Schengen steht für ein grenzenloses Europa. Der luxemburgische Ort liegt im Dreiländereck zu Deutschland und Frankreich. In der Region kommen die angekündigten Grenzkontrollen gar nicht gut an.
Jim Krier hält von den angekündigten Kontrollen an den deutschen Grenzen ab diesem Montag gar nichts. "Es ist verrückt", sagt der Luxemburger. Er war im Juni 1985 in Schengen als Gemeinderatsmitglied dabei, als auf dem Schiff "MS Princesse Marie-Astrid" das Abkommen für ein Europa ohne Grenzkontrollen unterzeichnet wurde. "Die guten Dinge werden wieder zurückgedreht. Das ist sehr, sehr schlimm", sagte der 73-Jährige in Schengen.
Michel Gloden ist Bürgermeister des symbolträchtigen luxemburgischen Ortes im Dreiländereck zu Deutschland und Frankreich, dessen Name für eine der grössten Errungenschaften der Europäischen Union steht: grenzenloses Reisen. "Es ist klar, dass wir keine Grenzkontrollen begrüssen", sagte er. "Wir haben so viele Pendler, den lokalen Handel in Luxemburg oder in Deutschland. Und das wird alles beeinträchtigt." Heute gehören 29 Länder mit rund 420 Millionen Menschen zum Schengen-Raum.
Kontrollen sorgten teils für kilometerlange Staus
Der 52-Jährige hofft, dass die Kontrollen möglichst wenig das tägliche Leben in der Grenzregion beeinflussen. Bei den zuletzt angeordneten Kontrollen auf deutscher Seite während der Fussball-EM im Sommer habe es teils kilometerlange Staus gegeben. "Da haben Pendler den ganzen Tag in Luxemburg gearbeitet, fahren abends nach Deutschland nach Hause und stehen eine Stunde im Stau." Mehr als 50.000 deutsche Grenzgänger arbeiten in Luxemburg.
Bundesinnenministerin
Reichlich Kritik an startenden Grenzkontrollen
"Ich bin auch dagegen", sagte Charles Vinandy. Er wohnt im saarländischen Merzig und kommt oft nach Luxemburg, um zu wandern und um seine Familie zu sehen. "Jetzt muss ich wieder Zeit einplanen, um auf der Grenze zu warten." Das Ganze mache ihn wütend.
"Meiner Meinung nach ist die Sache ein politischer Aktionismus und geht garantiert an dem Ziel vorbei, dass illegale Migranten hier herausgefischt werden", meinte Joseph Koch. Die Kontrollen bei der Einreise nach Deutschland verärgerten die Nachbarn und bremsten die Wirtschaft aus. Mehr als 50.000 deutsche Grenzgänger arbeiten in Luxemburg.
"Ich bin kein Freund von Grenzkontrollen, weil sie mit massiven Unannehmlichkeiten für die Pendler verbunden sind", sagte der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Wenn es Kontrollen geben muss, dann wären mobile statt stationäre Kontrollen nicht an der Grenze, sondern im Hinterland weniger schwierig für Betroffene", mahnt der Luxemburger.
"Dass man jetzt ohne viel Federlesen die Errungenschaft der europäischen Integration zur Disposition stellt, das macht mich schon besorgt." Es dürfe nicht sein, "dass man wieder in den Köpfen und in den Herzen der Menschen Grenzen entstehen lässt".
Schlechte Erinnerung an Corona-Pandemie
"Wenn man von Grenzkontrollen hört, dann verbindet man gleich noch mal die Situation mit Corona", sagte Ralf Uhlenbruch, Bürgermeister der saarländischen Gemeinde Perl auf der gegenüberliegenden Moselseite von Schengen.
Im Frühjahr 2020 hatte Deutschland zur Eindämmung des Coronavirus etliche Grenzübergänge zu Frankreich und Luxemburg geschlossen. So etwas dürfte sich nie wiederholen, sagte er.
Die jetzt anstehenden Kontrollen seien anders, auch wenn man noch nicht genau wisse, wie sie ablaufen sollten, sagt Uhlenbruch. Auch die Bürgermeister der Grenzregion wünschten sich, dass die Kontrollen "aus dem unmittelbaren Bereich der Brücken der Grenze" mehr ins Landesinnere verlagert würden. "Wir haben hier einen so aufeinander abgestimmten und eng verbundenen Lebensraum, dass man alles vermeiden sollte, was den normalen Ablauf stört."
Gelebtes Europa im Kleinen
Es gebe täglich Tausende Pendler, die aus Perl nach Luxemburg zur Arbeit führen. Viele Kinder aus Frankreich und Luxemburg kämen nach Perl zur Schule. Und auch zum Einkaufen und Tanken geht es täglich über Grenzen.
"Es ist etwas anderes, wenn ich hier im Dreiländereck eine Kontrolle mache als in Gebieten, in denen Lebensräume und Bildungssystem nicht so aufeinander abgestimmt sind", beklagt der Perler Bürgermeister. Im Dreiländereck versuche man, "Europa im Kleinen zu leben und da gehört es auch dazu, dass man Schengen als Symbol für Europa maximal in die Köpfe bringt".
Seit Oktober 2023 gibt es in Deutschland stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz. An der deutsch-österreichischen Landgrenze wird schon seit September 2015 kontrolliert. Die neuen Kontrollen direkt an der Grenze betreffen die Landgrenzen zu Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg.
Wo genau die stationären Kontrollen ab Montag in Rheinland-Pfalz und im Saarland sein werden, dazu wollte die Bundespolizei keine Angaben machen.
Schengen nicht in Gefahr
Auch andere Länder im Schengenraum führen wieder Grenzkontrollen durch. Bürgermeister Gloden sieht "Schengen" dennoch nicht gefährdet. "Die Menschen erkennen doch, dass das Leben in Europa mit dieser Errungenschaft viel, viel leichter ist."
Aus der ganzen Welt kämen Menschen nach Schengen. "Es gibt nur ein Dorf, das bekannter ist als Schengen – und das ist Bethlehem", sagt er. Die Leute, die etwa aus Afrika nach Schengen kämen, würden sagen: "Ihr habt keine Ahnung, was für ein Glück Ihr habt! Einfach so über Grenzen zu reisen."
2025 wird in Schengen gross gefeiert. Denn am 14. Juni ist es 40 Jahre her, dass das Schengener Abkommen unterzeichnet wurde. Dazu werde das Europamuseum nach mehr als einem Jahr Umbau und Neugestaltung wieder eröffnet.
Und: Das Schiff "Marie-Astrid", auf dem das Abkommen unterschrieben wurde, kommt zurück in den Ort. Noch liege es in Mondorf bei Bonn in einer Werft und werde umgebaut, bevor es dann in Schengen an einem neuen Steg seinen festen Platz bekomme, sagte Gloden.
Am 14. Juni 1985 hatten Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Belgien und die Niederlande an Bord des Schiffes den schrittweisen Abbau der Grenzkontrollen vereinbart. (Birgit Reichert, dpa/bearbeitet von ms)
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