Grossbritannien wählt, und es wählt den sofortigen Brexit. Trotz aller Kritik steht der konservative Premier Boris Johnson vor einem verblüffenden Wahlsieg. Dafür gibt es gute Gründe.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das Pfund steigt mit den Umfragewerten von Boris Johnson. Gegenüber dem Euro erreicht die britische Währung nun sogar ein 30-Monats-Hoch. Der Grund: Die Devisenmärkte erwarten am Donnerstag einen klaren Wahlsieg Johnsons.

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Konservative verdoppeln Umfragewerte

In den Umfragen liegen seine Konservativen im Durchschnitt um 10 Prozentpunkte vor Labour. Bei 43 Prozent wird Johnsons Partei kurz vor dem Wahlgang taxiert. Das ist verblüffend, denn vor nur einem halben Jahr, als Boris Johnson Premierminister wurde, lagen die Konservativen gerade noch bei 20 Prozent. Johnson hat seine Gefolgschaft binnen kurzer Zeit glattweg verdoppelt.

Dabei hat der Premierminister die links-liberalen Medien massiv gegen sich, ebenso das alte Polit-Establishment [die Ex-Premierminister John Major (Konservative) und Tony Blair (Labour) warnen gar gemeinsam vor der Wahl Johnsons] sowie grosse Teile der Kultur- und Showszene.

Schauspielstar Hugh Grant macht sogar in umkämpften Wahlkreisen aktiven Häuserwahlkampf gegen Johnson. Grant pöbelt den Regierungschef auf Twitter regelrecht an: "Du wirst die Zukunft meiner Kinder nicht versauen. Du wirst die Freiheiten nicht zerstören, die mein Grossvater in zwei Weltkriegen verteidigt hat", schreibt sich Grant mit der derben Pointe in Rage: "Fuck off, du aufgeblasene Gummiente".

Brexit als Weihnachtsgeschenk

Ausgerechnet die rechte Gummiente wird nun aber von einer Woge der Zustimmung getragen. Der Grund dafür liegt weniger in seiner Sympathie als in seiner Autorität. Johnson gilt nach den quälenden Monaten der EU-Ausstiegs-Wirren als der Politiker, der den Brexit-Knoten endlich zerschlagen wird. Der Premierminister profiliert sich als Macher und trifft mit seinem Wahlslogan "Get Brexit Done" den britischen Nerv der Zeit.

Der politisch noch weiter rechts stehenden Bewegung von Nigel Farage gräbt er damit das Wasser völlig ab. Dessen Brexit-Partei, die im Mai bei den Europawahlen noch auf einen Stimmenanteil von 32 Prozent kam, ist jetzt nur noch eine Splitterpartei.

Das gesamte Brexit-Lager wählt nun Johnson. Und der konzentriert seine Kommunikation auch auf dieses eine Thema. Selbst auf die Frage eines Radiosenders, was er denn seiner Freundin Carrie zu Weihnachten schenke, antwortet Boris Johnson: "Den Brexit!"

Umgekehrt ist es der Opposition nie gelungen, sich zu einer Pro-Europa-Bewegung zu formieren. Die Labour-Partei verfolgt beim Brexit einen unsicheren Zickzackkurs. "Jeremy Corbyn kann uns noch nicht einmal sagen, welche Haltung er zum Brexit hat" verhöhnt Johnson den Wankelmut der Sozialisten.

Kritik fördert Solidarität mit Boris Johnson

Immerhin punktet Corbyn in der Schlussphase des Wahlkampfs mit scharflinker Leidenschaft und findet mit der Kritik an der maroden Gesundheitsversorgung einigen Widerhall. Johnson kontert das mit gezieltem Themenwechsel und verspricht den Wählern, mit Hilfe eines Punktesystems nach australischem Vorbild die Zahl der Einwanderer zu senken. Doch am Ende überlagert die Brexit-Frage bei diesem Wahlgang alles andere.

Johnsons Aufstieg in den Umfragen hat auch damit zu tun, dass die veröffentlichte Meinung - wie beim Gummienten-Fall - so einseitig und übertrieben gegen ihn ist. Ähnlich wie bei Donald Trump formiert sich seine trotzige Gefolgschaft umso dichter, je heftiger er aus linksliberalen Milieus attackiert wird.

Der Solidarisierungseffekt funktioniert, weil viele sich einerseits nicht bevormunden lassen wollen und andererseits Johnson plötzlich wie eine Projektionsfläche für - das von ganz Europa gescholtene - Brexit-Grossbritannien dasteht. Je mehr der Brexit kritisiert wird, desto mehr bäumt sich eine Pro-Johnson-Jetzt-erst-recht-Stimmung auf.

Johnson hilft es, dass er seine persönlichen Schwächen nicht verbirgt und eine zerknitterte, verwuschelte Clownerie kultiviert, dass er im Denken und Sprechen souveräne Freiheit demonstriert, wo viele andere in politischer Korrektheit gefangen bleiben. Johnson ist vielseitig belesen, verfügt über Selbstironie und setzt - ganz im Gegensatz zu Trump - auf Understatement in seiner Paraderolle als clever gespielter Tollpatsch.

Boris Johnson: Eher verspielt als reaktionär

Sieht man vom Brexit einmal ab, dann ist Johnson eher ein weltoffener Liberaler denn ein knarzender Konservativer. Im Mulitkulti-London wurde er von 2008 bis 2016 zum beliebten Bürgermeister gewählt und wieder gewählt. Er ist eher verspielt als reaktionär, eher tolerant als verkniffen, er verachtet Ideologien, linke wie rechte, auch apokalyptisch-grüne.

Und so könnte Johnson nach einem Wahlsieg und dem dann rasch vollzogenen Brexit den Rest Europas noch mit Konzilianz und Kooperationswillen überraschen. Denn entgegen mancher Beschimpfungen als "Europas Trump" passt Johnson nicht wirklich in die internationale Galerie der dumpfen Rechtsnationalisten.

Schon am Donnerstag wird er mit seinem Brexit-Deal Millionen von Wählern, die bei der Europawahl dem anti-europäischen Demagogen Nigel Farage gefolgt sind, wieder zu den Tories zurückholen. Und womöglich einem zivilisierten Neo-Konservativismus einen Weg bahnen.

Denn der Rechtsruck Europas kann sich entweder in aggressive, nationalistische Wutbürger-Ideologien entladen oder in einen kulturell gefassten, heiteren Konservativismus münden. Johnson steht für Letzteres. Er ist besser als sein Ruf als aufgeblasene Rechts-Ente.

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