Vier Jahrzehnte lang forschte die Schweiz am Bau ihrer eigenen Atomwaffe. Künstler Gilles Rotzetter hat diese verborgene Geschichte recherchiert. "Es ist spektakulär, wie viele Antworten noch immer fehlen", sagt er.

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Sie machen eine Ausstellung mit dem Titel "Swiss Atom Love"*. Worum geht es?

Gilles Rotzetter: Ich erzähle die Geschichte der Schweizer Atombombe. Einen Monat nach Hiroshima hat sich die Schweiz entschieden, eine Atombombe zu bauen.

Wer genau? Gab es einen Geheimplan?

Das ist ja das Interessante. Es ist sehr gut dokumentiert. Teils war es geheim, teils war es ganz offiziell, denn es gibt zwei parallel verlaufende Geschichten. Einerseits jene der Energieversorgung, und darunter liegend die Geschichte der Schweizer Atombombe.

Über diese gab es gar eine Abstimmung, die "Volksinitiative zum Verbot der Atomwaffen" 1962. Über die Zeit tauchen sehr viele Akteure auf. Das Schweizer Kernwaffenprogramm begann 1945 und dauerte bis 1988. Die Atombombenpläne endeten erst, als die Schweiz 1996 das Atomstopp-Abkommen unterschrieb.

Wie gingen Sie vor?

Es begann mit einer Anekdote. Ein Freund fragte mich: "Weisst du eigentlich, dass die Schweiz die Atombombe wollte?". Wow, das wusste ich nicht. Ich begann mich zu interessieren und ging logischerweise davon aus, dass aufgrund der zeitlichen Distanz alles erklärt sein würde.

Ich fand aber schnell heraus, dass es viele blinde Flecken gab. Darunter fällt etwa die Rolle von Paul Scherrer, der im Zweiten Weltkrieg mit den USA zusammenarbeitete. Er ist eine zentrale Figur in dieser Geschichte und es gibt viele Fragen um ihn, die nicht geklärt sind.

Er war Chef der Studienkommission für Atomenergie, aber zur selben Zeit leitete er – laut Presserecherchen aus den 1990er-Jahren – auch die Schweizer Versuche, eine Atomwaffe zu bauen.

Hat er in der Schweiz an der Atombombe geforscht?

Ja, die bisherigen Recherchen der Presse legen das nahe. Im offiziellen Bericht des Bundes, den Bundesrat Adolf Ogi 1996 in Auftrag gegeben hatte, ist Scherrers Rolle aber nicht exakt geklärt. Das Problem an dieser Geschichte ist, dass Paul Scherrer vor seinem Tod sein persönliches Archiv verbrannt hat.

Was ist das spektakulärste Ergebnis ihrer Recherchen?

Spektakulär ist, wie viele Antworten fehlen. Denkwürdig ist auch das Zitat des damaligen Luftwaffenchefs. Mitten im Finanzskandal um die Mirage-Beschaffung sagte er: "Egal, welchen Kampfjet Ihr kauft, er muss fähig sein, eine Atombombe bis nach Moskau zu tragen."

Wie kamen Sie überhaupt zu ihren Informationen?

Es gab einen Tages-Anzeiger-Journalisten, der sich bis in die 1990er-Jahre stark für das Thema interessierte. Er hinterliess all seine Recherche-Ergebnisse einem Privatarchiv. Ich bin Künstler, aber ich bin auch ein Leser. Ich war in vielen Archiven, etwa bei der ABB, und ich bin mit vielen Historikern rund um den Globus in Kontakt.

Ein Historiker aber kann dieses grosse Thema kaum abschliessend angehen, auch weil viele Akten noch bis 2050 unter Verschluss sind.

Sie übersetzen Ihre komplexen Recherchen nun in radikal-bunte, rohe, fast kindliche Bilder. Funktioniert das?

Wie ein Kind zu malen, ist uns leider nicht möglich. Aber ja, all meine Arbeiten entwuchsen der Recherche, nähren sich an ihr. Aber es sind ja nicht nur die Gemälde. Zur Installation gehört ein Video, das diese Geschichten erzählt. Dieses ist im Gegensatz zu den eher metaphorischen Gemälden realistischer. Die Aspekte Technologie, Natur und Mensch waren schon immer Bestandteile meiner Arbeit.

Das Thema der Schweizer Atombombe brachte perfekt all diese Interessensfelder zusammen. Dann ging es darum, eine Geschichtserzählung zu finden. Es stellte sich die Frage: Wie wurde diese Geschichte bisher erzählt? Und was bleibt davon? Ich messe in einem gewissen Sinn die Distanz zwischen der historischen Repräsentation, den Informationen aus der Recherche und der Malerei als Medium.

Wissen Sie nun, warum die Schweiz die Bombe wollte?

Ja, die Idee dahinter war: Alle Länder in Europa werden die Atombombe haben, also braucht die Schweiz sie auch. Man argumentierte dafür gar mit der Neutralität. Es war tiefster kalter Krieg.  © swissinfo.ch

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