Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel das Grosskreuz des Verdienstordens in besonderer Ausführung verliehen – eine ungewöhnlich hohe Auszeichnung. Der Festakt im Schloss Bellevue erinnert an Merkels Regierungsstil: sachlich und schnörkellos.

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Angela Merkel gilt als Mensch, der sich aus Pomp, Prunk und Machtsymbolen nicht viel macht. "Die Kanzlerin stellte sich selbst als Person nie in den Mittelpunkt. Jede Eitelkeit, jede Schmeichelei, jedes Getue um sie selbst waren ihr zuwider", sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Montag im Schloss Bellevue. Vor ihm sitzt eben jene Merkel. Und sie muss ertragen, dass es an diesem Abend davon reichlich gibt: ein bisschen Getue und sehr viel Schmeichelei.

"Grosskreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung", lautet der komplizierte Titel des Ordens, den Steinmeier der früheren Bundeskanzlerin an diesem Abend verlieht. Bisher haben nur zwei Personen diese reichlich aussergewöhnliche Auszeichnung der Bundesrepublik bekommen: die früheren Bundeskanzler Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Merkel ist nun die Dritte in der Riege.

Risse im Bild einer Kanzlerschaft

Merkels 16-jährige Kanzlerschaft hat das Land geprägt und polarisiert. Ihre Gegnerinnen und Gegner verteufeln die Kanzlerin für ihre Flüchtlings- und später auch für die Corona-Politik. Für eine Mehrheit der Deutschen war Merkel dagegen eine Garantin der Stabilität.

Allerdings hat das Bild der stabilen Merkel-Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt einige Kratzer bekommen. Der russische Krieg gegen die Ukraine macht deutlich, wie abhängig sich Deutschland unter Merkel von russischen Energielieferungen gemacht hat. Mit der vielerorts maroden Infrastruktur und dem zuvor eher schleppenden Ausbau der erneuerbaren Energien hat die Kanzlerin der Nachfolger-Regierung grosse Baustellen hinterlassen. Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien haben im Vorfeld der Verleihung bezweifelt, dass der höchst aussergewöhnliche Orden für die CDU-Politikerin wirklich angemessen ist.

Steinmeier über Merkel: "Sie haben für Freiheit und Demokratie gearbeitet"

Bundespräsident Steinmeier jedenfalls hat entschieden, Merkel den "Ausnahmeorden" zu verleihen. Das sei eine Ehrung für eine aussergewöhnlich lange Amtszeit und einen aussergewöhnlichen politischen Lebensweg, sagt er in seiner Ansprache. "Sie haben unserem Land unter nie dagewesenen Herausforderungen neu zu wirtschaftlichem Erfolg verholfen." In den 16 Merkel-Jahren habe Deutschland mit "ununterbrochenem Wirtschaftswachstum" die "Geissel der Arbeitslosigkeit" abgelegt.

Auch auf Russland kommt Steinmeier zu sprechen. Aber der heutige Bundespräsident, der damals selbst unter Merkel Bundesaussenminister war, hebt hervor: 2014 habe Merkel entscheidend dazu beigetragen, eine Ausweitung der ersten russischen Aggression in einen Flächenbrand zu verhindern. Mit unermüdlichem Handlungsgeschick. Heute aber sei die Welt durch die russische Invasion vom 24. Februar 2022 eine andere. "Wichtig ist, dass wir unsere Lehren daraus ziehen", sagt Steinmeier. "Heute müssen wir anders denken, anders handeln – und das tut unser Land seit dem vergangenen Jahr mit grosser Entschlossenheit."

Merkel selbst hat deutliche Selbstkritik bei ihren wenigen öffentlichen Auftritten während ihrer neuen Lebensphase bisher vermieden. Ihre Russland-Politik sei stets davon geprägt gewesen, den Präsidenten Wladimir Putin einzubinden und einzuhegen, sagte sie im vergangenen Juni bei einem Auftritt in Berlin. "Ich bin froh, dass ich mir nicht vorwerfen lassen muss: Ich hab’s zu wenig versucht", meinte sie damals.

Steinmeier sieht das offenbar ähnlich: "16 Jahre haben Sie für Freiheit und Demokratie, für unser Land und das Wohlergehen seiner Menschen gearbeitet – unermüdlich. Und manchmal bis an die Grenzen Ihrer körperlichen Kraft", sagt er am Montag. Merkel verfolgt die Lobesrede äusserlich ungerührt.

Natürlich kennt der Bundespräsident die Kritik, die die frühere Kanzlerin und CDU-Vorsitzende auch aus den eigenen Reihen gerade für ihre offene Flüchtlingspolitik einstecken musste. Aber auch hier ist sie aus Steinmeiers Sicht nicht naiv gewesen. Auch als sie ihren berühmten Satz "Wir schaffen das" sagte, sei ihr die Grösse der Aufgabe sehr bewusst gewesen. Heute könne man sagen, so Steinmeier: "Viel ist geschafft. Mit enormen Anstrengungen und auch mit heftigen Kontroversen. Niemand unterschätzt, Sie selbst am wenigsten, was noch zu tun bleibt."

Scholz und Klinsmann unter den Gästen

20 Gäste hat Merkel für den feierlichen Akt ins Schloss Bellevue eingeladen: Ihr Mann und ihre Geschwister sind dabei, zudem einige ehemalige Minister, der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz, Fussballtrainer Jürgen Klinsmann, Schauspieler Ulrich Matthes oder Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx. Aus der aktuellen Führung von Merkels Partei ist dagegen niemand dabei. Öffentlich wollte man das in der CDU-Parteizentrale nicht kritisieren. Merkel habe nun einmal Wegbegleiter aus der Zeit eingeladen, in der sie selbst Verantwortung trug, hat CDU-Generalsekretär Mario Czaja am Mittag gesagt.

Als Steinmeier Merkel den Ausnahmeorden überreicht, zieht die Alt-Kanzlerin kurz die Augenbrauen hoch und presst grinsend die Lippen aufeinander, als wolle sie sagen: was für ein grosses Ding! Dann tritt sie ans Rednerpult, um mit erkältungsgebeutelter Stimme ihren Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter zu danken. Politik sei eben keine reine Schlangengrube. Ein paar Sätze zum aktuellen Weltgeschehen oder zu Steinmeiers Rede gibt es aber nicht. Merkel sagt dazu nur recht trocken: "Die Worte des Bundespräsidenten stehen für sich."

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