Das Brexit-Lager hat eine Kampagne geführt, die von reiner Stimmungsmache geprägt war. Fünf Tage nach der Abstimmung wird immer klarer, dass es keinen konkreten Plan für die Zukunft gibt. Jetzt fühlen sich viele Briten hintergangen, weil die Brexit-Aktivisten ihnen leere Versprechungen gemacht haben. Die EU-Gegner, allen voran Boris Johnson und Nigel Farage, spielen ein gefährliches Spiel – auch mit ihren eigenen Wählern.

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Die beiden Brexit-Befürworter rudern bei ihren Wahlversprechen bereits zurück. Viele Briten fühlen sich betrogen. Sie fordern, den Ausstieg aus der EU über eine Petition und die Zustimmung des britischen Parlaments zu stoppen. Oder zumindest ein neues Referendum in die Wege zu leiten. Denn in den zentralen Punkten stiehlt sich das Brexit-Lager schon jetzt aus der Verantwortung.

Thema Migration für Stimmenfang missbraucht

Der übergreifende Slogan der "Leave-Kampagne" zielte auf die Migration ab ("Take back control"). Grossbritannien sollte durch den Ausstieg aus der EU wieder die Kontrolle übernehmen. Nicht nur über die Zuwanderung von Flüchtlingen, sondern auch über die der Arbeitssuchenden. Diese zentrale Wahlkampf-Aussage gilt als Schlüssel für den Erfolg des Brexit-Lagers.

Nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses hat es mutmasslich rassistische Übergriffe auf Migranten gegeben. Den Grund dafür kennt Politikwissenschaftlerin Dr. Isabelle Borucki von der Uni Trier: "Das Referendum wurde zugleich mit rechtspopulistischen und nationalkonservativen Themen wie der EU-Flüchtlingspolitik und Einwanderung verknüpft." Es seien Ängste geschürt worden, statt echte Aufklärung zu betreiben.

Denn was den Brexit-Wählern im Vorfeld der Abstimmung scheinbar nicht erklärt wurde: In der jüngsten Vergangenheit kam die Hälfte der Zuwanderer aus der EU. Und diese EU-Ausländer sind wichtig für den britischen Arbeitsmarkt. Boris Johnson, Brexit-Vorkämpfer und Ex-Bürgermeister von London, gab nun entgegen seines Wahlkampf-Versprechens bekannt: Die Zahl der Einwanderer werde wohl doch nicht sinken.

Mit falschen Informationen geworben

Das hat folgenden Grund: Die Brexit-Befürworter wollen die engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa aufrechterhalten. Sie wünschen sich weiterhin Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Doch um genau das zu erreichen, brauchen die Briten eben diese EU-Ausländer an ihrem Arbeitsmarkt. Somit müssten sie die "Personenfreizügigkeit" anerkennen. Dieses Recht wird seit 1993 als eine von vier Grundfreiheiten in der EU garantiert. Es erlaubt den "freien Personenverkehr" und bezeichnet vor allem die Freiheit, in einem anderen Land als dem Heimatland wohnen und arbeiten zu dürfen.

Das Brexit-Lager hätte demnach entgegen seiner eigenen Wahlkampf-Versprechen niemals die Migration verringern und gleichzeitig Teil des europäischen Binnenmarkts sein können. Denn auch das Nicht-EU-Land Norwegen hatte diese Freizügigkeit akzeptiert. So ist Norwegen Teil des grossen Binnenmarkts geworden.

Das dürfte den britischen EU-Gegnern bereits vor der Abstimmung klar gewesen sein. Zumal Norwegen stets als deren Paradebeispiel für mögliche neue Beziehungen zwischen Grossbritannien und der EU herhalten musste. Johnson verkaufte es den Brexit-Wählern jedoch so als bleibe der Zugang zum Binnenmarkt frei. Ohne Einschränkungen.

Die 350-Millionen-Pfund-Lüge

Die Brexit-Aktivisten wurden vor der Abstimmung auch nicht müde, immer wieder von den finanziellen Vorteilen zu sprechen. Dabei ging es unter anderem um angebliche Zahlungen von 350 Millionen Pfund pro Woche. Dieses Geld sollte laut Johnsons Aussage nach dem Ausstieg aus der EU nicht mehr nach Brüssel fliessen.

Man hätte dann die Chance, diese finanziellen Mittel direkt in die nationale Gesundheitsvorsorge zu stecken. Nigel Farage, Chef der britischen Unabhängigkeitspartei (UKIP), gab zudem noch vor der Abstimmung bekannt, wirtschaftlich habe das Land nichts zu befürchten.

Beides stellte sich als falsch heraus. Das britische Pfund stürzte auf den tiefsten Wert seit 1985, die Börsen waren weltweit erschüttert. Rating-Agenturen haben Grossbritannien mittlerweile abgestraft. Farage hat jetzt zugegeben, die Briten müssten sich wohl doch auf eine Rezension einstellen. Und das mit dem Geld für das eigene Gesundheitswesen würde auch nicht funktionieren, man habe da etwas falsch verstanden, sagte er in der britischen ITV-Sendung.

Doch kein schnellstmöglicher EU-Austritt

Das Brexit-Lager kündigte ausserdem wiederholt an, im Erfolgsfall sofort Artikel 50 des EU-Vertrags (den Austrittsantrag) in Kraft treten zu lassen. Doch dieses Versprechen scheint plötzlich niemanden mehr zu interessieren.

Johnson erklärte, es gebe keinen Grund zur Eile. Liam Fox, Parlamentsabgeordneter und ebenfalls Brexit-Befürworter, wird im "Mirror" zitiert: "Vor diesem Referendum wurden viele Dinge gesagt, die wir vielleicht noch einmal überdenken sollten. Artikel 50 in Kraft treten zu lassen, gehört dazu."

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