Die Kampagne für ein bedingungsloses Grundeinkommen hat durch zahlreiche Medienberichte sowohl Bewunderer als auch Kritiker gewonnen. swissinfo.ch besuchte zwei Anlässe, um die Lage vor der nationalen Abstimmung am 5. Juni auszuloten.
Es ist ein warmer Mai-Abend in Basel. Daniel Häni verlässt einen vollen Konferenzsaal und steuert ein nahes Café in der Altstadt an. Er hat soeben der Basler Sektion der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens vorgestellt.
Das Ergebnis war vorhersehbar. Keiner der etwa 60 Teilnehmer war für den umstrittenen Vorschlag – ein einstimmiges Urteil der Parteimitglieder in zumeist mittlerem Alter.
"Es war eine Herausforderung", sagt das führende Mitglied des Initiativkomitees. "Es hat Spass gemacht, aber die Leute hatten bereits eine vorgefasste Meinung. Trotzdem war es ein schöner demokratischer Vorgang."
Häni gibt zu, dass die Powerpoint-Präsentation kürzer hätte sein können. Im Nachhinein gesehen hätte er auch stärker auf die Bedenken einer älteren Dame eingehen sollen. Sie war besorgt, bei Annahme der Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen ihre Putzfrau zu verlieren, die möglicherweise ihre Stelle aufgeben würde.
Andere im Raum baten um Klärungen, und gewisse Voten zielten unter die Gürtellinie. Häni sagt, in gewissen Momenten sei er über die Kommentare und das Getuschel irritiert gewesen.
Es hat jedenfalls nicht geschadet, und sicherlich ist es kein Grund aufzugeben. "Unsere Kampagne ist in vollem Schwung", sagt Häni optimistisch. Die Resultate einer kürzlichen Umfrage sind zwar alles andere als rosig, aber er schaut viel weiter in die Zukunft.
"Das bedingungslose Grundeinkommen wird nicht am 5. Juni eingeführt. Aber es ist nur eine Frage der Zeit", sagte er zu seinem Publikum.
Film im Gemeinschaftszentrum
Zwei Tage später, in einem Gemeinschaftszentrum am Rande der Schweizer Hauptstadt Bern, schauen mehr als 80 Leute den eher pädagogischen Film der Kampagnenführer an. Die Luft im überfüllten Raum wird stickig, und der Regen prasselt auf das Dach des renovierten Gebäudes, eine ehemalige Scheune mitten in einem Park.
Das Publikum setzt sich aus Jungen und Alten aus der Mittelklasse zusammen, fast gleich viel Frauen wie Männer sind anwesend. Man kann annehmen, dass viele von ihnen offen gegenüber der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens sind und sich nun vollständig überzeugen lassen wollen.
Die vier Diskussionsteilnehmer auf dem Podium müssen um das Mikrophon streiten. Es ist auffallend, wie einige von ihnen die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen wollen, indem sie von Familienanekdoten oder beruflichen und politischen Erfahrungen erzählen, um ihren Standpunkt zu untermauern.
Nach etwa 60 Minuten lebhaften Austausches von Fragen und Antworten gelangt die Diskussion schliesslich zum wesentlichen Kern der Abstimmung: Der ethische und monetäre Wert der Arbeit. Ist nur bezahlte Arbeit ein Salär wert? Was ist mit den freiwilligen Aktivitäten?
Zu viele Fragen offen gelassen
"Ich habe selten ein solch lebhaftes Publikum gesehen", sagt Oswald Sigg vom Initiativkomitee. Ihn hat der ziemlich konfrontative Stil eines Lokalpolitikers, ein Gegner der Initiative, nicht gestört.
Der ausgebildete Ökonom fand, die Initianten hätten zu viele Fragen offen gelassen. Doch er könne nicht anders als beeindruckt sein von der Kampagne und der Faszination, welche die Initiative offenbar auf die Bevölkerung ausübe.
Sigg seinerseits bleibt ruhig. Er ist eher von den Zeitungskommentaren irritiert, die ihn an die konservative Rhetorik nach dem gesellschaftlichen Aufbruch von 1968 erinnern.
Zwei Damen mittleren Alters verlassen gegen späten Abend die Veranstaltung, sie öffnen ihre Regenschirme und weichen den Pfützen am Boden aus. "Es war interessant, nicht wahr? Obwohl ich nicht alles verstanden habe", sagt die eine. "Nun ja, das Grundeinkommen kommt nicht so schnell", sagt die andere.
Spektakuläre Aktionen
Die Aussichten der Initiative für den 5. Juni mögen zwar alles andere als vielversprechend sein. Aber die Befürworter werden wahrscheinlich für ihre kreative Tatkraft in die Schweizer Geschichte eingehen. Eine Art Sieg? "Demokratie ist kein Zahlenspiel", sagt Komiteemitglied Häni.
Die Liste der spektakulären Anlässe des Initiativkomitees reicht von öffentlichen Werbegags – die Initianten deponierten acht Millionen Fünfräppler vor dem Schweizer Parlament, verteilten statt eines Flyers Zehnfranken-Noten an Passanten und bauten das grösste Plakat der Welt – über ein goldenes Kampagnen-Auto, eine Demonstration von Robotern aus Karton am Tag der Arbeit, mehreren Buchpublikationen bis hin zu zahlreichen Artikeln und Berichten in nationalen und internationalen Medien.
Nicht zu vergessen die beherrschende Stellung in den sozialen Netzwerken, in denen es beispielsweise eine Crowdfunding-Aktion und regelmässige Updates über die Kampagne gab.
Einige Kritiker bemäkeln diese Strategie: Die traditionelle Kampagnenführung von der Basis her sei vernachlässigt worden.
Unverbrauchte Gesichter
Mark Balsiger, Politologe und Experte in Öffentlichkeitsarbeit, ist anderer Ansicht. "Die Kampagnenführer hatten brillante Ideen, die sie erfolgreich verwirklicht haben", sagt Balsiger. "Die Gruppe besteht aus unverbrauchten Gesichtern und schafft es, über längere Zeit eine breite Aufmerksamkeit zu erhalten."
Deswegen ist es laut Balsiger verständlich, die traditionelle Herangehensweise mit öffentlichen Debatten und Informationsveranstaltungen klein zu halten.
Er fügt an, dass die Schlüsselfiguren der Kampagne klug und "cool" rüberkämen, und die Initiative auch vom Goodwill der Medien habe profitieren können, besonders da der Vorschlag keine Chance habe, an der Urne eine Mehrheit zu gewinnen.
(Übertragung aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi)
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