Im Streit um den Brexit tritt das britische Parlament auf der Stelle. Premierministerin May bietet ihren Rücktritt an, sollte ihr Austrittsdeal doch noch angenommen werden. Mögliche Nachfolger scharren bereits mit den Hufen.
Nach einem chaotischen Tag im Unterhaus wird nun mit Spannung erwartet, wann die britische Premierministerin Theresa
May hatte am Mittwoch angekündigt, im Falle einer Zustimmung ihr Amt vorzeitig abzugeben. Sie hoffte damit, ausreichend viele Gegner in ihrer eigenen Partei zur Unterstützung ihres Deals zu bewegen.
Britische Medien sprachen von der "letzten Karte", die May gespielt habe, vom "Endspiel" in ihrem Amt oder gar von einem "Totengeläut".
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Weiter keine Mehrheit für Mays Deal in Aussicht
Die Rechnung scheint bislang nicht aufzugehen: Ihre Verbündeten von der nordirischen DUP gaben der Regierungschefin erneut einen Korb. Sie kündigten an, gegen das Abkommen zu stimmen.
Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg hatte seine Zustimmung in Aussicht gestellt, sofern die DUP für den Deal votiere.
May werden damit kaum Chancen eingeräumt, wenn sie den Deal - voraussichtlich am Freitag - dem Parlament erneut zur Abstimmung vorlegen sollte. Nach Informationen des Deutschlandfunks hat May mit ihrem Rücktrittsangebot ungefähr 25 neue Stimmen im Lager der Brexiteers hinzugewonnen. Sie bräuchte allerdings 75 zusätzliche Stimmen im Vergleich zur zweiten Abstimmung.
Unterhaus lehnt alle Brexit-Alternativen ab
Doch auch für Alternativen scheint es im Parlament keine Mehrheit zu geben. Bei Abstimmungen über acht Brexit-Optionen lehnten die Abgeordneten am Mittwoch mehrere Varianten einer engeren Anbindung an die EU ebenso ab wie ein zweites Referendum oder einen Austritt ohne Abkommen.
Am besten schnitt noch die erneute Volksabstimmung mit 268 Ja-Stimmen ab. Für eine Zollunion mit der EU sprachen sich 264 Parlamentarier aus. Den Brexit-Deal der Premierministerin hatten zuletzt gerade einmal 242 Abgeordnete unterstützt.
Die Ergebnisse zu den einzelnen Optionen
- Customs Union (Brexit mit Verbleib in der Zollunion): Mehrheit für Nein; 264 zu 272 Stimmen
- Zweites Referendum (Kein Votum im Parlament für Brexit-Kompromiss oder sonstigen Deal ohne Mehrheit der Bevölkerung): Mehrheit für Nein; 268 zu 295 Stimmen
- Labour's Plan (Weicher Brexit mit Verbleib in der Zollunion und Beachtung der Regeln des europäischen Binnenmarkts): Mehrheit für Nein; 237 zu 307 Stimmen
- Common Market 2.0 (Verbleib in der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA und im Europäischen Wirtschaftsraum EEA plus Zollabkommen): Mehrheit für Nein; 188 zu 283 Stimmen
- No-Deal Notbremse (Verhindern eines Brexits ohne Deal): Mehrheit für Nein; 184 zu 293 Stimmen
- No Deal (Austritt am 12. April ohne jegliche Vereinbarung): Mehrheit für Nein; 160 zu 400 Stimmen
- Malthouse Plan B (Austritt auf Grundlage des Deal von May, Backstop soll durch alternative Regelungen ersetzt werden): Mehrheit für Nein; 139 zu 422 Stimmen
- Norwegen-Option (wie Common Market 2.0, aber ohne Zollunion): Mehrheit für Nein; 65 zu 377 Stimmen
"Indicative votes" ohne Erfolg
Für die Abstimmungen hatten Abgeordnete der Regierung zeitweise die Kontrolle über die Tagesordnung im Unterhaus aus der Hand genommen.
Mit den "indicative votes" wollte das Parlament ausloten, für welche Optionen es eine Mehrheit gibt - doch die zerstrittenen Abgeordneten kamen keinen Deut voran.
Am kommenden Montag soll es weitere Abstimmungen geben.
Dritte Abstimmung über Mays Deal weiter unsicher
Indes stellt Parlamentspräsident John Bercow eine weitere Abstimmung über Mays Abkommen infrage. Bercow erinnerte die Regierung daran, dass nur substanzielle Änderungen an dem Deal eine weitere Abstimmung rechtfertigen können.
Er hatte vergangene Woche für Aufsehen gesorgt, als er eine erneute Abstimmung über das Abkommen zunächst ausschloss. Dabei berief er sich auf eine 415 Jahre alte Regel. Kritiker werfen ihm Parteilichkeit zugunsten der EU-freundlichen Abgeordneten vor.
Brexit-Minister Stephen Barclay sagte, das Abstimmungsergebnis zu den Alternativvorschlägen im Parlament habe gezeigt, dass der mit der EU ausgehandelte Deal immer noch "die beste Option" sei.
Doch was bleibt, sollte der auch ein drittes Mal scheitern? Eine erneute Verlängerung der Austrittsfrist wäre wohl nur mit einer Neuwahl oder einem zweiten Referendum zu rechtfertigen.
Mays Nachfolger machen sich bereit
Und Mays potenzielle Nachfolger scharren bereits mit den Hufen. Neben Vizepremier David Lidington und Umweltminister Michael Gove gehören dazu nach britischen Medienberichtem auch der exzentrische Ex-Aussenminister Boris Johnson, der frühere Brexit-Minister Dominic Raab, Aussenminister Jeremy Hunt, der ehrgeizige Innenminister Sajid Javid, Gesundheitsminister Matt Hancock und Arbeitsministerin Amber Rudd. Selbst dem umstrittenen früheren Brexit-Minister David Davis werden Chancen eingeräumt.
Ursprünglich sollte Grossbritannien schon an diesem Freitag die EU verlassen. Brüssel bot London kürzlich eine Verschiebung des Brexits bis zum 22. Mai an. Bedingung dafür ist aber, dass das Unterhaus dem Austrittsvertrag noch in dieser Woche zustimmt. Andernfalls gilt die Verlängerung nur bis zum 12. April. In dem Fall soll London der EU vor diesem Termin sagen, wie es weitergehen soll.
Sollte Grossbritannien ohne Abkommen aus der Staatengemeinschaft ausscheiden, wird mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche gerechnet. Diese Option fand zwar am Mittwoch nur geringe Zustimmung, doch sie bleibt die automatische Folge, sollte sich das Parlament nicht für etwas anderes entscheiden.
Vor knapp drei Jahren hatten die Briten in einer Volksabstimmung mit knapper Mehrheit für den EU-Austritt gestimmt. (jwo/dpa)
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