Unbekannte werfen auf das Gelände eines Flüchtlingsheims in Baden-Württemberg eine Handgranate. Der versuchte Anschlag ist bundesweit der erste Fall, bei dem Sprengstoff benutzt wurde. Das BKA ist alarmiert und macht die hetzerische Propaganda der rechten Szene für derartige Delikte verantwortlich.
Ein misslungener Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft macht fassungslos: In Villingen-Schwenningen haben Unbekannte eine scharfe Handgranate auf das Gelände geworfen. Passiert ist zum Glück nichts, die Granate explodierte nicht und wurde kurze Zeit später entschärft.
"Wir waren zu tiefst erschüttert, zumal es eine Handgranate ist, die im Kriegsfall verwendet wird – in einer Einrichtung, wo Menschen untergebracht werden, die vor dem Krieg geflohen sind. Wir verurteilen das strikt", sagte der Regierungsvizepräsident von Freiburg Klemens Ficht.
Noch stehe nicht fest, ob der versuchte Anschlag der Security oder den Flüchtlingen galt, sagte der Leiter der Sonderkommission "Container", Rolf Straub, am Freitag in einer Pressekonferenz. Ermittelt werde in jede Richtung.
Gewalt wird bedrohlicher
Vor dem Hintergrund, dass die Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte rapide zugenommen hat, liegt jedoch ein rechtsmotivierter Hintergrund nahe.
Und die Gewalt gegen Asylbewerber wird, wie der Fall in Villingen-Schwenningen zeigt, immer bedrohlicher. Der Angriff auf das Flüchtlingsheim im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen ist bundesweit der erste Fall, bei dem Sprengstoff benutzt wurde.
"Bis jetzt hatten wir zwar mehrere Fälle, in denen Pyrotechnik verwendet wurde", sagte BKA-Sprecherin Barbara Hübner unserer Redaktion. Der Vorfall beweise eine durchaus hohe Gewaltbereitschaft bei Straftaten gegen Asylunterkünfte.
"Das Leben der Bewohner wird nicht selten akut gefährdet, zum Teil wird ihr Tod billigend in Kauf genommen. Das bereitet uns grosse Sorgen. Umso wichtiger ist eine konsequente Strafverfolgung", so die Sprecherin weiter.
Am Donnerstag erst hatte das BKA bekanntgegeben, dass die Zahl der Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte im vergangenen Jahr enorm gestiegen ist.
Der Bericht, der unserer Redaktion vorliegt, offenbart eine latente Radikalisierung der bereits bestehenden gesellschaftlichen Debatte.
Wie das Bundesinnenministerium auf Nachfrage mitteilte, wurden 2015 bundesweit 1.005 sogenannte lagerelevante Delikte zum Themenfeld "Straftaten gegen Asylunterkünfte" registriert. Für 901 dieser Übergriffe sind rechtsmotivierte Täter verantwortlich.
Überwiegend handelte es sich um Gewaltdelikte, Sachbeschädigungen, Propagandadelikte und Fälle von Volksverhetzungen. Mit 173 Gewalttaten wurden mehr als sechsmal so viele Übergriffe verzeichnet wie im Vorjahr. 2014 waren es noch 28 Gewalttaten gewesen.
Erschreckende Tendenz
Besonders extrem ist die Zunahme bei den Brandstiftungen, bei denen die Zahl im Jahresvergleich von 6 auf 92 stieg.
Im gesamten Jahr 2014 waren es noch 199 Straftaten gewesen, von denen 177 als politisch motiviert rechts gewertet wurden. Wie aus einer Anfrage der Linken hervorgeht, sind die meisten Tatverdächtigen männlich.
Bereits im Januar 2016 wurden nach Informationen des Innenministeriums 35 Straftaten gegen Asylunterkünfte registriert (Stand 25.01.2016): 33 davon werden rechtsmotivierten Täter zugerechnet; bei zehn der 35 Straftaten handelt es sich um Gewaltdelikte.
Die Zahlen für 2015 und 2016 sind nicht abschliessend erfasst.
"Hetzerische Propaganda der rechten Szene"
Für die zunehmende Gewalt macht das BKA die hetzerische Propaganda der rechten Szene, auch in den sozialen Medien, verantwortlich. "Sie bildet den Nährboden für fremdenfeindliche Übergriffe jeder Art", sagte BKA-Sprecherin Barbara Hübner unserer Redaktion.
Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, warnte bereits vor einer Woche in der "Bild am Sonntag" vor dem Entstehen rechtsextremer Untergrundgruppen nach NSU-Vorbild. Etwa 70 Prozent der ermittelten mutmasslichen Straftäter seien zuvor nicht wegen politisch motivierter Delikte aufgefallen.
Überwiegend seien sie aus dem Umfeld der Unterkünfte gekommen.
Sorgen bereiten Münch auch die selbst ernannten Bürgerwehren. Man müsse da gut hinschauen, wer sich dort engagiere und tätig werde. Vor allem in den sozialen Netzwerken gebe es seit den Übergriffen in Köln rege Kommunikation.
"Dort wird zur Notwehr aufgerufen mit dem Ziel, in der Bevölkerung hoffähig zu werden."
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