- Der grosse Knall im Nordirland-Streit deutet sich mehr und mehr an.
- Der Status des Landes war eine der schwierigsten Fragen, die beim britischen EU-Austritt zu klären war.
- Doch inzwischen ist London mit der Lösung nicht mehr zufrieden.
Wann geht Grossbritannien im Nordirland-Streit aufs Ganze? Kaum ein Tag vergeht, an dem der britische Brexit-Minister David Frost der EU nicht mit einer Eskalation droht.
An diesem Freitag unternehmen beide Seiten einmal mehr den Versuch, zu einer Lösung zu finden. Doch bisher wirken die gegensätzlichen Standpunkte in einigen Streitfragen unvereinbar.
Gravierende Folgen drohen
Es wird immer wahrscheinlicher, dass die britische Regierung den schon berühmt-berüchtigten Artikel 16 aktiviert, der das sogenannte Nordirland-Protokoll teilweise ausser Kraft setzt. Was sich technisch anhört, hätte gravierende Folgen, die kaum absehbar sind.
Im schlimmsten Fall könnte es dazu führen, dass das mühsam über Jahre ausgehandelte Brexit-Abkommen zwischen EU und dem Vereinigten Königreich Knall auf Fall aufgehoben würde - nicht einmal ein Jahr nach seinem Inkrafttreten. Ein Handelskonflikt zwischen den engen Alliierten wäre dann kaum noch abzuwenden, und die Konsequenzen für den Friedensprozess auf der irischen Insel will sich lieber niemand vorstellen.
Der Reihe nach: Das Protokoll, von Minister Frost ausgehandelt und vom amtierenden Premierminister
Die Idee: Nordirland bleibt Mitglied von EU-Zollunion und Binnenmarkt. Doch das bedingt, dass seither Waren zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs kontrolliert werden müssen. Und diese Zollgrenze in der Irischen See ist Loyalisten in der Provinz ein Dorn im Auge. Für die EU ist sie wichtig, damit Waren über Grossbritannien nicht unkontrolliert in die Union kommen.
Britische Regierung verweist auf ganz praktische Probleme
Die britische Regierung verweist auf ganz praktische Probleme. So blieben vorübergehend Regale in nordirischen Supermärkten leer. Die EU hat nun auf britische Forderungen hin nachgegeben und bietet an, die Zollformalitäten unter anderem für Lebensmittel deutlich zu vereinfachen.
Doch London will mehr: Mittlerweile will Johnsons Regierung, dass anders als vereinbart der Europäische Gerichtshof nicht mehr die letztentscheidende Instanz für Nordirland-Fragen sein dürfe. Diese Forderung lehnt die EU-Kommission strikt ab.
Befeuert wird der Streit von der Lage in Nordirland, die sich zuletzt stark zugespitzt hat. Bewaffnete und maskierte Männer, vermutlich radikale Anhänger der Union mit Grossbritannien, brachten zwei Passagierbusse in ihre Gewalt und zündeten sie an.
Die rauchenden Trümmer wirken nun wie Menetekel für das, was kommen könnte. Obwohl einige Akteure in London hinter den Kulissen versuchen, Frosts Drohkulisse abzuschwächen, sind die meisten Experten der Ansicht, es sei keine Frage mehr, ob Johnson Artikel 16 ziehen werde, sondern wann.
Deshalb bereitet sich längst auch die EU für den Notfall vor. Am Mittwoch hatte Frosts EU-Pendant, Vizekommissionspräsident Maros Sefcovic, EU-Diplomaten in Brüssel über den Stand der Verhandlungen informiert.
Wie Teilnehmer im Anschluss berichteten, sei zwar noch nicht über konkrete Gegenmassnahmen gesprochen worden. Ein EU-Diplomat sagte der Deutschen Presse-Agentur aber, man sei sich einig, "dass ein solch willkürlicher und ungerechtfertigter Schritt des Vereinigten Königreichs eine klare europäische Antwort nach sich ziehen wird".
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Noch nicht klar, was es genau bedeutet, sollte London Artikel 16 auslösen
Wie genau diese "klare europäische Antwort" aussehen wird, ist aber noch nicht bekannt. Zudem sieht das Nordirland-Protokoll ebenfalls keine konkreten Massnahmen vor, es ist lediglich von "Schutzmassnahmen" die Rede, sollte es wegen der Abmachung schwerwiegende soziale, wirtschaftliche oder ökologische Schwierigkeiten geben.
Also ist noch nicht klar, was es genau bedeutet, sollte London Artikel 16 auslösen. Doch selbst wenn Grossbritannien das Abkommen teilweise ausser Kraft setzen sollte, würde dies keine sofortigen Änderungen bedeuten.
Anhang sieben des Protokolls sieht Fristen vor. Demnach dürfen für einen Monat, nachdem der Artikel 16 ausgelöst wurde, keine Massnahmen ergriffen werden. Es sei denn, beide Seiten einigen sich darauf.
Als mögliche Reaktion auf Massnahmen aus London wird in Brüssel darüber spekuliert, dass die EU das Brexit-Handelsabkommen zumindest teilweise aussetzen könnte. Doch auch hier wären Fristen vorgesehen. Diese reichen von 30 Tagen bis zu zwölf Monaten. (dpa/msc)
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