Grossbritannien will den Brexit verschieben. Die übrigen EU-Länder haben dafür ein offenes Ohr - und finden einen hoch komplexen Kompromiss. Das Grundsatzproblem aber bleibt.
Am Ende schienen alle fast gelöst. "Es war ein sehr intensiver, aber auch sehr erfolgreicher Abend", sagte Kanzlerin
Brexit: Finale nach acht Stunden harter Debatte
Es war das Finale einer mehr als achtstündigen Debatte beim EU-Gipfel darüber, wie ein chaotischer Austritt Grossbritanniens am 29. März noch verhindert werden könnte. Und tatsächlich fanden die 27 bleibenden EU-Länder einen Weg. Am Freitag nächster Woche passiert zunächst einmal nichts - der Brexit ist aufgeschoben. Gelöst ist das Grundsatzproblem damit allerdings nicht. Die Zitterpartie geht auch in den nächsten Wochen weiter.
Der Gipfel-Beschluss selbst ist geradezu ein Paradebeispiel aus der europäischen Kompromissschmiede: komplex, ausgebufft und undurchdringlich. Demnach wird der EU-Austritt bis zum 22. Mai verschoben, aber nur, wenn das britische Unterhaus nächste Woche dem bereits zweimal abgelehnten Brexit-Vertrag mit der EU doch noch zustimmt. Gelingt dies nicht, gilt die Verlängerung nur bis 12. April. Vorher könnte Grossbritannien noch neue Vorschläge machen - oder doch noch ohne Vertrag aus dem Staatenbund ausscheiden.
Grosse Sorge der EU: anstehende Europawahl
Hintergrund der in mühsamen und stundenlangen Debatten ausgehandelten Formel ist die Sorge um einen ordentlichen Ablauf der Europawahl vom 23. bis 26. Mai. Wäre Grossbritannien zu dem Zeitpunkt noch Mitglied, müsste das Land sich an der Wahl beteiligen. Der 22. Mai ist der letzte Tag vor der Wahl. Wird der EU-Austrittsvertrag rechtzeitig beschlossen und ratifiziert, kann Grossbritannien geregelt ausscheiden. Andernfalls könnte sich das Land bis zum 12. April entscheiden, ob es an der Europawahl teilnimmt. Das ist nach britischen Regeln der letztmögliche Termin, die Wahl anzusetzen.
EU-Diplomaten frohlockten anschliessend, damit liege der Ball wieder bei den Briten - oder besser: die Last der Entscheidung. Gleichzeitig hiess es aber auch, keiner der 27 Staats- und Regierungschefs im Raum habe grosse Hoffnung gehabt, dass das britische Unterhaus den Brexit-Vertrag tatsächlich noch annimmt. Und das heisst: Das Drama könnte sich in etwa drei Wochen bei einem EU-Sondergipfel wiederholen.
May wollte Aufschub bis 30. Juni erreichen
Die britische Premierministerin
Die harten Brexit-Befürworter in Mays eigener Konservativer Partei lehnen den Deal ab, weil sie eine zu enge Bindung an die EU fürchten. Die Labour-Opposition ist dagegen, weil ihr die Bindung nicht eng genug ist. Und die nordirische DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, blockiert aus Furcht vor einem Sonderstatus für Nordirland. Zeitdruck und Angst vor einer ungewissen Zukunft des Brexits sollen die Mehrheitsverhältnisse doch noch in Bewegung bringen - so hoffen May und die EU seltsam einmütig.
Etwas Spielraum bleibt noch
Und wenn das nicht klappt? Mit der Frist 12. April bliebe noch etwas Spielraum - wenn die Briten dies wollen und neue Vorschläge machen. Um den Sturz über die Klippe zu stoppen, könnte man vielleicht in letzter Sekunde einen längeren Aufschub anbieten inklusive Teilnahme an der Europawahl. Tusk zeigte sich erleichtert, dass man nun noch mehrere Optionen zur Verfügung habe.
Premierministerin May wiederholte allerdings, dass sie eine längere Mitgliedschaft und eine Teilnahme an den Europawahlen für falsch hält. Stattdessen setzt die konservative Regierungschefin unbeirrt auf ihren ursprünglichen Plan. "Die heutige Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer Verabschiedung des Brexit-Deals im Unterhaus nächste Woche, damit wir der Unsicherheit ein Ende setzen können und in ruhiger und geordneter Weise ausscheiden können", sagte May. Und dann noch einmal etwas weniger verklausuliert: "Ich hoffe, wir sind uns alle einig, dass wir jetzt am Punkt der Entscheidung sind." (mgb/dpa) © dpa
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.