Europa wartet gespannt auf die nächsten Schritte Grossbritanniens beim Brexit. Doch nur knapp zwei Monate vor dem geplanten Austritt aus der EU ist noch immer keine Lösung in Sicht. Ein neuer Machtkampf zwischen Regierung und Parlamentariern zeichnet sich ab.
Vor der Brexit-Erklärung der britischen Premierministerin
Handelsminister Liam Fox warf EU-freundlichen Abgeordneten vor, den Brexit "stehlen" zu wollen. Die Bevölkerung wolle die EU verlassen, aber das Parlament wolle in der Union verbleiben. "Das Parlament hat kein Recht, den Brexit-Prozess zu entführen", sagte der Unterstützer von Mays Brexit-Deal dem Sender BBC.
Nach britischen Medienberichten vom Sonntag arbeiten Abgeordnete verschiedener Parteien daran, die Brexit-Entscheidung hinauszuzögern und einen ungeordneten EU-Austritt ihres Landes zu verhindern. Tory-Hardliner warnten die Premierministerin derweil vor Zugeständnissen an EU-Freunde im Parlament. Eine britisch-irische Lösung für Nordirland hat Berichten zufolge wenig Aussicht auf Erfolg.
Rennen gegen die Zeit
Das britische Unterhaus hatte am vergangenen Dienstag Mays Brexit-Vereinbarung mit Brüssel eine klare Absage erteilt. Einem Misstrauensvotum am Mittwoch hielt die Premierministerin jedoch stand. Am Montag will sie dem Parlament einen neuen Lösungsweg präsentieren.
Nach Mays Präsentation im Unterhaus will eine parteiübergreifende Gruppe unter der Federführung der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper und des Konservativen Nick Boles einen Änderungsantrag für weitere Verhandlungen mit der EU einbringen, sollte das Parlament Mays neuen Vorschlag am 29. Januar ablehnen. Damit wollen die Rebellen den Brexit hinauszögern und einen ungeordneten EU-Austritt verhindern.
Der Konservative Dominic Grieve will nach Informationen der britischen "Times" mit einem weiteren Antrag dafür sorgen, dass Artikel 50 des EU-Vertrages zeitweise ausgesetzt wird - ebenfalls um Zeit zu gewinnen. Der Artikel regelt den Austritt eines Landes aus der Union. Wie diese Aussetzung erfolgen soll, wurde aus dem Text nicht deutlich.
In der Downing Street 10 - Mays Amtssitz - ist man über die Pläne der Anti-Brexit-Rebellen offensichtlich wenig erfreut. "Jeglicher Versuch, der Regierung die Macht zu entziehen, zu diesem historisch bedeutenden Zeitpunkt die rechtlichen Bedingungen für einen geordneten Austritt (aus der EU) zu erfüllen, ist in höchstem Masse Besorgnis erregend", zitierte die BBC am Sonntag aus Regierungskreisen. Es bestehe die Gefahr, dass das Parlament einen Brexit stoppen könnte.
Gespaltene Opposition
Die Labour-Partei hält an ihrer Forderung nach Neuwahlen fest, ist aber offen für Alternativen, wie der Brexit-Minister im Schattenkabinett, Keir Starmer, am Samstag sagte. Seine Partei müsse sich aber auch die Möglichkeit eines zweiten Referendums offen halten, sagte Starmer.
In Grossbritannien erscheint die Möglichkeit eines Gangs an die Wahlurnen nicht ganz abwegig. Drei Mitglieder von Mays Kabinett hatten der "Financial Times" (Freitag) gesagt, dass eine Neuwahl denkbar sei. Regierungsmitarbeitern zufolge wurden in der vergangenen Woche Notfallpläne dafür diskutiert.
Ob eine Neuwahl der Labour-Partei nützen würde, ist unklar. Laut einer unveröffentlichten Umfrage einer EU-freundlichen Lobby-Gruppe, die dem "Guardian" zugespielt wurde, würde Labour etwa mit einer klaren Parteinahme für einen Verbleib Grossbritanniens in der EU keine Wähler hinzugewinnen.
Der Tory-Hardliner und May-Kritiker Jacob Rees-Mogg drängte in der Boulevardzeitung "Daily Mail" am Sonntag die Premierministerin, erst einmal ihre eigene Partei hinter sich zu bringen. Dazu müsse sie weitere Konzessionen von der EU bekommen, vor allem zu den Austrittskosten sowie zu Nordirland. "So attraktiv es scheinen mag, europafreundlichen Labour-Abgeordneten die Hand reichen zu wollen, Frau May kann nur ins Ziel kommen, wenn sie die Tory-Rebellen für sich gewinnt", so Rees-Mogg.
Angst vor irischen Unruhen
Mays Konzept soll laut "Times" unter anderem Pläne für einen Vertrag Grossbritanniens mit Irland enthalten, um das Problem einer neuen Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und der Republik Irland zu vermeiden. Ein solcher Vertrag soll ebenso Tory-Harliner wie die nordirische DUP überzeugen, deren Abgeordnete Mays Regierung im Parlament unterstützen. Wie dieser Vertrag mit EU-Recht vereinbar sein soll, wurde nicht gesagt. Irische Regierungskreise sagten der "Times", ein bilateraler Vertrag sei "nichts, das wir in Erwägung ziehen würden".
Sorgen bereitete Politikern in Belfast auch die Explosion einer Autobombe in der Innenstadt der nordirischen Stadt Londonderry. Zwar wurde nach dem derzeitigen Informationsstand niemand verletzt. Es wurde aber über politische Hintergründe spekuliert.
In Grossbritannien herrscht die Sorge, dass der Nordirland-Konflikt zwischen irischen Nationalisten und pro-britischen Unionisten bei einer Wiedereinführung von Grenzkontrollen wieder aufflammen könnte. Die DUP-Vorsitzende Arlene Foster verurteilte den "sinnlosen Akt des Terrors" bei Twitter. Auch Elisha McCallion, Parlamentsabgeordnete der Sinn Fein, erklärte, Londonderry sei eine aufsteigende Stadt, "und niemand möchte einen derartigen Zwischenfall". © dpa
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