Zu Halloween will der britische Premier Boris Johnson raus aus der EU. Dafür hat er mit Brüssel nach langem Ringen einen Deal geschlossen. Doch es ist unsicher, ob der Austritt aus der EU Ende Oktober auch wirklich kommt: Die Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus für den neuen Deal sind denkbar knapp. Hat Johnson überhaupt eine Chance, genügend Abgeordneten zu überzeugen?

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Nach dem Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen in Brüssel richten sich alle Augen auf das britische Parlament. Das Unterhaus kommt am Samstag ab 10:30 Uhr zu einer Sondersitzung zusammen, um über das neue Brexit-Abkommen abzustimmen.

Eine Mehrheit für den "Brexit-Deal" von Premierminister Boris Johnson ist alles andere als sicher. Die Mehrheitsverhältnisse sind äusserst knapp.

Johnson fehlen 33 Stimmen im Unterhaus - mindestens

Die absolute Mehrheit für Johnson liegt bei 320 Stimmen im Unterhaus. Zwar hat die Kammer insgesamt 650 Mitglieder, aber weder die sieben Abgeordneten der irischen Sinn Fein noch der Parlamentspräsident und seine drei Stellvertreter stimmen mit ab. Somit sind de facto lediglich 639 Stimmen bei der Wahl zu vergeben.

Johnson hat keine eigene Mehrheit im Unterhaus, seine konservativen Tories bekommen maximal 287 Stimmen zusammen - wenn auch die Brexit-Hardliner mitziehen, die in der European Research Group (ERG) organisiert sind.

Viele in der ERG orientieren sich aber an der nordirischen Partei DUP - die das neue Brexit-Abkommen bereits strikt abgelehnt hat. Den nur zehn Abgeordneten der DUP fällt daher eine Schlüsselrolle zu.

Vom erzkonservativen Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg bekommt Johnson nun aber Unterstützung: "Ich bin sehr glücklich über den Deal, den Premierminister Boris Johnson mit der Europäischen Union erreicht hat", sagte Rees-Mogg von der Regierungspartei in einer Video-Botschaft auf Twitter. Er könne dieses Abkommen mit Begeisterung empfehlen.

Rückkehr in Tory-Fraktion als Angebot?

Dennoch ist Politikanalyst Dom Walsh von der Denkfabrik Open Europe der Ansicht, dass es für eine Mehrheit für Johnsons Deal ohne die DUP "sehr, sehr eng" wird. "Es ist theoretisch möglich, aber höchst unwahrscheinlich", schrieb er im Onlinedienst Twitter.

Britische Medien spekulieren, dass die DUP mit milliardenschweren Ausgleichszahlungen für Nordirland zum Einlenken bewegt werden soll. Dass sie sich darauf einlassen würden, ist aber unwahrscheinlich.

Nötig wäre für Johnson auch die Unterstützung jener 21 Konservativen, die gegen einen Brexit ohne Abkommen mit der EU sind. Sie hatten deshalb vor einigen Wochen gegen Johnsons Regierung gestimmt, der sie daraufhin im September aus seiner Tory-Fraktion ausgeschlossen hatte. Viele von ihnen würden aber gerne in die Fraktion zurückkehren – da könnte Johnson beim Werben für seinen Deal ansetzen.

Doch auch die Stimmen einiger Abgeordneter der oppositionellen Labour-Partei bräuchte Johnson, um überhaupt eine knappe Mehrheit zusammenzubekommen. Labour-Chef Jeremy Corbyn rief die 242 Labour-Abgeordneten bereits zur Ablehnung des neuen Abkommens auf.

Auch die Schottische National Partei SNP (35 Stimmen) und die pro-europäischen Liberaldemokraten (19 Stimmen) wollen die Vereinbarung zum Austritt aus der EU ablehnen. "Der Fokus morgen wird darauf liegen, den Deal zu Fall zu bringen", sagte Chuka Umunna, der aussenpolitische Sprecher der britischen Liberaldemokraten in einem BBC-Interview am Freitag.

Zweites Referendum könnte Oppositionelle überzeugen

Bei Labour gibt es allerdings eine Reihe von Abgeordneten aus Wahlkreisen, die dezidiert für den Brexit gestimmt haben. Ob diese Abgeordneten gegen die Parteilinie stimmen und Johnson damit einen Sieg verschaffen werden, sei unsicher, meint Tim Bale von der Denkfabrik "The UK in a Changing Europe".

Die Möglichkeit besteht allerdings. Laut Politikexperte Christos Katsioulis könnte es aber ein Argument geben, auf das sich viele Oppositionelle einlassen würden. „Es könnte sein, dass die Sitzung im Unterhaus [an diesem Samstag, Anm.d.Red.] so ausgeht, dass das Parlament dem Deal zustimmt unter der Bedingung, dass ein zweites Referendum darüber stattfindet“, sagte er im Interview mit NDR-Info.

Nach Berechnungen von Walsh bräuchte Johnson die Stimmen aller ERG-Hardliner, aller früheren Konservativen, die schon einmal für das vorherige Brexit-Abkommen gestimmt haben (19), aller Labour-Abgeordneten und unabhängigen Parlamentarier, die ebenfalls dafür gestimmt hatten (9) und noch zusätzlich fünf Stimmen aus der Labour-Fraktion, um eine Mehrheit zu bekommen - und selbst dann hätte der britische Premier nur genau eine Stimme mehr als die absolute Mehrheit. (jwo/afp/dpa)

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