Trotz Zugeständnissen aus Brüssel schmettern die Abgeordneten in London den Brexit-Deal von Premierministerin May erneut ab. Nun müssen sie entscheiden, ob das Land ohne Abkommen aus der EU ausscheiden soll oder ob der Brexit verschoben wird.
Die britische Premierministerin
Es ist bereits die zweite schwere Niederlage für den Deal, den May im vergangenen Jahr mit der Europäischen Union vereinbart hatte. Geplant ist, dass das Land die EU am 29. März verlässt. Da bis dahin nicht einmal mehr drei Wochen Zeit bleiben, wird eine Verschiebung des Austrittsdatums immer wahrscheinlicher.
Nächste Entscheidung steht bevor
May will nun zunächst an diesem Mittwoch darüber abstimmen lassen, ob Grossbritannien ohne Abkommen aus der EU ausscheiden soll. Die Abgeordneten des Regierungslagers sollen ihr zufolge dabei keinem Fraktionszwang unterliegen.
Die Regierung will ausserdem Notfallpläne für einen ungeordneten Brexit veröffentlichen. Sollte wie erwartet auch der No-Deal-Brexit - also der Ausstieg aus der EU ohne Abkommen - abgelehnt werden, wird es Donnerstag eine dritte Abstimmung über eine mögliche Verschiebung des Austritts geben.
"Wenn das Unterhaus dafür stimmt, ohne ein Abkommen am 29. März auszutreten, wird es die Linie der Regierung sein, diese Entscheidung umzusetzen", sagte May. Sie selbst glaube aber, der beste Weg aus der EU auszutreten, sei auf geordnete Weise.
Corbyn: Abkommen ist "eindeutig tot"
Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei bezeichnete das Abkommen als "eindeutig tot". Er wolle nun erneut seine Pläne für einen Brexit mit engerer Anbindung an Brüssel zur Abstimmung stellen.
Die EU-Seite bedauerte das Nein zum Brexit-Vertrag. Man sei "enttäuscht, dass die britische Regierung es nicht geschafft hat, eine Mehrheit für das Austrittsabkommen zu erreichen, auf das sich beide Seiten im November geeinigt haben", erklärten Sprecher von EU-Kommissionschef
Die übrigen 27 EU-Staaten würden einen "begründeten Antrag" Grossbritanniens auf Verlängerung der Austrittsfrist über den 29. März hinaus in Erwägung ziehen. Aber: "Die EU27 wird eine glaubwürdige Begründung für eine mögliche Verlängerung und ihre Dauer erwarten", betonte Tusks Sprecher.
Harter Brexit wird wahrscheinlicher
Nach Ansicht von Bundesaussenminister Heiko Maas wird nach dem Nein des Unterhauses ein ungeregelter Brexit wahrscheinlicher. "Mit dieser Entscheidung rücken wir einem No-Deal-Szenario immer näher", sagte er.
Auch Paris zeigte sich enttäuscht von dem Abstimmungsergebnis. Man könne nun aber "unter keinen Umständen" eine Verlängerung des Verhandlungszeitraums ohne eine alternative, glaubwürdige Strategie Grossbritanniens akzeptieren, teilte der Präsidentenpalast mit.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich offen für eine Verschiebung des Brexits um ein paar Wochen, um einen ungeordneten Austritt Grossbritanniens aus der EU zu vermeiden. EU-Parlamentarier Elmar Brok (CDU) hält etwa drei Monate für denkbar.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, nannte die Ablehnung des Deals eine "herbe Enttäuschung". "Die Gefahr des ungeregelten EU-Austritts und der damit einhergehenden wirtschaftlichen und rechtlichen Unsicherheit schwebt weiter über der Wirtschaft." Deutsche Unternehmen hätten keine Planungssicherheit im Grossbritannien-Geschäft.
In einer mehrstündigen Debatte hatte May, die vor Heiserkeit kaum sprechen konnte, am Nachmittag das Parlament dazu aufgerufen, für das nachgebesserte Brexit-Abkommen zu stimmen.
"Wenn dieser Deal nicht angenommen wird, kann es sein, dass der Brexit verloren geht", warnte die Regierungschefin. "Ich bin sicher, dass wir die bestmöglichen Änderungen erreicht haben."
Viele Parlamentarier ihrer Konservativen Partei und der nordirisch-protestantischen DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, kritisierten das nachgebesserte Abkommen jedoch scharf. Der notwendige Fortschritt sei nicht erreicht worden, monierte die DUP.
Überraschende Last-Minute-Vereinbarung mit EU
May war mit ihrem Deal schon Mitte Januar im Unterhaus krachend gescheitert. Sie führte daraufhin Nachverhandlungen mit Brüssel.
Am Montagabend reiste sie überraschend nach Strassburg und stellte mit Juncker neue Vereinbarungen vor. Eine rechtlich verbindliche Zusatzerklärung und zwei weitere Dokumente sollten skeptische Abgeordnete überzeugen, dass Grossbritannien durch das Abkommen nicht gegen seinen Willen in einer engen Bindung mit der EU gehalten werden kann.
Doch der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox machte am Dienstagnachmittag Mays Hoffnung auf eine Mehrheit für den Deal mit einem Schlag zunichte. Grossbritannien habe weiter keine rechtlichen Mittel, um die als Backstop bezeichnete Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland zu kündigen, urteilte Cox in einem Gutachten.
Die Backstop-Regelung sieht vor, dass Grossbritannien so lange in einer Zollunion mit der EU bleiben soll, bis das Problem mit der irischen Grenze anderweitig gelöst ist. Kontrollen zwischen den beiden Teilen Irlands wollen alle Seiten vermeiden, weil sonst mit einem Wiederaufflammen des Konflikts in der ehemaligen Bürgerkriegsregion gerechnet wird.
Innerhalb einer Zollunion sind keine Warenkontrollen an den Grenzen notwendig. Das bedeutet aber auch, dass Grossbritannien in dieser Zeit keine Freihandelsabkommen mit Drittstaaten wie China oder den USA schliessen kann - eines der wichtigsten Argumente für den EU-Austritt. Brexit-Hardliner hatten daher eine Befristung oder ein einseitiges Kündigungsrecht für den Backstop gefordert. Brüssel lehnte das ab.
Juncker hatte die Abgeordneten gewarnt, die EU werde keine weiteren Zugeständnisse machen. "Es wird keine dritte Chance geben", sagte er. Werde dieser Vertrag nicht angenommen, werde der Brexit womöglich gar nicht stattfinden. Ihm zufolge ist eine Verlängerung der Austrittsfrist nur bis zur Europawahl Ende Mai möglich, andernfalls müsse Grossbritannien an der Wahl teilnehmen.
Die Briten hatten bei einem Referendum im Jahr 2016 mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Staatengemeinschaft votiert. © dpa
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