Die britische Premierministerin Theresa May will noch einen Versuch wagen, ihren Deal durchs Parlament zu bekommen. Grosse Chancen hat sie nicht. Unterdessen sollen mehrere Minister bereits an ihrem Stuhl sägen - während Hunderttausende Menschen in London demonstrieren. Es steht in Sachen Brexit eine neue Chaoswoche an.
Hunderttausende Menschen dicht an dicht mit Europafahnen um das britische Parlament in London, Millionen Unterstützer hinter einer Online-Petition zum Stopp des Brexits: Nach Monaten der politischen Blockade im britischen Parlament scheint plötzlich in London alles in Bewegung.
Dabei verschärft sich der Machtkampf von Befürwortern und Gegnern des britischen EU-Austritts, Premierministerin
Die nächsten Tage könnten für das Land - und für die Europäische Union - zur historischen Zäsur werden.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Brexit-Chaos-Wochenende
Was ist überhaupt passiert?
Am Wochenende überschlugen sich in London die Ereignisse. Zunächst forderte eine Massendemonstration am Samstag ein zweites Referendum über den EU-Austritt, den 2016 eine knappe Mehrheit der britischen Wähler befürwortet hatte.
Gleichzeitig setzte eine Online-Petition für den "Exit vom Brexit" mit rund fünf Millionen Unterstützern eine neue Rekordmarke.
Regierungschefin May, die mit der EU vorige Woche eine Verschiebung des Brexit-Termins 29. März verabredet hatte, baute mit einem Brief an britische Abgeordnete neuen Druck auf, ihren Deal mit der EU doch noch zu billigen.
Gleichzeitig spekulierten britische Medien über eine Kabinettsrevolte, um May zum Rücktritt zu zwingen.
Warum jetzt diese Zuspitzung?
Trotz der Zustimmung der übrigen 27 EU-Länder zur Verschiebung des Austrittsdatums herrscht enormer Zeitdruck, endlich einen Ausweg aus der Brexit-Blockade zu finden.
Stimmt das britische Unterhaus dem mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag in den kommenden Tagen nicht zu, muss Grossbritannien vor dem 12. April eine Alternative präsentieren - oder das Land scheidet an dem Tag ohne Vertrag aus der EU aus.
Da die Abgeordneten das Abkommen bereits zweimal abgelehnt haben, glaubt fast niemand an einen Erfolg im dritten Anlauf. Befürworter und Gegner werden deshalb wohl versuchen, May die Kontrolle über den Prozess zu entziehen - im Kabinett oder im Unterhaus.
Mays Unterstützer beschwichtigten aber am Sonntag erstmal, darunter ihr Vize David Lidington, der in Medien selbst als möglicher Nachfolger gehandelt wurde.
Was würde ein Sturz Mays für den Brexit bedeuten?
Das ist völlig offen. Würde ein gemässigter Konservativer wie Lidington neuer Premier, könnte dies womöglich eine neue Chance auf ein geordnetes Verfahren eröffnen. Er gilt als EU-freundlich und pragmatisch und könnte vielleicht mit der oppositionellen Labour-Partei ins Gespräch über einen überparteilichen Kompromiss kommen.
Ein strikter Brexit-Befürworter wie Umweltminister Michael Gove würde womöglich eher einen harten Bruch ohne Vertrag riskieren. Schlimmstenfalls könnte dies sogar doch noch am 29. März passieren, also am kommenden Freitag. Denn das Datum ist in Grossbritannien gesetzlich verankert und muss vom Parlament noch diese Woche gestrichen werden.
Käme es zu Chaos-Tagen, könnte dies misslingen - auch wenn dies unwahrscheinlich anmutet, denn eine Mehrheit der Abgeordneten ist für einen Aufschub und gegen einen ungeregelten Brexit.
Was kann die EU jetzt tun?
Nichts. So sieht es jedenfalls der CDU-Brexit-Experte Elmar Brok. "Die EU kann nur abwarten", sagte Brok am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur.
Inhaltliche Zugeständnisse an Grossbritannien schliesst nicht nur Brok aus. Beim EU-Gipfel diese Woche war die einhellige Linie der 27 bleibenden Staaten, dass der Austrittsvertrag nicht neu verhandelt wird.
Ein hoher EU-Beamter räumte am Freitag ein, dass auch die EU nicht einschätzen kann, was bis 12. April in London passieren und den Brexit-Kompass neu ausrichten könnte. Die Gefahr eines chaotischen Bruchs ohne Vertrag sei "sehr, sehr real".
Doch seien immer noch alle Optionen offen: geregelter Austritt, ein langer Aufschub oder ein Rückzieher Grossbritanniens.
Führende EU-Politiker schöpfen Hoffnung aus den Bürgerprotesten. Der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments sprach auf Twitter von einer "Revolte gegen den Brexit" und die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke, die an der Demonstration in London am Samstag teilnahm: "Wooooowwwww. Eine Million Leute. Einfach unglaublich." (dpa/ank) © dpa
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