In den Verhandlungen über den Brexit droht die britische Premierministerin Theresa May damit, die EU notfalls auch ohne Deal zu verlassen. Schaden würde sie damit aber in erster Linie ihrem eigenen Land.
Es läuft derzeit nicht rund für Theresa May. In der vergangenen Woche lästerte halb Grossbritannien über ihre verhustete Parteitagsrede.
Und jetzt zeigte sich die Premierministerin in einem Radio-Interview wenig souverän. Als eine Anruferin fragte, was der "Brexit" für die EU-Bürger im Land bedeute, redete May um den heissen Brei herum.
Mays Brexit-Versprechen kaum haltbar
Seit ihrem Amtsantritt hat die 61-jährige Konservative stets wiederholt, dass sie aus dem geplanten EU-Austritt ihres Landes einen Erfolg machen wolle.
Doch was genau das heisst und wie der Brexit aussehen soll, ist immer noch unklar.
Jetzt geht die britische Regierung zunehmend auf Konfrontationskurs zu Brüssel und erklärt, sie bereite sich auf einen Austritt ohne eine vertragliche Regelung mit den europäischen Partnern vor.
"Das ist ein tragisches politisches Stück, bei dem es für die Briten keine gute Lösung gibt", sagt Paul J.J. Welfens im Gespräch mit unserer Redaktion. Er ist Präsident des Europäischen Instituts für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Bergischen Universität Wuppertal und Buchautor zum Thema.
Weicher oder harter Brexit?
Gestritten wird in Grossbritannien unter anderem über die Art des Austritts.
Mit einem harten Brexit würden die Briten eine klare Trennlinie zur EU ziehen: Sie würden mit der Union auch den europäischen Binnenmarkt und die Zollunion verlassen und könnten dann zum Beispiel die Einwanderung selbst regeln.
Bei einem weichen Brexit dagegen könnte Grossbritannien zum Beispiel Mitglied des Binnenmarkts bleiben. Es würde dann weiter von der engen wirtschaftlichen Verflechtung mit dem Kontinent profitieren – müsste nach Überzeugung der EU aber auch akzeptieren, dass sich Arbeitnehmer aus dem Ausland frei im Land niederlassen können.
Mays Problem: Ein weicher Austritt ist bei den Hardlinern in ihrer konservativen Partei nicht durchsetzbar. Der harte Weg allerdings würde für das Königreich noch schwerwiegendere wirtschaftliche Folgen haben als der weiche: "Ein harter Brexit könnte für die Briten einen Verlust des Realeinkommens um sechs Prozent bedeuten", sagt Welfens. Deshalb scheuen einige Abgeordnete auch diese Option.
Schwache Verhandlungsposition in Brüssel
Die Premierministerin müsste für ihr Land schon einen sensationellen Deal herausholen: einen Deal, der die Briten von vielen Regeln der EU befreit, sie aber gleichzeitig wirtschaftlich nicht schwächt.
Doch ein solches Abkommen wird
Zwar bedeutet der Brexit auch für die übrigen 27 EU-Staaten eine wirtschaftliche Schwächung. "Ihr Verlust könnte etwa ein Sechstel des britischen betragen", erklärt der Wirtschaftswissenschaftler.
Der grössere wirtschaftliche Schaden liege aber immer auf der britischen Seite. "Es gelingt May nicht, bei den Verhandlungen mit Brüssel eine richtige Drohkulisse aufzubauen. Sie steht eigentlich mit leeren Händen da."
Denn auch finanziell hat das Königreich im Machtpoker begrenzte Mittel. Der Austritt des Nettozahlers würde für die EU zwar einen finanziellen Einschnitt bedeuten. Nach Einschätzung von Welfens könnten die anderen Staaten diesen aber auffangen.
Er glaubt, dass May nur eine Möglichkeit hat, um Druck aufzubauen: Wenn sie bereit wäre, einen grossen Betrag von etwa 50 Milliarden Euro auf den Tisch zu legen – im Tausch gegen Zugeständnisse der übrigen Staaten. "Aber das könnte sie innenpolitisch gar nicht durchsetzen", sagt Welfens.
Wahrscheinlichstes Szenario: gar kein Deal?
Der Experte zieht vor diesem Hintergrund folgendes Fazit: Den perfekten Deal für die Briten werde es nicht geben.
"Egal welchen Vertrag sie vorlegt – Frau May wird im britischen Unterhaus wahrscheinlich für keinen davon eine Mehrheit bekommen." Die wahrscheinlichste Variante sei deshalb in der Tat, dass es gar keinen Deal gibt. "Letztlich handelt es sich dabei aber um eine leere Drohung", sagt Welfens. "Denn da droht jemand damit, sich maximal selbst zu schaden."
Mays Kampf um den EU-Austritt ist insofern auch ein Kampf um das politische Überleben.
Seit ihre Partei bei den Unterhauswahlen im vergangenen Juni Sitze eingebüsst hat, gilt die Premierministerin als angezählt.
Allerdings ist sie immer noch im Amt – vielleicht auch aus Mangel an Alternativen? Ein anderer britischer Regierungschef hätte schliesslich mit denselben Problemen zu kämpfen.
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