Grossbritannien ist für ein ihm genehmes Handelsabkommen mit der EU bereit, internationales Recht zu brechen und sagt dies ganz offen. Die Europäische Union reagiert verärgert darauf und droht der britischen Regierung mit Konsequenzen. Premierminister Boris Johnson aber verteidigt sein Vorgehen.

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Ein Streit um Änderungen am Brexit-Abkommen überschattet die neue Verhandlungsrunde zwischen Brüssel und London über die Beziehungen nach dem EU-Austritt.

Die britische Regierung gab am Dienstag zu, dass sie eine Nordirland betreffende Abmachung im Austrittsabkommen umgehen und damit gegen internationales Recht verstossen will. EU-Chefunterhändler Michel Barnier reagierte verärgert auf die Ankündigung aus der Downing Street und betonte, dass sich London an die getroffenen Zusagen halten müsse.

Ungeachtet scharfer Kritik verteidigte der britische Premierminister Boris Johnson sein Vorgehen im Parlament. "Das Gesetz wird Jobs schützen, Wachstum sichern und das Funktionieren und die Sicherheit des britischen Binnenmarktes ermöglichen", warb Johnson.

Brexit: Briten wollen Kernvereinbarungen zu Nordirland kippen

Die Nordirland-Frage gehörte zu den grössten Streitpunkten zwischen den Briten und der EU. Johnson will bereits am Mittwoch dem Parlament ein Gesetz vorlegen, mit dem offenbar zwei Kernvereinbarungen mit der EU zu Nordirland ausgehebelt werden sollen.

"Ja, das verletzt internationales Recht in einer sehr spezifischen und begrenzten Weise", sagte der für Nordirland zuständige Staatssekretär Brandon Lewis am Dienstag vor dem Parlament in London. Es gebe jedoch "klare Präzedenzfälle" für einen solchen Schritt.

Vor Lewis' Aussage hatten Medien berichtet, dass der Chefjurist der Regierung, Jonathan Jones, seinen Job hingeschmissen hat - wohl aus Ärger über die Pläne.

Neben EU-Chefunterhändler Barnier, der am Dienstag zur neuen Verhandlungsrunde in London eintraf, warnte auch EU-Parlamentspräsident David Sassoli die britische Regierung vor Änderungen an dem im Januar beschlossenen Brexit-Abkommen. "Jeder Versuch, das Abkommen zu ändern, würde ernsthafte Konsequenzen haben", sagte Sassoli. "Vertrauen und Glaubwürdigkeit" seien in den derzeitigen Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Grossbritannien entscheidend.

Bundesregierung: Briten müssen rechtliche Grundlage einhalten

Die Bundesregierung erklärte am Montagabend ihre volle Unterstützung für die EU-Kommission, um gegenüber Grossbritannien auf der "vollständigen Umsetzung des Austrittsabkommens zu bestehen". Dieses sei "die von beiden Seiten unterzeichnete rechtliche Grundlage, die es einzuhalten gilt", hiess es aus dem Auswärtigen Amt in Berlin.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus erklärte, dass die EU-Seite "trotz der ein oder anderen irritierenden Äusserungen weitermachen" wird. Die Äusserungen aus Grossbritannien seien jedoch nicht "sehr vielversprechend".

London mache sich "als Verhandlungspartner unglaubwürdig", wenn sich Johnson noch nicht einmal an bereits getroffene Vereinbarungen halte, sagte die europapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Franziska Brantner. "Das Nord-Irland-Protokoll darf nicht wieder aufgemacht werden."

Parteikollege Ellwood attackiert Johnson

Auch aus den eigenen Reihen erntete Johnson mit seinem Kurs Kritik: Das Austrittsabkommen aufzuschnüren und internationale Gesetze zu brechen, gehe "gegen alles, an was wir glauben", sagte der Abgeordnete der konservativen Tory-Partei, Tobias Ellwood, dem Sender "BBC".

Die französische Abgeordnete Nathalie Loiseau äusserte in dem Sender ebenfalls ihr Entsetzen über die scharfen Töne aus London. Während die "Tinte des Austrittsabkommens noch nicht getrocknet" sei, setzten sich die Briten schon über dieses hinweg.

In London laufen noch bis Donnerstag Verhandlungen über einen Handelspakt für die Zeit nach dem Brexit. Es ist bereits die achte Gesprächsrunde zwischen London und Brüssel. Bislang sind allerdings kaum Fortschritte erzielt worden.

Bei den Änderungen, die Johnson durchsetzen will, geht es zum einen um Staatshilfen für Unternehmen in Nordirland, die gemäss dem Austrittsabkommen auch künftig unter EU-Regeln fallen würden. Laut der "Financial Times" will Johnson die Pflicht für die britische Regierung aufweichen, Brüssel über solche Hilfsgelder zu informieren.

Darüber hinaus geht es um Auflagen für nordirische Unternehmen beim Transport von Waren in das Vereinigte Königreich. Laut Abkommen müssen die Unternehmen die Warensendungen als Exporte deklarieren. Auch diese Pflicht will Johnson dem FT-Bericht zufolge nicht mehr vollständig einhalten.

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Die Grenze zwischen Nordirland und Irland trennt die EU von Grossbritannien

Die Nordirland-Frage ist einer der Hauptstreitpunkte zwischen London und Brüssel, da die Grenze zwischen Irland und Nordirland durch den Brexit de facto zu einer Landgrenze zwischen der EU und Grossbritannien wurde. Das Karfreitagsabkommen von 1998, mit dem der jahrzehntelange blutige Nordirland-Konflikt überwunden wurde, sieht allerdings eine offene Grenze vor.

Der irische Regierungschef Micheál Martin warnte Johnson, mit seinen geplanten Änderungen am Brexit-Deal Vertrauen zu verspielen. "Wir sind extrem besorgt über das einseitige Handeln der britischen Regierung", sagte Martin am Mittwoch. Er wolle später darüber noch mit Johnson sprechen und ihm seine Besorgnis darüber mitteilen, dass bereits geschlossene internationale Verträge auf dem Spiel stehen.

Grossbritannien war am 31. Januar aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende gilt eine Übergangsphase. Bis dahin wollen beide Seiten ihre künftigen Beziehungen regeln und vor allem ein Freihandelsabkommen vereinbaren. Bis zum EU-Gipfel Mitte Oktober streben beide Seiten einen Abschluss an, haben aber auch schon vor einem Scheitern gewarnt. (AFP/dpa/hau)

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