Nach der krachenden Ablehnung ihres Brexit-Deals kann Premierministerin May den Laden gerade noch einmal zusammenhalten. Doch Brüssel fordert eine rasche Ansage, wie es nun weitergehen soll.
Einen Tag nach der historischen Niederlage für ihren Brexit-Deal mit Brüssel hat die britische Premierministerin
Nach dem Votum gab sich May kämpferisch und entschlossen. "Es ist meine Pflicht, Grossbritannien aus der EU zu führen", sagte die Premierministerin am späten Abend. Zudem kündigte sie Gespräche mit allen Parteien an.
Der britische Oppositionschef Jeremy Corbyn hatte vor Abstimmung eine Neuwahl gefordert. Die heftige Schlappe bei dem Votum über den Brexit-Deal am Dienstag habe gezeigt, dass die Regierung nicht in der Lage sei, weiterzumachen.
Die "Zombie-Regierung", deren "Frankenstein-Deal" nun offiziell tot sei, solle den Weg frei machen, sagte der Labour-Politiker. Pete Wishart von der Schottischen Nationalpartei rief May zu: "Um Gottes Willen, Premierministerin, würden Sie bitte einfach gehen?"
May konterte, eine Neuwahl sei "das Schlechteste, was wir machen können". Sie würde die Spaltung im Land vertiefen, Chaos und Stillstand bringen.
Die Premierministerin hat angekündigt, am kommenden Montag dem Parlament darzulegen, wie es weitergehen soll, um einen chaotischen EU-Austritt doch noch zu verhindern. Zuvor will sie sich mit den anderen Parteien im Unterhaus beraten.
Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum dürfte nun Corbyn unter Druck geraten. Eine grosse Gruppe der Labour-Abgeordneten will, dass er sich hinter die Forderung nach einem zweiten Brexit-Referendum stellt. Corbyn hatte angekündigt, diese Option zu erwägen, sollte sich eine Neuwahl als unmöglich herausstellen.
Zweiter Versuch nicht ausgeschlossen
Ein erfolgreiches Misstrauensvotum ist für Corbyn der einzig gangbare Weg, um das zu erreichen, doch der scheint nun verstellt. Es ist aber nicht auszuschliessen, dass Corbyn einen zweiten Versuch plant. Die Briten hatten bei einer Volksabstimmung im Juni 2016 mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der EU gestimmt.
Die EU fordert jetzt schnelle Ansagen aus London, wie es nun weitergehen soll. Nach der Niederlage für den Brexit-Vertrag ist keine Lösung für den EU-Austritt Grossbritanniens in Sicht. Wenn ein Austritt ohne Abkommen mit drastischen Folgen für die Wirtschaft und Chaos in vielen Lebensbereichen vermieden werden soll, muss es innerhalb weniger Wochen eine Einigung geben. Am 29. März will Grossbritannien aus der EU austreten.
EU-Spitzenpolitiker schlossen eine Neuverhandlung des Abkommens aus. Grossbritannien müsse nun alleine eine Lösungsmöglichkeit entwickeln, wurde Kanzlerin
Merkel will ihre Bemühungen um einen geregelten Brexit fortsetzen. "Wir wollen den Schaden - es wird in jedem Fall einen Schaden geben durch den Austritt Grossbritanniens - so klein wie möglich halten. Deshalb werden wir natürlich versuchen, eine geordnete Lösung weiter zu finden", sagte sie. Die Bundesregierung sei aber auch vorbereitet, wenn es keine geordnete Lösung gebe.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe eine gemeinsame Linie mit den europäischen Hauptstädten abgesteckt, sagte sein Sprecher Margaritis Schinas in Brüssel. "Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es nichts, was die EU noch tun könnte", fügte er hinzu. "Ein geordneter Austritt bleibt in den nächsten Wochen unsere absolute Priorität", sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier im EU-Parlament. Allerdings sei die Gefahr eines "No Deal"-Brexits so gross wie nie.
Aussenminister Heiko Maas (SPD) forderte die Briten auf, ihre Position möglichst schnell zu klären. "Die Zeit der Spielchen ist jetzt vorbei", sagte er im Deutschlandfunk. Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, verlangte zügige Vorschläge von London, wie das weitere Verfahren aussehen könne.
Weber appelliert an Regierung
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier warnte vor den möglichen Folgen eines ungeregelten Brexits: "Der würde Arbeitsplätze kosten, besonders in Grossbritannien, aber auch im übrigen Europa", sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. "Ich sehe mit dem gestrigen Ergebnis die Chance für eine Denkpause, die dazu führen kann, dass man auch in Gesprächen zwischen der Europäischen Union und Grossbritannien vernünftige Lösungen findet. Aber dazu müssen wir abwarten, bis die britische Politik ihre Position gefunden hat."
EU-Politiker sehen jetzt Grossbritannien am Zuge. "Bitte, bitte, bitte, sagt uns endlich, was ihr erreichen wollt", appellierte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei,
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte eine neue Volksabstimmung über den EU-Austritt und drohte indirekt mit einem neuen Unabhängigkeitsreferendum. "Ein zweites Referendum ist die einzige Möglichkeit, dass Schottland als Teil des Vereinigen Königreichs in Europa bleibt", sagte Sturgeon der "Bild"-Zeitung (Donnerstag). "Unser Platz in Europa muss geschützt werden."
Verbraucherzentrale fordert Klarheit
In der Wirtschaft und bei Verbrauchern sorgte die Ablehnung des Abkommens für Verunsicherung. "Ein "No Deal" bedeutet nicht einfach nur Güterhandel mit Zöllen, sondern dürfte den Handel zwischen der EU und Grossbritannien vorübergehend komplett zum Erliegen bringen", sagte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Dennis Snower. Der Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA, Carl Martin Welcker, nannte es "schlicht verantwortungslos, dass die britische Regierungskoalition zehn Wochen vor dem Austrittstermin noch um eine einheitliche Position streitet".
Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, forderte, Grossbritannien müsse alles für einen geregelten Austritt tun. Viele Verbraucher planten bereits ihren Osterurlaub. "Sie brauchen dringend Klarheit darüber, welche Regeln dann gelten werden und ob sie bei einem Urlaub in Grossbritannien noch auf ihre gewohnten Rechte vertrauen können."
Pharmaverbände mahnten, im Falle eines ungeordneten Brexits drohten Engpässe bei Medikamenten. Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft warnten am Mittwoch vor Konjunkturrückschlägen und forderten die Unternehmen auf, sich für einen drohenden ungeregelten EU-Austritt Grossbritanniens zu wappnen. (br/dpa)
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