Mittels einer Zwangspause für das Parlament hat der britische Premierminister Boris Johnson die Möglichkeiten der Abgeordneten, einen No-Deal-Brexit zu verhindern, stark eingeschränkt. Nicht nur in England hat Johnson damit für scharfe Kritik gesorgt. Auch die internationale Presse sieht in dem Schritt ein gefährliches Manöver.

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Noch vor dem Stichtag für den EU-Austritt Grossbritanniens will der britische Premierminister Boris Johnson das Parlament in eine Zwangspause schicken. Den Abgeordneten blieben damit nur noch wenige Tage, um einen Brexit ohne Abkommen per Gesetz zu verhindern.

Doch das ist angesichts der vielen Hürden im Gesetzgebungsprozess kaum zu bewältigen. In England hat Johnsons Ankündigung einen Sturm der Empörung ausgelöst.

So versammelten sich am Mittwochabend Hunderte Menschen vor dem Parlament und dem Regierungssitz Downing Street in London, um gegen die Parlamentsschliessung zu demonstrieren. Eine Online-Petition gegen die umstrittene Massnahme knackte in der Nacht zu Donnerstag die Millionen-Grenze.

Auch die internationale Presse beurteilt die Parlamentsschliessung in Grossbritannien überwiegend negativ. Ein Überblick über die Pressestimmen zu Johnsons vermeintlichen "Schlussstrich" unter die Brexit-Debatte.

Pressestimmen aus Belgien

"De Tijd": Johnson hat das Endspiel eingeläutet

"Damit wird das Endspiel eingeläutet. Es ist bislang noch nicht vorgekommen, dass in einer parlamentarischen Demokratie ein Parlament derart ins Abseits gestellt wird. Aber eben jenes Parlament hat das ganze Jahr über bewiesen, dass es keine brauchbare Mehrheit - für was auch immer - abliefern kann. (...) Als zynischer Machtpolitiker greift Johnson nach den Waffen, die ihm zur Verfügung stehen. (...) Und wenn Johnson aus dem Amt getrieben werden sollte, gebe es immer noch keine eindeutige Lösung. In dieser Hinsicht wird ein Brexit stets hart sein, mit oder ohne Deal."

Frankreich

"L´Alsace": Harter Brexit auf "Teufel komm raus"

Es ist kein Staatsstreich, aber ein Eklat. Und ein Schlag unter die Gürtellinie für eine der ältesten Demokratien der Welt. Mit der Entscheidung (...) versucht Boris Johnson, einem nicht vereinigten Königreich sein Gesetz aufzuzwingen. Dies geschieht durch eine Verzögerungstaktik (...). Ziel ist es, die Parlamentarier daran zu hindern, rechtzeitig ein mögliches neues Abkommen zu prüfen oder sogar eine alternative Lösung vorzuschlagen, um den harten Brexit zu vermeiden, den Herr Johnson sich für den 31. Oktober auf Teufel komm raus fest vorgenommen hat.

Grossbritannien

"The Times": Johnson will EU Zugeständnisse abringen

"Die plausible Prämisse des Premierministers bestand darin, dass allein ein glaubwürdiges Engagement bei der Vorbereitung eines No-Deal-Brexits EU-Regierungschefs veranlassen wird, Zugeständnisse zu machen. Und tatsächlich gibt es zaghafte Anzeichen dafür, dass sie bereit sein könnten, sich ein wenig zu bewegen. Sie werden das jedoch nicht tun, wenn sie glauben, dass das Parlament einen Brexit verhindern oder dass Boris Johnson des Amtes enthoben werden könnte. Der Schachzug des Premierministers zielte darauf ab, jeden Zweifel an der Entschlossenheit der Regierung zu beenden und jeden Gedanken daran zu vertreiben, dass Brüssel eine Seite des britischen politischen Establishments gegen die andere ausspielen könnte."

"The Guardian": Grotesker Missbrauch des höchsten politischen Amts

"Die Vertagung des Parlaments ist ein königliches Vorrecht, das in der modernen Demokratie nur toleriert werden kann, wenn es sich dabei um einen zeremoniellen Akt handelt. Wenn ein Premierminister, der nicht einmal ein Mandat der Wählerschaft hat, auf diese Weise parteipolitische Ziele verfolgt, für die es im Unterhaus keine Mehrheit gibt, dann stellt dies einen grotesken Missbrauch des höchsten politischen Amtes dar. Boris Johnson kapert Befugnisse, die symbolisch der Krone zustehen, und benutzt sie für einen Angriff auf seine Gegner im Parlament. (...) Dass er überhaupt bereit ist, es zu tun, sollte jeden alarmieren, der die Traditionen der britischen Demokratie zu schätzen weiss."

"Financial Times": Abgeordnete müssen Regierung zu Fall bringen

"Wenn Boris Johnsons Trick mit der Zwangspause für das Parlament Erfolg hat, verliert Grossbritannien jedes Recht, andere Länder über demokratische Defizite zu belehren. Die Verfassungsregeln des Vereinigten Königreichs beruhten lange Zeit auf allgemein akzeptierten Gepflogenheiten. Es bestand dabei immer die Gefahr, dass ein skrupelloser Regierungschef diese Konventionen mit Füssen tritt. Das ist in der Neuzeit nicht geschehen - aber jetzt. Abgeordnete müssen in der kommenden Woche ihre Chance ergreifen, den Willen des Unterhauses gegen den des Premierministers durchzusetzen. Der Moment, für den sie zusammenkommen, mag zu kurz für die Verabschiedung eines Gesetzes sein, dass eine Verschiebung des EU-Austritts Grossbritanniens fordert. Jene, die gegen einen No-Deal-Brexit sind, müssen aber nun ihre Differenzen überwinden und für ein Misstrauensvotum gegen die Regierung stimmen."

Italien

"Corriere della Sera": Ein Kamikazemanöver im Königreich

"Ein Kamikazemanöver. Ein beispielloses Wagnis, das Boris Johnson da eingeht: Es könnte ihm am Ende den Brexit zu seinen Konditionen einbringen - oder aber dem empfindlichen konstitutionellen Gleichgewicht, auf das sich das Vereinigte Königreich stützt, einen Todesstoss versetzen. Wahrscheinlich hatte Johnson keine andere Wahl. Die Oppositionsparteien hatten sich gerade noch auf den Versuch geeinigt, im Parlament einen möglichen No Deal zu blockieren - einen Brexit ohne Abkommen. (...) Nun hat der britische Premier die Brücken hinter sich verbrannt. Jetzt kann Brüssel nicht mehr auf irgendwelche Hinterzimmermanöver der Opposition hoffen, es muss das Ganze ernst nehmen."

Schweiz

"NZZ": Ein Schlussstrich unter das Brexit-Drama

"Er könnte nicht geradliniger und rücksichtsloser auf das eine Ziel zurasen: sein eigenes politisches Überleben zu sichern. Denn genau diesem Zweck dient der am Mittwoch angekündigte Plan des Premierministers (...). Ob er wirklich den Verfassungsgrundsätzen widerspricht, wird wohl noch über Jahre hinaus Juristen und weniger die Wähler beschäftigen. Sicher ist: Er bringt dem Land nach drei Jahren ermüdender Brexit-Wirren endlich Klarheit. Nach einem Schlussstrich unter dem Brexit-Drama sehnen sich viele."

"Tages-Anzeiger": Parlament wird zum Zaungast

"Der Premier nutzt mit diesem Schritt die Möglichkeiten der ungeschriebenen Verfassung und den Verweis auf Präzedenzfälle, um sein Ziel zu erreichen: einen Brexit – ob geregelt oder ungeregelt. Das darf er tun. Aber er macht damit das vom Volk gewählte Parlament zum Zaungast einer Jahrhundertentscheidung. Johnsons Taktik ist jetzt so perfide wie genial. (...) Kein Wunder, dass die Brexit-Gegner von "Bürgerkrieg" und einem "Anschlag auf die Demokratie" sprechen. Johnson selbst hatte angekündigt, im nächsten Wahlkampf stünden die Tories auf der Seite des "Volks – gegen die Politiker". Das ist Populismus pur. Eine Regierung, die dem Volk Rechenschaft schuldig ist, demontiert aus Kalkül die gewählten Volksvertreter. Johnson mag diesen Machtkampf gewinnen. Aber der Preis ist sehr hoch"

Spanien

"El Mundo" – Johnson treibt Grossbritannien in Richtung Autokratie

"Johnson fordert die Demokratie heraus. (...) Seine Entscheidung ist beispiellos. Mit seiner exzentrischen Art und ermuntert von (US-Präsident Donald) Trump, der ihn dazu auffordert, mit der Union kurzen Prozess zu machen, treibt der neue Premier das Vereinigte Königreich Richtung Autokratie. (...) Wir wissen noch nicht, ob dieses Manöver das Ende der erst vor kurzem gebildeten Regierung bedeuten wird. Aber wir wissen zwei Dinge: dass der harte Brexit ein soziales und wirtschaftliches Drama auslösen wird, dessen Konsequenzen den Hauptgeschädigten, den britischen Bürgern nämlich, vielleicht nicht bewusst sind. Und wir wissen auch, dass wenn man dem Populismus die Macht übergibt, nicht nur ein Land, sondern ein ganzer Kontinent die Zeche zahlen muss." (dpa/thp)

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