Es half kein Drohen und kein Jammern: Das britische Unterhaus hat wieder Nein gesagt zum Austrittsvertrag mit der Europäischen Union. Jetzt wird die Luft sehr dünn. Aber es ist noch immer nicht vorbei.
Es war ein Tag wie jeder andere. "Der 29. März ist der 29. März", sagte Sprecher Margaritis Schinas mittags in der Brüsseler EU-Kommission. Jetzt nur nicht emotional werden am lang angekündigten Brexit-Tag. "Wir positionieren die EU-Kommission nicht nach Aufregung, Enttäuschung oder Freude. Wir bevorzugen Fakten."
Diese Tatsachen wurden an diesem Freitag woanders geschaffen, gute 300 Kilometer entfernt in Westminster. Dort redeten sich die britischen Abgeordneten im Unterhaus zum gefühlt hundertsten Mal die Köpfe heiss über den EU-Austritt und die Zukunft des Vereinigten Königreichs - bevor sie am Nachmittag eine folgenschwere Entscheidung trafen. Es war mit Sicherheit kein Tag wie jeder andere.
Angst vor Zollchaos
Denn die britischen Abgeordneten stimmten auch im dritten und mutmasslich letzten Versuch gegen den von Regierungschefin
Ist der Deal damit endgültig tot? Droht nun wirklich der gefürchtete "No Deal", der chaotische Bruch mit Rechtsunsicherheit und Zollchaos und Konjunktureinbruch? Das ist für die EU nun zumindest die "default option" - der wahrscheinlichste Fall, so sagte es EU-Unterhändler Michel Barnier am Freitag, zeitgleich mit der britischen Parlamentsdebatte, aber Hunderte Kilometer entfernt in Polen im College of Europe Natolin.
No Deal wird wahrscheinlicher
Auch er appellierte bei dieser Gelegenheit noch einmal an die britischen Abgeordneten: "Wir brauchen jetzt eine positive Aussage, um voranzukommen. Und es ist die Verantwortung eines jeden Mitglieds des Unterhauses, zu sagen, was sie wollen."
Genützt hat das am Freitag erstmal nichts, und die Luft wird nun tatsächlich dünn. "Ein "No Deal"-Szenario am 12. April ist jetzt wahrscheinlich", erklärte ein Sprecher der EU-Kommission nur Minuten nach der Abstimmung in London. Die Kommission bedauere diesen Ausgang.
Und trotzdem bleiben auch jetzt noch einige Optionen. Denn den "No Deal", den auch die 27 bleibenden EU-Staaten nun als reale Bedrohung auf sich zukommen sehen, hat das britische Unterhaus bereits mehrfach mit grosser Mehrheit abgelehnt, zuletzt am Mittwoch. Das ist fast das einzige, bei dem sich die Abgeordneten einig scheinen. Finden sie eine Alternative, ist das Chaos-Szenario noch abzuwenden.
Ringen um Alternativszenarien
So ist auch die Beschlusslage in der EU. Auf dem Gipfel vergangene Woche hatte die Europäische Union Grossbritannien eine Verschiebung des ursprünglich für diesen Freitag geplanten Brexits zugesagt, und zwar in zwei unterschiedlichen Varianten. Hätte das Unterhaus diese Woche den Austrittsvertrag gebilligt, hätte das Land am 22. Mai geregelt aus der EU ausscheiden können. Es kam anders.
Aber nun bleibt noch Plan B: Ohne diese Zustimmung läuft immerhin eine Frist bis zum 12. April, also noch zwei Wochen. Bis dahin kann Grossbritannien Vorschläge machen, wie man aus der Sackgasse rauskommt. Und der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn vermittelte nach dem finalen Nein der Abgeordneten auch den Eindruck, als könnte man sich nun frohgemut an die Arbeit machen.
Was dieser Ausweg sein könnte, soll sich bei weiteren Abstimmungen im Unterhaus nächste Woche herausschälen. Denkbar wäre zum Beispiel die Entscheidung für eine weichere Form des Brexits als die Regierung das bisher wollte. Oder für eine weitere Volksabstimmung. Oder eine Neuwahl.
In all diesen Fällen wird sich die Europäische Union wohl nicht verweigern. Denn nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel hat immer wieder gesagt, dass sie einen britischen EU-Austritt ohne Vertrag unbedingt vermeiden will - träfe er doch auch die deutsche Exportwirtschaft mit unberechenbaren Turbulenzen.
May bleibt kämpferisch
Die EU der 27 wird also neu beraten: Unmittelbar nach der Hiobsbotschaft aus London berief EU-Ratschef Donald Tusk für den 10. April einen Sondergipfel ein, zu dem auch May erwartet wird. Dort werden die 27 wahrscheinlich auch dieses Mal den Briten nicht einfach die Tür weisen, sondern die allerletzten Chancen ausloten.
Premierministerin May jedenfalls sieht jetzt nicht den ungeregelten Austritt als grösste Gefahr, sondern eine ausgedehnte Verschiebung, die den Brexit "zerstören" könnte. Fast sicher werde ein weiterer Aufschub bedeuten, dass Grossbritannien auch an der Europawahl Ende Mai teilnehmen müsse, sagte die Premierministerin am Freitag nach ihrer bitteren Niederlage.
"Ich fürchte, wir erreichen die Grenzen dieses Verfahrens in diesem Haus", schloss sie resigniert vor den Abgeordneten auf ihren grünen Bänken. "Dieses Haus hat "No Deal" abgelehnt. Es hat "No Brexit" abgelehnt. Am Mittwoch hat es alle Variationen des vorliegenden Vertrags abgelehnt. Und heute hat es abgelehnt, den Austrittsvertrag alleine anzunehmen und den Prozess für die Zukunft weiterzuverfolgen."
Und dennoch: Die Regierung, so sagte May, werde sich weiter für einen geordneten Brexit starkmachen, wie es das Referendum von 2016 verlangt habe. Sie ist also noch nicht vorbei, die endlose Brexit-Saga. © dpa
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