Finnland setzt Grossbritannien beim Thema Brexit unter Druck: Antti Rinne, der derzeit den EU-Ratsvorsitz inne hat, stellt Premierminister Boris Johnson ein Ultimatum. Lässt dieser die Frist verstreichen, ist laut Rinne der Ofen aus. Grossbritannien reagiert kühl.
Der derzeitige EU-Ratsvorsitzende Antti Rinne hat dem britischen Premierminister
Wenn Grossbritannien über Alternativen zum bestehenden Austrittsabkommen sprechen wolle, müsse das Land diese bis Ende September schriftlich vorlegen, sagte der finnische Regierungschef nach Angaben finnischer Medien nach einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Mittwoch in Paris.
Ein Sprecher Rinnes betonte, auf diese Weise könne Grossbritannien einen Chaos-Brexit verhindern. Finnland führt im zweiten Halbjahr den Vorsitz der EU-Länder.
Antti Rinne: Wenn nichts kommt, "dann ist es vorbei"
"Wenn keine Vorschläge kommen, dann glaube ich, dass eine ganze Reihe von europäischen Staats- und Regierungschefs den Standpunkt teilt, der heute mit Macron zum Ausdruck gebracht wurde. Dann ist es vorbei", wurde Rinne von der finnischen Nachrichtenagentur STT zitiert.
Es müsse Wesentliches passieren, damit es sich lohne, den Briten zusätzliche Zeit einzuräumen, sagte er dem Rundfunksender Yle zufolge.
In einer Mitteilung erklärte Rinne, die 27 verbleibenden EU-Mitgliedstaaten seien sich einig, dass der britische EU-Austritt gemäss dem bestehenden Abkommen im Interesse aller sei. Man müsse sich aber auch auf einen möglichen Austritt ohne Abkommen - den sogenannten No-Deal-Brexit - vorbereiten.
Ein Sprecher von Boris Johnson reagierte laut "Guardian" kühl auf das Ultimatum. Man werde sich von einer "künstlichen Deadline" nicht unter Druck setzen lassen.
Briten legen erstmals Änderungswünsche vor
Am Donnerstag legten die Briten erstmals schriftliche Dokumente zu ihren Änderungswünschen vor. Dies teilte die EU-Kommission am Donnerstag in Brüssel mit.
Ob diese Papiere die von der EU gewünschten "schriftlichen Vorschläge" sind, müsse erst noch geprüft werden, sagte eine Kommissionssprecherin. Sie kündigte für Freitag ein Treffen des britischen Brexit-Ministers Stephen Barclay mit EU-Chefunterhändler Michel Barnier an.
Die britische Regierung nannte die übergebenen Dokumente "eine Reihe vertraulicher technischer Non-Papers, die die Ideen widerspiegeln, die Grossbritannien bisher vorgebracht hat". Ein Regierungssprecher fügte hinzu: "Wir werden formale schriftliche Lösungen vorlegen, wenn wir bereit sind, nicht bis zu einer künstlichen Frist, und wenn die EU klar macht, dass sie konstruktiv über sie diskutieren will als Ersatz für den Backstop." Der "Guardian" schreibt, ein "Non-Paper" sei offenbar ein Dokument, das keine offizielle Haltung der Regierung darstelle.
Grossbritannien will den Backstop - die von der EU geforderte Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland - streichen. Seit Kurzem wird wieder offiziell verhandelt, die EU verlangt aber konkrete Vorschläge von britischer Seite. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nannte das Risiko eines No-Deal-Brexit "sehr real".
Das EU-Parlament hatte zuvor mit einer grossen Mehrheit von 544 zu 126 Stimmen dafür plädiert, das Austrittsdatum 31. Oktober notfalls weiter aufzuschieben, um einen ungeregelten Austritt der Briten zu verhindern. 38 Abgeordnete enthielten sich. Allerdings warnt die Wirtschaft inzwischen vor einer endlosen Hängepartie.
Frankreichs Präsident Macron gehört beim Brexit zu den Hardlinern auf EU-Seite. Er hatte sich bei den ersten beiden Fristverlängerungen Ende März und Mitte April zeitweise ernsthaft quergestellt, bevor im Frühjahr dann doch eine neue Brexit-Frist bis zum 31. Oktober gewährt wurde.
Wenn Grossbritannien keinen neuen Deal zustandebringt und - wie vom No-No-Deal-Gesetz vorgesehen - die EU um weiteren Aufschub bittet, könnte das erneut von Belang werden. Denn die 27 bleibenden EU-Staaten müssen einen etwaigen Antrag Grossbritanniens einstimmig billigen.
Anwalt der britischen Regierung: Justiz soll Zwangspause nicht prüfen
Unterdessen hat sich der Anwalt der britischen Regierung dazu geäussert, dass sich der Oberste Gerichtshof Grossbritanniens aktuell mit der Rechtmässigkeit der von Johnson verhängten Zwangspause für das Parlament befasst.
Die Anordnung von Premierminister Boris Johnson sei eine "grundlegend politische" Entscheidung, daher sollten nicht Richter darüber befinden, sagte der Anwalt des Regierungschefs, James Eadie, am Mittwoch vor dem Supreme Court.
Er wies Vorwürfe gegen Johnson zurück, wonach dieser das Parlament mit der Zwangspause aushebeln wollte. Die Behauptung, der Premierminister habe "unzulässige Absichten" verfolgt, sei "unhaltbar", betonte Eadie.
Der Oberste Gerichtshof beschäftigt sich seit Dienstag mit der Zwangspause für das Unterhaus. Die Anhörung endet am Donnerstag. Wann die Richter ihre Entscheidung verkünden, ist nicht bekannt.
Das Gericht berät über zwei Klagen, die von der Anti-Brexit-Aktivistin Gina Miller und von 78 Parlamentariern eingereicht wurden. In beiden Fällen geht es darum, ob Johnson rechtmässig handelte, als er Königin Elizabeth II. die Parlamentsvertagung empfahl.
Johnsons Entscheidung, dem Parlament vor dem für den 31. Oktober geplanten EU-Austritt Grossbritanniens eine fast fünfwöchige Sitzungspause aufzuerlegen, hatte landesweite Proteste hervorgerufen. Kritiker halten dem konservativen Regierungschef vor, das Parlament aushebeln zu wollen und so die Demokratie zu untergraben.
Dieser Argumentation folgte in der vergangenen Woche auch ein schottisches Berufungsgericht. Es erklärte die Zwangspause für "illegal", weil es deren offensichtliches Ziel sei, "das Parlament zu behindern". Die britische Regierung legte umgehend Berufung gegen die Entscheidung ein.
Das britische Parlament soll nach dem Willen des Premierministers erst am 14. Oktober wieder tagen. Zum 31. Oktober, also gut zwei Wochen später, will Johnson sein Land aus der EU führen - notfalls auch ohne Abkommen mit Brüssel. Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz, wonach der Premierminister eine Verschiebung des Brexit um drei Monate beantragen muss, wenn es nicht zu einer Einigung mit der EU kommt, will Johnson ignorieren. (dpa/afp/ank)
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