Der Brexit ist vollzogen. Wie aber laufen die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU weiter? Am Mittwoch gehen die Verhandlungen in die nächste Runde. Dann wollen beide Seiten den Fahrplan für die Verhandlungen über ein Handelsabkommen besprechen - doch die Zeit wird langsam knapp.
Am 31. Januar 2020 wurde der Brexit Realität und Grossbritannien hat die EU verlassen. Nun muss über die künftigen Beziehungen zwischen EU und Grossbritannien verhandelt werden. Am Mittwoch gehen die Brexit-Verhandlungen in die nächste Runde, und bereits in den vorangegangen Verhandlungen zeigte sich, wie schwierig sich diese gestalten.
Im Moment gibt es einen Übergangszeitraum vom Austrittsdatum 1. Februar 2020 bis zum 31.12.2020, in dem die bisherigen Regelungen weiterhin Gültigkeit behalten. Die EU und das Vereinigte Königreich können bis zum 1. Juli 2020 eine einmalige ein- oder zweijährige Verlängerung der Übergangsfrist beschliessen, sollte man in den Verhandlungen zu keiner Einigung kommen.
Brexit: Verhandlungsmandate von EU und Grossbritannien
Grundlage der Verhandlungen sind das Verhandlungsmandat des britischen Kabinetts, das die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit Grossbritanniens als wichtigstes Verhandlungsziel definiert, sowie das Verhandlungsmandat der Europaminister der 27 EU-Staaten, das gleiche Wettbewerbsbedingungen im Austausch für den Zugang zum europäischen Binnenmarkt fordert.
Die Meinungsverschiedenheiten, die bisher zwischen den Vertragspartnern zum Ausdruck kamen, gehen laut EU-Chefunterhändler Michel Barnier von Regeln für einen fairen Wettbewerb über die Fischerei bis zu der Anerkennung der Europäischen Grundrechte-Charta. Anstelle eines einzelnen Vertrags, wie ihn die EU vorsieht, wollen die Briten eine Vielzahl von Vereinbarungen. Dies birgt jedoch die Gefahr von Rechtsunsicherheit in vielen Bereichen sowohl bei Unternehmen wie auch bei Bürgern.
Regeln für einen fairen Wettbewerb
Die EU schlug London ein Freihandelsabkommen ohne Zölle und mengenmässige Beschränkung vor. Im Gegenzug fordert sie allerdings Garantien seitens Londons für faire Wettbewerbsbedingungen, um Sozial-, Umwelt und Steuerdumping zu vermeiden.
Die Briten wollen zwar einen fairen Wettbewerb, jedoch keine formelle Festlegung entsprechender Regeln und keine bedingungslose Anpassung an die EU-Standards, die eventuell Regeländerungen unterliegen könnten. Das aber, so Barnier, schaffe aufseiten der EU kein Vertrauen.
London will ein Abkommen vergleichbar dem Abkommen zwischen der EU und Kanada. Michel Barnier argumentiert mit fehlender Vergleichbarkeit, da die Handelsbeziehungen mit Kanada einen wesentlich geringeren Umfang haben, die Entfernung zwischen EU und Kanada wesentlich grösser, Grossbritannien hingegen unmittelbarer Nachbar ist.
Fischereiabkommen
Da Fischfang und Handel eng miteinander verbunden sind, will die EU Fragen bezüglich Fischerei im Rahmen des Freihandelsabkommens festlegen, Grossbritannien pocht auf ein gesondertes Abkommen, das jährlich neu auszuhandeln sei. Kabinettschef Michael Gove verweist darauf, dass Fischgründe eine eigene britische Ressource seien, zu der andere Nationen nur zu britischen Bedingungen Zugang erhalten dürften. Die EU ihrerseits will Grossbritannien nur unter der Bedingung Marktzugang gewähren, wenn die EU-Flotten weiterhin zu den bisherigen Quoten in britischen Gewässern fischen dürfen.
Da die Fischerei in Grossbritannien wirtschaftlich nicht von allzu grosser Bedeutung ist, fürchten nun die Fischer, dass möglicherweise ihre Interessen der Finanzindustrie geopfert werden könnten. Ähnlich sehen es die Landwirte, die ebenfalls nicht in die Verhandlungen mit einbezogen werden, und billige Importe befürchten.
Finanzdienstleistungen
Die Finanzbranche ist mit etwa einer Million Beschäftigten ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Grossbritannien. Die britischen Finanzdienstleister verlieren nach der Übergangsphase sogenannte Passporting-Rechte und könnten zukünftig ihre Produkte nicht mehr automatisch in der EU anbieten.
Hier sieht sich die EU im Verhandlungsvorteil. Damit Banken und Versicherungen weiterhin persönliche Daten zwischen Grossbritannien und der EU austauschen können, müssen ausserdem Datenschutzstandards vereinbart werden.
Verbrechensbekämpfung und Verfolgung von Straftätern
Datenaustausch ist auch bei der Verbrechensbekämpfung von grösster Bedeutung; kommt es bezüglich der Datenschutzstandards zu keiner Einigung, kann Grossbritannien nicht mehr auf EU-Datenbanken zurückgreifen.
Die Briten wollen ausserdem die Europäische Menschenrechtskonvention nicht formell anerkennen, was laut Barnier zu Problemen bei der Strafverfolgung führe, da es ohne formelle Anerkennung Probleme für die polizeiliche Zusammenarbeit gegen Kriminelle und im Bereich Terrorismus gebe.
Zusammenarbeit in Forschung und Lehre
Die Briten verfügen über exzellente Forschungsinstitute und Universitäten, die EU über entsprechende Forschungsgelder. Mit dem Brexit verlieren die Briten ihren Anspruch auf EU-Forschungsgelder. Auch bezüglich Studentenaustausch muss neu verhandelt werden.
Möglicher Verhandlungsabbruch
Am Mittwoch stehen schwierige Verhandlungen bevor. Die EU hat bereits gedroht, auch ein Scheitern der Verhandlungen in Kauf zu nehmen. Grossbritannien droht mit Verhandlungsabbruch, sollten bis Juni keine Fortschritte erzielt werden. Zumindest hinsichtlich einer friedlichen Nutzung der Atomkraft ist man sich einig.
Verwendete Quellen:
- Fragen und Antworten zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 31.Januar 2020, Europäische Kommission, Offizielle Website der Europäische Union
- Zeit Online: Brexit - Darüber streitet die EU mit Boris Johnson
- Tagesschau.de: EU-Austrittsverhandlungen - Streit um viele Brexit-Punkte
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