nun im Amt, hat am 8. Dezember die Nachfolge von Jens Spahn (CDU) angetreten.

Ein unbekanntes Gesicht war das von Lauterbach bei Weitem nicht: Schon seit Beginn der Pandemie hatte der Gesundheitspolitiker die Corona-Politik der Bundesregierung von der Seitenlinie aus kommentiert. Wie schlägt er sich nun als Gesundheitsminister?

Mit hohen Erwartungen gestartet

Die Erwartungen an den studierten Mediziner waren jedenfalls hoch: "Lauterbach ist überhaupt nur Minister geworden, weil er einen riesigen Vertrauens- und Kompetenzvorschuss seitens der Bevölkerung geniesst", erinnert Politikwissenschaftler Frank Decker.

Der Parteilogik folgend, hätte Lauterbach nicht berücksichtigt werden dürfen. "Olaf Scholz kam am Ende aber gar nicht mehr an ihm vorbei", so Decker. Die Erwartungshaltung der Wähler deshalb: Lauterbach werde Deutschland – im Unterschied zu seinem Vorgänger – deutlich professioneller durch die Pandemie führen. Kein anderer Minister hatte zum Regierungsstart so gute Umfragewerte, in den sozialen Netzwerken zählt Lauterbach Millionen an Followern.

Experte: "Rollenwechsel gelungen"

"Der Rollenwechsel vom kommentierenden Politiker zum verantwortlichen Gestalter ist ihm unter dem Strich gut gelungen", meint Decker. Schon im Vorfeld der Amtsübernahme habe man beobachten können, wie Lauterbach seinen alarmistischen Ton abgelegt habe.

"Er zeigt jetzt auch, dass er die Notwendigkeit, Kompromisse zu schliessen, erkannt hat", ergänzt Decker. Die Positionen innerhalb der Regierung seien durchaus unterschiedlich – Lauterbach sei bereits von Forderungen abgerückt, die er vorher "mit Sicherheit vertreten hätte", so Decker.

Kommunikation: Top oder Flop?

Deutlich wurde das bereits im Zusammenspiel mit dem Robert-Koch-Institut. Während sich Lauterbach – einst Symbol für den Weg "Nummer Sicher" – gegen einen Lockdown vor Weihnachten aussprach, empfahl das RKI sofortige und schärfere Corona-Eindämmungsmassnahmen.

Kommunikativ hält Decker den neuen Gesundheitsminister dennoch für geschickt. "Lauterbach hat am Anfang verkündet, es müsse eine Bestandsaufnahme gemacht werden. Damit hat er sich in der Bevölkerung den Eindruck verschafft, als habe er einen Plan und eine Strategie", so Decker.

Verwirrung um Haftung bei Kinderimpfung

Kommunikative Patzer hat sich Lauterbach allerdings auch schon geleistet: In der Talkshow "Markus Lanz" und einer anschliessenden Stellungnahme bei der Bundespressekonferenz sorgte Lauterbach für Verunsicherung über tatsächlich verfügbaren, vorbestellten und bestellbaren Impfstoff.

Wenige Tage vor Weihnachten sorgte auch eine Änderung in der Impfverordnung für Verwirrung. Dabei ging es um die Haftung im Fall von "Off-Label"-Impfungen für unter 5-Jährigen. Ein neu eingefügter Passus liess im Unklaren, was die Änderungen für die Impfpraxis bedeuten.

Gepunktet mit Experten-Rat

"Ich sehe es als widersprüchlich, dass Lauterbach erst öffentlichkeitswirksam mehr Impfstoff bestellt, dann aber gleichzeitig eine fehlende Datenlage bemängelt", kritisiert Politikwissenschaftlerin Johanna Hornung.

Ihre Zwischenbilanz für Lauterbach fällt gemischt aus. "Gepunktet hat Lauterbach mit der Einführung des Corona-Expertenrates", ist sie sich sicher. Damit habe der Gesundheitsminister verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven mehr Gehör verschafft und den Fokus auf die Wissenschaft gestärkt.

Kritik für begrenzten Pflegebonus

Die Präsentation von Lauterbach als geeigneter Kandidat für das Ministeramt sei auch durch die mediale Berichterstattung befördert worden. "Als guter Netzwerker ist Lauterbach nicht bekannt", weiss die Expertin. Dabei komme es gerade in der Politik darauf an, Verbündete zu finden.

"Kritik handelt er sich damit ein, dass der Pflegebonus nur eingeschränkt kommen soll", meint Hornung. Plan des Ministers ist es, den Pflegebonus nur einem begrenzten Kreis von Pflegekräften zu zahlen.

Spannung in Lauterbachs Person

Gegenüber dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" sagte Lauterbach: "Der Pflegebonus sollte vor allem Pflegekräften bezahlt werden, die in der Corona-Pandemie besonders belastet waren." Der Eindruck, der aus Sicht von Hornung dadurch entsteht: Lauterbach nimmt das Thema doch nicht so ernst, wie notwendig.

"Die Pflegepolitik ist eine der grössten Baustellen für die kommenden Jahre, daran wird Lauterbach gemessen werden", meint die Expertin. Ebenso sei es entscheidend, wie Lauterbach mit dem Konflikt in seiner eigenen Identität umgehen werde. "Als Teil der Regierung folgt er parteipolitischen Logiken, was in Spannung zu seiner Rolle als Wissenschaftler gerät", sagt Hornung.

Lauterbach sucht Kompromisslinien

Diesen Punkt sieht auch Experte Decker. "Zwar befürwortet Lauterbach eine allgemeine Impfpflicht, ist aber gegen ein Impfregister", erinnert Decker. Es stelle sich die Frage, wie eine Pflicht dann implementiert werden solle. "Hier sieht man deutlich, dass Lauterbach politische Kompromisslinien sucht", so Decker.

"Es wird sich zeigen, ob Lauterbach damit durchkommt, die Quarantäne-Regeln zu lockern und gleichzeitig stärkere Kontaktbeschränkungen zu fordern, um die schnelle Ausbreitung der Omikron-Variante zu verhindern", sagt Decker.

Für Impferfolge benotet

Aus seiner Sicht wird Lauterbachs Zeugnis massgeblich vom Erfolg bei der Impfkampagne beeinflusst werden. "Im europäischen Vergleich stehen wir beim Boostern gut da, aber Lauterbach muss auch die Impflücke schliessen und eine zu starke Belastung der Krankenhäuser verhindern", sagt Decker. Die Quote der Erstimpfungen liegt derzeit (Stand 10.1.2022) bei 74,6 Prozent, 42,9 Prozent haben bereits eine Booster-Impfung erhalten.

Einig sind sich die Experten vor allem in einem Punkt: Noch ist es zu früh, Lauterbach ein Zeugnis auszustellen. Genügend Lorbeeren zum Ausruhen hat der Minister aber mit Sicherheit noch nicht.

Über die Experten:
Prof. Dr. Frank Decker ist Politikwissenschaftler an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Er lehrt am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen westliche Regierungssysteme, Parteien, Populismus, Föderalismus und Demokratiereform.
Dr. Johanna Hornung ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für vergleichende Regierungslehre der Technischen Universität Braunschweig. Hornung studierte Sozialwissenschaften und Politikwissenschaften. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der vergleichenden Politikfeldanalyse mit einem Schwerpunkt auf Gesundheitspolitik und Elitenforschung.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Prof. Dr. Frank Decker
  • Interview mit Dr. Johanna Hornung
  • ZDF: Markus Lanz. Sendung vom 15.12.2021
  • Impfdashboard: Zahlen zu Corona-Impfungen in Deutschland. Stand: 06.01.2022
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