Die deutsche Wirtschaft hält den Brexit-Kurs des britischen Premierministers Boris Johnson für gefährlich. Aber die Pläne der Labourpartei seien noch riskanter, warnt die Aussenhandelskammer in London.

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Das Brexit-Vorhaben des britischen Premierministers Boris Johnson verdirbt Unternehmen die Laune. Dennoch bevorzugt die deutsche Wirtschaft bei der Parlamentswahl im Vereinigten Königreich am 12. Dezember den Konservativen Johnson. Grund sind die wirtschaftspolitischen Pläne der grössten Oppositionspartei Labour: "Es ist ein Abwägen des "kleineren Übels"", sagte der Geschäftsführer der deutsch-britischen Handelskammer (AHK) in London, Ulrich Hoppe, der Deutschen Presse-Agentur.

Höhere Steuern für Wohlhabende und Unternehmen sowie Verstaatlichungen: Labour will die britische Wirtschaft und Finanzwelt umkrempeln. "Aufgrund der angekündigten Verstaatlichungen und Umverteilungen fallen Anreize weg. Damit wird die Wirtschaftskraft geschwächt", sagte Hoppe. "Das bedeutet, dass viele Verbraucher mittelfristig sicherlich noch weniger Geld in der Tasche haben, um Waren zu kaufen - und darunter leiden dann natürlich auch die deutschen Unternehmen, die den Markt bedienen."

Wegen des britischen Mehrheitswahlrechts ist es wahrscheinlich, dass entweder Johnsons Konservative oder Labour mit Parteichef Jeremy Corbyn nach der Abstimmung den Premierminister stellen. Die Sozialdemokraten wollen unter anderem Steuern für Wohlhabende und Unternehmen erhöhen und verschiedene Bereiche der Grundversorgung wie Energie- und Wassernetze, Post und Bahn verstaatlichen. Ausserdem sollen Betriebe mit mehr als 250 Mitarbeitern verpflichtet werden, zehn Prozent ihrer Anteile in einem Fonds zu parken, aus dem den Beschäftigten Dividenden gezahlt werden.

Johnson appelliert an Trump wegen Handelsabkommen

Die britische Wirtschaft ist ohnehin seit langem stark unter Druck, vor allem wegen des geplanten Brexits, aber auch wegen der internationalen Handelskonflikte etwa zwischen der EU und den USA. Erst kürzlich bat Premier Johnson in einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump darum, die Drohung mit Strafzöllen auf Autoimporte aus der EU, wovon auch Grossbritannien betroffen wäre, nicht in die Tat umzusetzen.

Am Montag teilte das britische Statistikamt zwar mit, die Wirtschaftskraft habe im dritten Quartal 0,3 Prozent zugelegt. Damit vermied die britische Wirtschaft eine technische Rezession mit einem Rückgang in zwei Quartalen in Folge. Dennoch ist die Lage nicht rosig. Das Wachstum sei so niedrig wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr, sagte ein Sprecher des Statistikamts ONS. Hoppe betonte: "Bei einem Labour-Sieg wird sich nach Ansicht vieler Wirtschaftsforscher das Wirtschaftswachstum vermutlich noch einmal abschwächen."

Labour: "Eine Wirtschaft für alle"

Das Wahlprogramm hat Labour einen Monat vor der Abstimmung noch nicht veröffentlicht. "Eine Wirtschaft für alle", verspricht die Partei jedoch. Es gehe darum, eine fairere und wohlhabendere Gesellschaft "für viele, nicht für einige" zu schaffen. Labour-Finanzexperte John McDonnell betonte jüngst, die Partei wolle den Wohlstand "unumkehrbar" auf die Seite der Arbeiter verschieben. Die konservative Regierung zürnte. Premierminister Johnson verglich die Pläne mit Methoden von Sowjetdiktator Josef Stalin und sprach von einer wirtschaftlichen "Horrorshow".

AHK-Geschäftsführer Hoppe betonte: "Die Wirtschaft steht den Plänen einer Regierung Corbyn kritisch gegenüber." So sei etwa unklar, wie sich unter einer Labour-Regierung das Wirtschaftsumfeld gestalten werde. Hoppe verwies auf Ankündigungen wie eine Viertagewoche. "Ist es dann noch wettbewerbsfähig, hier zu produzieren? Das werden sich deutsche Unternehmen dann überlegen."

Brexit wahrscheinlich bei Johnson-Sieg

Für die deutsche Wirtschaft bleibt die Lage auch nach der Wahl schwierig, egal, wer gewinnt. Falls Johnson eine Mehrheit im Parlament holt, wird der Brexit wohl spätestens zum 31. Januar Wirklichkeit. Labour wiederum will innerhalb eines halben Jahres einen neuen Vertrag mit der EU aushandeln, der eine engere Anbindung an Zollunion und Binnenmarkt vorsieht, und diesen den Briten zur Abstimmung vorlegen. Alternativ wäre der Verbleib in der EU.

Hoppe kritisierte Johnsons Pläne. Seit dem Referendum 2016 sei Grossbritannien unattraktiver geworden, auch wegen des niedrigen Pfundkurses. "Es sind weniger Firmen, die sich nach Investitionsmöglichkeiten hierzulande erkunden", sagte Hoppe. Viele Unternehmen warteten ab, wie sich der Brexit nun konkret auswirken und welche Regularien es künftig geben werde. "Keiner weiss es." Die Wirtschaft hoffe auf einen unternehmerfreundlichen Brexit, mit relativ enger Anbindung an die Zollunion und den Binnenmarkt.

Handelsabkommen in weiter Ferne

Zumal die Gestaltung eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich "in den Sternen" stehe. Ankündigungen von Premier Johnson, nach dem Brexit schnell ein Handelsabkommen mit der EU auszuhandeln, nannte Hoppe unrealistisch. "Man kann einfach die Zölle abschaffen, und das war's. Aber es geht auch um Regularien, um Marktzugang. Und das ist komplizierter", betonte er. Hoppe sagte, es werde schliesslich teurer werden für deutsche Unternehmen, im Vereinigten Königreich zu produzieren. "Diese Mehrkosten werden - wenn möglich - höchstwahrscheinlich auf die Verbraucher abgewälzt."

2018 betrug das Handelsvolumen zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich 119 Milliarden Euro. Nach Angaben der AHK hängen etwa 750 000 Arbeitsplätze in Deutschland vom bilateralen Handel ab, deutsche Unternehmen beschäftigen in Grossbritannien mehr als 400 000 Mitarbeiter. (sg/dpa)

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