Trotz oder gerade wegen des EU-Ausstiegs von Grossbritannien: Die Verhandlungen gehen weiter. Doch viele Fragen sind nach wie vor offen. Der britische Premier prescht gleich am Montag nach vorne - doch auch die Europäische Union zeigt Stärke.
Nach dem Brexit wollen Grossbritannien und die Europäische Union am Montag ihre jeweiligen Verhandlungslinien für die künftigen Beziehungen umreissen. Ziel ist ein umfassendes Handels- und Partnerschaftsabkommen bis zum Jahresende, um die negativen Folgen des britischen EU-Austritts für die Wirtschaft so gering wie möglich zu halten. Erwartet wird eine schwierige Kompromisssuche, wenn die Verhandlungen in etwa vier Wochen beginnen. Beide Seiten verschärfen im Vorfeld bereits den Ton.
Grossbritannien hatte die Europäische Union in der Nacht zum Samstag endgültig verlassen. Praktisch hat sich aber noch fast nichts geändert, weil innerhalb einer Übergangsfrist alle EU-Regeln im Vereinigten Königreich weiter gelten. Erst am 31. Dezember ist es damit vorbei.
Premierminister
Johnsons Wunsch: Handelsabkommen mit der EU nach dem Vorbild Kanadas
Laut "Sunday Telegraph" soll Johnson der EU intern vorwerfen, die Bedingungen für ein umfassendes Handelsabkommen verschärft zu haben. Sollte ein Handelsabkommen nach dem Vorbild Kanadas nicht möglich sein, würde er auch losere Beziehungen zur EU wie etwa Australien in Kauf nehmen, so der Premier. Für die Wirtschaft käme das wohl dem gefürchteten No-Deal-Szenario gleich.
In Brüssel äussert sich EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Montagmittag seinerseits in einer Pressekonferenz. Die EU beteuert zwar, sie wolle engstmögliche Beziehungen mit dem traditionellen Partner und Nachbarn. Sie pocht aber auf gleiche Wettbewerbsbedingungen. Die Formel lautet: "Keine Zölle, keine Kontingente, kein Dumping." Entscheidend dürfte sein, ob sich beide Seiten im Laufe der Verhandlungen auf einen Mittelweg einigen können.
Holger Hestermeyer, der als Associate Professor für internationale Streitschlichtung am King’s College London lehrt, hält gleiche Wettbewerbsbedingungen auch ohne die fortschreitende Anpassung der Briten an EU-Standards für denkbar. Er glaubt, dass ein Kompromiss machbar wäre. "Wenn ich eines gelernt habe durch das Austrittsabkommen, muss ich sagen, man sollte nie die Fähigkeit von Johnson unterschätzen, seine Positionen verkaufen zu können", so Hestermeyer im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Die heiklen Themen der Übergangsphase
Neben der Grundsatzfrage, wie eng die Handelsbeziehungen sein können, müssen etliche praktische und politisch heikle Themen geklärt werden. Ein paar Beispiele:
- Fischereirechte gelten als besonders heisses Eisen. EU-Fischer holen derzeit - gemäss EU-Fangquoten - grosse Mengen Fisch aus britischen Gewässern. Ohne Einigung dürften EU-Kutter nicht mehr in die britischen Fischgründe einfahren und umgekehrt. Die britischen Kollegen wiederum sind bisher auf die EU als Absatzmarkt angewiesen. Das Thema brennt Brüssel so auf den Nägeln, dass es möglichst schon vor dem 1. Juli abgeräumt werden soll.
- Finanzdienstleistungen sind für Grossbritannien ein wichtiger Wirtschaftsfaktor mit rund einer Million Beschäftigten in der Branche, die etwa sieben Prozent der Wirtschaftsleistung erbringt. 40 Prozent dieser Dienstleistungen gehen in die EU. Das Problem: Nach der Übergangsphase verlieren die britischen Finanzdienstleister sogenannte Passporting-Rechte, mit denen sie ihre Produkte überall in der EU anbieten können. Die EU-Seite sieht dies als Verhandlungsjoker: Die EU sei hier klar im Vorteil, sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Wochenende.
- Datenschutzstandards müssen vereinbart werden, um überhaupt noch persönliche Daten zwischen beiden Seiten auszutauschen. Für die Geschäfte von Banken und Versicherungen, aber auch für Universitäten ist das von grosser Bedeutung.
- Auch bei der Verbrechensbekämpfung geht es um Datenaustausch. Ohne Einigung verliert Grossbritannien mit dem Ende der Übergangsphase den Zugriff auf EU-Datenbanken.
Von der Leyen hat klargestellt, dass sie alle strittigen Fragen im Paket klären will und es kein "Rosinenpicken" geben soll. Bevor die Verhandlungen starten können, müssen die 27 bleibenden EU-Staaten die gemeinsame Linie billigen. Termin dafür ist der 25. Februar. © dpa
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