Bundeskanzlerin Merkel kann sich eine Verschiebung des Brexit vorstellen - an dem Austrittsabkommen zwischen der EU und Grossbritannien sei aber gleichwohl nicht zu rütteln. Premierministerin May appelliert unterdessen an die Pflicht der britischen Abgeordneten, "damit unser Land vorankommen kann".

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Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Emmanuel Macron haben London ihre Bereitschaft für eine kurze Verschiebung des Brexits signalisiert. "Wenn Grossbritannien etwas mehr Zeit braucht, dann werden wir uns dem nicht verweigern", sagte Merkel am Mittwoch bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris.

Man stimme zugleich aber vollkommen darin überein, dass das Austrittsabkommen zwischen der Europäischen Union und Grossbritannien gelte, betonte die Kanzlerin.

Angela Merkel: "Müssen jetzt gute Lösung finden"

Dies habe sie mit der britischen Premierministerin Theresa May am Rande des Gipfels der EU mit der Arabischen Liga im ägyptischen Scharm el Scheich Anfang der Woche noch einmal besprochen, sagte Merkel. Man strebe natürlich einen geordneten Austritt Grossbritanniens aus der EU an. "Wir bedauern diesen Schritt, aber er ist Realität. Und wir müssen jetzt eine gute Lösung finden."

Macron sagte: "Es ist Zeit, dass die Briten eine Entscheidung treffen." Für eine Verlängerung müsse es eine klare Perspektive geben. "Wir sind uns einig, dass das Abkommen nicht neu verhandelt werden kann, wenn die Briten mehr Zeit brauchen."

May appelliert an Abgeordnete: "Pflicht erfüllen"

Unterdessen hat Theresa May vor der Parlamentsabstimmung über weitere Schritte beim Brexit eindringlich an die Verantwortung der Abgeordneten appelliert. "Das Parlament sollte seine Pflicht erfüllen, damit unser Land vorankommen kann", schrieb May am Mittwoch in der "Daily Mail".

Sie stehe kurz davor, Zugeständnisse aus Brüssel zu erhalten, erklärte die Regierungschefin. Der Fokus des Parlaments müsse nun darauf liegen, einen Deal zum EU-Austritt zustande zu bekommen und die Europäische Union am 29. März zu verlassen.

Das Unterhaus stimmt nach einer Debatte am Mittwochabend (etwa ab 20:00 Uhr) über die weiteren Schritte beim EU-Austritt ab. May muss trotz Zugeständnissen mit Niederlagen rechnen. Die Abgeordneten brachten zwölf Änderungsanträge zur Beschlussvorlage der Regierung ein. Über welche abgestimmt wird, entscheidet Parlamentspräsident John Bercow.

Anträge verdeutlichen Misstrauen in May

Aus den vorgeschlagenen Anträgen wird deutlich, dass jegliches Vertrauen in May fehlt. Eine überparteiliche Gruppe will May per Abstimmung auf ihre Versprechen festnageln. Weitere Vorschläge befassen sich zum Beispiel mit der Möglichkeit eines zweiten Referendums oder dem Ausschluss eines No Deal unter allen Umständen.

May hatte am Dienstag erstmals eingeräumt, dass Grossbritannien die EU auch nach dem 29. März verlassen könnte. Sie versprach, die Abgeordneten über eine mögliche Verschiebung abstimmen zu lassen. Sollte sie bis zum 12. März mit ihrem Abkommen wieder scheitern, will May die Abgeordneten vor die Wahl zwischen einem ungeregelten Ausscheiden oder einer "kurzen Verlängerung" stellen.

Wie positioniert sich Corbyn?

Spannend wird vor allem, wie sich Oppositionschef Jeremy Corbyn zu einer zweiten Volksabstimmung positioniert. Er hatte am Montag angekündigt, seine Partei werde sich hinter die Forderung nach einem Referendum stellen, sollte die Regierung nicht auf die Labour-Linie einer engen Bindung an die EU samt Zollunion umschwenken. Er könnte bereits jetzt unter Druck geraten, diese Ankündigung wahr zu machen.

Der Brexit-Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, hält ein geregeltes Ausscheiden der Briten aus der EU noch für möglich. "Es ist nicht richtig zu sagen, dass ein No-Deal-Brexit am wahrscheinlichsten ist", sagte Barnier dem französischen Sender Franceinfo. Als Verhandlungsführer tue er alles, um eine Einigung zu erzielen. Dabei setze er alles daran, dass ein Abkommen mit May zustande komme, dem das Unterhaus auch zustimmen werde.

Barnier: Folgen des Brexit für Briten gravierend

Die Briten unterschätzten die Konsequenzen des Brexits oft, sagte Barnier. Dabei seien die Folgen besonders für die Briten gravierend. "Sie sind unzählig: menschlich, sozial, wirtschaftlich und finanziell, technisch und rechtlich." Beim Brexit gebe nur Verlierer.

May liess offen, wie lange genau der EU-Austritt verschoben werden könnte. Sie betonte jedoch, dass eine Verschiebung über Ende Juni hinaus nicht möglich sei. Andernfalls müsse Grossbritannien an der Wahl zum Europaparlament Ende Mai teilnehmen. Das sei aber im Lichte des Brexit-Votums der Bevölkerung nicht vermittelbar. Eine zweite Verschiebung sei dann so gut wie ausgeschlossen.

Die Abstimmungen über einen No-Deal-Brexit und eine Verschiebung des EU-Austritts sollen spätestens am 13. und 14. März stattfinden. May: "Das Vereinigte Königreich wird am 29. März nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Unterhauses ohne Deal austreten." Ein späterer ungeregelter Austritt sei aber weiter möglich. "Wenn wir müssen, werden wir am Ende einen Erfolg aus einem No-Deal-Brexit machen."

Mehrheit der EU-Bürger glaubt nicht an spürbare Folgen

Die Mehrheit der EU-Bürger rechnet einer Umfrage zufolge nicht mit spürbaren oder gar negativen Folgen des Brexits für die übrigen Mitgliedsstaaten.

Die meisten Befragten (61 Prozent) vertreten den am Mittwoch von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten Daten zufolge die Auffassung, dass der Brexit keine spürbaren Auswirkungen auf die EU-Länder haben wird. Mit 27 Prozent deutlich weniger gehen dagegen von negativen Folgen aus. 12 Prozent der Befragten glauben sogar, dass es anderen EU-Staaten ohne die Briten besser gehen wird. Die Niederländer und die Polen sind am pessimistischsten: Je rund ein Drittel rechnet mit Nachteilen.

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