Versöhnlicher Ton im Brexit-Streit: Der britische Premier Johnson und der irische Ministerpräsident Varadkar scheinen im Streit um den EU-Austritt Grossbritanniens einen Schritt vorangekommen zu sein.
Im verfahrenen Brexit-Streit sind der britische Regierungschef
Johnson und Varadkar trafen sich am Donnerstag zu ihrem Gespräch über die Brexit-Scheidungsmodalitäten in einem historischen Gebäude in einem Dorf bei Liverpool, das vor allem für Hochzeiten beliebt ist. Dort tagten sie über zwei Stunden. Ihre Diskussion sei "ausführlich und konstruktiv" gewesen, hiess es in ihrer kurzen gemeinsamen Erklärung. Sie hätten sich geeinigt, weiter über ihre Diskussionen nachzudenken. Ihre Beamten würden intensiv darüber beraten.
Macron fordert Brexit-Lösung bis Freitag
Ursprünglich hatte unter anderem der französische Präsident Emmanuel Macron zumindest Ansätze für eine Lösung der seit Jahren umstrittenen Irland-Frage bis Freitag dieser Woche gefordert. Das sei Voraussetzung für eine Lösung beim EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober. Trotz dieses Quasi-Ultimatums erwartet Grossbritannien den Showdown aber erst beim Gipfeltreffen selbst.
Bis 19. Oktober muss Johnson laut einem britischen Gesetz ein Abkommen durch das Parlament bringen, sonst ist er dazu verpflichtet, eine Verlängerung der Brexit-Frist zu beantragen. Nach britischen Medienberichten könnte es an dem Tag eine Sondersitzung des Unterhauses geben.
Johnson signalisierte bislang, sich an das Gesetz halten zu wollen. Einen Aufschub lehnt er jedoch kategorisch ab und droht weiter damit, sein Land notfalls auch ohne Vertrag in drei Wochen aus der EU zu führen. Wie beides zusammenpassen soll, ist unklar. In Brüssel erwartet man, dass die Bitte um Fristverlängerung letztlich doch gestellt wird und die Staatengemeinschaft dem auch zustimmt.
Vorerst halten beide Seiten aber noch die Hoffnung auf einen Last-Minute-Deal aufrecht - auch wenn sie sehr weit auseinander liegen. Merkel sagte in Nürnberg, alle 27 bleibenden EU-Staaten würden bis zum letzten Tag dafür kämpfen, einen ungeregelten Austritt des Vereinigten Königreichs zu verhindern. Sollte es dennoch dazu kommen, müsse dies für die Menschen so verträglich wie möglich gestaltet werden.
Johnson lehnt Backstop ab
Grösstes Hindernis für eine Einigung ist immer noch die Frage, wie die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Staat Irland offen gehalten werden kann. Johnson lehnt die von seiner Vorgängerin Theresa May vereinbarte Garantieklausel ab, den sogenannten Backstop. Der sieht vor, dass Grossbritannien solange in einer Zollunion mit der EU bleiben soll, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Nordirland soll zusätzlich im Binnenmarkt bleiben.
Als Mitglied der Zollunion könnte Grossbritannien aber keine eigenen Handelsabkommen mit Ländern wie den USA schliessen - worauf Johnson keinesfalls verzichten will. Deshalb will er den Austrittsvertrag in letzter Minute ändern und schlägt eine komplizierte Alternative zum Backstop vor. Demnach soll es eine Zollgrenze auf der irischen Insel geben, aber keine Abfertigung direkt an der Trennlinie. Nordirland soll an EU-Standards gebunden bleiben - allerdings nur, solange die nordirische Volksvertretung dafür stimmt.
Brüssel und Dublin lehnen die Vorschläge ab und fordern Nachbesserungen. London verlangt hingegen Bewegung auf EU-Seite. Am Freitag wollen EU-Unterhändler Michel Barnier und Brexit-Minister Stephen Barclay Bilanz zum Stand der Gespräche ziehen.
Corbyn will Chaos-Brexit ausschliessen
Johnson hatte das Unterhaus am Dienstag vorübergehend suspendiert. Es soll am Montag von Königin Elizabeth II. feierlich wiedereröffnet werden. Die Queen fährt dann in einer Kutsche vom Buckingham-Palast zum Parlament und verliest dort das Regierungsprogramm.
Johnson hat im Parlament keine Mehrheit mehr und ist auf Stimmen der Opposition angewiesen - für die Annahme einer etwaigen Brexit-Einigung ebenso wie für die von ihm gewünschte Neuwahl. Oppositionsführer Jeremy Corbyn will vor einem Neuwahl-Beschluss jedoch zuerst einen Chaos-Brexit Ende Oktober ausschliessen.
Der frühere Aussenminister Jeremy Hunt und Ex-Finanzminister Philip Hammond warnten in BBC-Interviews vor einer Neuwahl. "Wenn Boris gewinnt - und das sagen die Umfragen derzeit voraus - ... wird die britische Regierung noch weniger zu einem Kompromiss bereit sein", sagte Hunt. Auch der EU-freundliche Politiker Hammond betonte: "Eine Wahl würde unser Problem hier nicht lösen." (dpa/fra)
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